Wer beim Wort „Wollunterwäsche“ an kratzige alte Zeiten und die Oma denkt, war lange nicht auf Instagram oder im Outdoorladen. Merinowolle erobert die Bekleidungswelt im Sturm. Anfangs gab es sie in Form von Babybodys aus dem Bioladen oder von Skiunterwäsche. Doch längst werden Baselayer aus Merinowolle, also die unterste Bekleidungsschicht, auch im normalen Alltag als wärmende Drunterklamotte getragen. Ein Versprechen der Anbieter ist dabei stets: Merinowolle bleibe geruchsneutral. Man könne in der Kleidung sogar Joggen gehen, ohne zu stinken. Aber kann das stimmen?
Marcus Oliver Weber ist Professor für Textiltechnologie an der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach. Er möchte die Erwartungen etwas senken. In der Tat habe Merinowolle ein paar Eigenschaften, die in Bezug auf die Geruchsentwicklung von Vorteil seien. Doch ein Wundershirt, mit dem man vier Mal in der Woche Sport machen könne und das man trotzdem nie waschen müsse, sei ein Hemd aus Merinowolle nicht. „Wie oft Sie es tragen können, bevor man es dann doch waschen muss, kommt natürlich auf ihre individuelle Schweißproduktion an,“ sagt Weber.
Dabei ist es nicht der Schweiß selbst, der stinkt. Frischer menschlicher Schweiß ist weitgehend geruchslos. Der unangenehme Geruch verschwitzer Menschen entsteht dadurch, dass Mikroben auf der Haut den Schweiß unter feuchten Bedingungen in seine Einzelteile zerlegen und sich vermehren. Setzen sich Schweißpartikel und Mikroben in der Kleidung ab, fängt diese ebenfalls zu stinken an. Wie leicht sie dort hängen bleiben, hängt vom Material der Kleidung ab. Hier spielt Merinowolle einen ersten Vorteil aus.
Statt Waschen funktioniert auch längeres Lüften
Denn weil die vom Merinoschaf gewonnene Naturfaser im Gegensatz zu meist glatten Kunstfasern eine schuppige Oberfläche hat, bleiben Bakterien schlecht daran haften. Außerdem vermehren sich Bakterien auf der Haut unter einem Wolleshirt nicht so schnell, weil Wolle besonders gut Feuchtigkeit aufnehmen und damit von der Haut weg transportieren kann. „Das kann so schnell gehen, dass die Bakterien keinen guten Lebensraum und nicht die nötige Nahrungsgrundlage haben“, erklärt Axel Drieling vom Faserinstitut Bremen. Dass Wollfasern aus dem Protein Keratin bestehen, könne zusätzlich eine antimikrobielle Wirkung haben, weil die faserige Struktur des Keratins in der Lage sei, Bakterien in sich aufzunehmen und somit ihre Vermehrung zu verringern.
:„Nach der Wäsche sind manchmal mehr Bakterien auf den Kleidungsstücken als vorher“
Muff im Kleiderschrank? Der Mikrobiologe Dirk Bockmühl erklärt die Ursachen – und was man dagegen tun kann.
Ein weiterer Vorteil betrifft die Reinigung der Merinowolle. Weil Wollefasern große Mengen Feuchtigkeit aufnehmen können, funktioniert statt Waschen auch längeres Lüften, wie Marcus Oliver Weber erklärt: „So kann ein großer Teil des Schweißes bei längerer Lüftung im feuchten, frischen Klima gut zurückgetauscht werden. Es bleiben lediglich die Salze, die im Schweiß enthalten sind, im Shirt zurück.“
Das Faserprotein Keratin steckt nicht nur in Merinowolle, sondern in allen tierischen Haaren und somit auch in jeder reinen Wolle. Auch dicke Wollpullis hemmen also stinkige, durch Schweiß motivierte Bakterien, sollte man sie trotz Kratzigkeit direkt auf der Haut tragen. Was Keratin nicht verhindern kann, ist der Geruch nach „nassem Hund“, den Wollklamotten ebenfalls oft haben. Das liegt zum einen an dem Sekret Lanolin, das aus den Talgdrüsen der Schafe kommt und die einzelnen Wollfasern wie eine Wachsschicht bedeckt, um das Fell der Tiere vor Feuchtigkeit und Parasiten zu schützen. Lanolin kann vor allem bei Nässe einen charakteristischen Geruch entwickelt. Zum anderen können sich in den Zwischenräumen der schuppigen Oberfläche von Wollfasern Luftkammern bilden. Gerüche etwa einer feucht-schimmeligen Umgebungsluft werden dann leichter aufgenommen als bei synthetischen Stoffen.