In einem Eichenwald östlich von Rom steht ein altes Kloster. In 850 Meter Höhe im hintersten Winkel eines idyllischen Bergtals gelegen, strahlt die 996 gegründete Anlage eine eremitische Erhabenheit aus. Benannt ist sie nach dem Kartäuser-Orden, der das Kloster zwischen 1204 und 1946 bewirtschaftete: Kartause Trisulti. In dem riesigen Gebäudekomplex gibt es eine aus dem Gründungsjahrhundert stammende Bibliothek und eine Klosterkirche, reich ausgestattet mit Gemälden italienischer Barock-Maler.
Ein verwunschener Ort für Fahrradtouristen, ein national anerkanntes Monument Italiens, aber auch ein Erinnerungsort des europäischen Wissenstransfers. Hier, wie in so vielen anderen Klöstern auf diesem Kontinent, wurden über Jahrhunderte epistemische Bestände gesichert und die Kulturgeschichte Europas zusammengehalten. Ein Ort, der seit 2017, als die letzten Mönche auszogen und die katholische Kirche ihren prächtigen Besitz wegen Nachwuchsmangels aufgeben musste, leer stand.
Das Interesse an Europa ist groß
Es interessierte sich aber bald ein neuer Orden dafür. Unter dem Decknamen „Dignitatis Humanae Institute“ (DHI), benannt nach der Erklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils, die aus der Würde des Menschen die Religionsfreiheit ableitet, pachtete ein Vertrauter des amerikanischen Populismuspropheten Steve Bannon das klösterliche Anwesen, um dort eine „geistige Heimat für Bannons Gedankengut“ einzurichten. „Halb mittelalterlicher Campus, halb Gladiatorenschule“, so lautete damals der Anspruch, sollte der Ort zu einer jüdisch-christlichen Akademie für junge rechtspopulistische Verantwortungsträger in spe umgebaut werden. Hier, so prahlte man, werde man die „Salvinis von morgen“ ausbilden, die Nachfolger des zeitweiligen italienischen Innenministers Matteo Salvini, der als Parteivorsitzender der Lega heute stellvertretender Ministerpräsident im Kabinett von Giorgia Meloni ist.

Das Kulturministerium unter Führung eines Fünf-Sterne-Politikers stimmte der Umwidmung des Klostergebäudes zu einem Schulungs- und Veranstaltungszentrum gegen eine Pacht von 100.000 Euro pro Jahr zu; der damalige Anführer der Fünf-Sterne-Bewegung Luigi di Maio hatte sich im September 2018 mit Bannon getroffen und sich anerkennend zu seinen Plänen geäußert. Ein Jahr später widerrief der linksliberale Kulturminister Dario Franceschini die Konzession für die Nutzung der Abtei aber wieder. Als fadenscheinige Gründe wurden Mietrückstände und fehlende Denkmalschutzkompetenz genannt. Obwohl der italienische Rechnungshof dem Institut die Erfüllung sämtlicher Pachtverpflichtungen bescheinigte, entschied das Oberste Verwaltungsgericht im Juli 2021, dass der Pachtvertrag rechtskräftig aufgelöst werden müsse. Vier Jahre lang fochten Bannon und seine Getreuen das Urteil an, gingen in Revision, ließen nicht locker. Im März dieses Jahres dann der Triumph: Das Urteil wurde zurückgenommen, die Umnutzung ist rechtens, die geistige Gladiatorenschule wird kommen.
Der Fall zeigt eindrücklich, mit welcher Intensität sich die amerikanische Rechte für Europa interessiert. Wie sehr sie hier Einfluss gewinnen will und mit welcher Ausdauer sie daran arbeitet, sich hier zu vernetzen und zu verankern. Bannons Akademie, die nun wieder ihre Planungen aufnehmen kann, soll der Engländer Benjamin Harnwell leiten, ein ehemaliger Mitarbeiter eines Europaabgeordneten der Tory-Partei, der sich an Bannon wandte, weil Rocco Buttiglione, der Kandidat Silvio Berlusconis für den italienischen Posten in der EU-Kommission, 2004 wegen seiner rechtskatholischen Positionen abgelehnt worden war. Buttiglione hatte Homosexualität als Sünde bezeichnet. Assoziiert mit dem Institut waren bisher unter anderem erzkonservative Kardinäle wie Raymond Burke oder Robert Sarah.
„Teuflisch, aber brillant“
Steve Bannon hat Medienberichten zufolge schon 2019 für das Institut ein Curriculum ausgearbeitet, das eine Mischung aus libertärem und konservativ katholischem Denken kennzeichnen sollte. Die Rede ist von Kursen zum Islam, zur „Kirche als frühem Wirtschaftsunternehmen“, aber auch zum „kulturellen Marxismus“. Dass der marxistische Denker Antonio Gramsci inzwischen nicht nur auf der linken, sondern auch auf der rechten Seite gelesen wird, ist bekannt.
Bannon jedenfalls repräsentiert das politisch-kulturelle Europa-Interesse der neuen amerikanischen Rechten in besonders ausgeprägter Form. Bereits 2015, als die wachsenden Migrationsströme die politische Gemütslage verunsicherten, nahm er Kontakt zu rechtsgerichteten Parteien in Europa auf. Im Brexit erkannte er einen zeitenwendenden Moment. Schon im September 2014 hatte Bannon den britischen Brexit-Betreiber Nigel Farage nach Washington in sein Townhouse am Capitol Hill eingeladen und ihn am Kamin unter einem Ölgemälde von George Washington stehend von den Vorzügen des Nationalismus sprechen lassen.
Wenig später gründete Bannon dann unter dem Titel „The Movement“ eine Organisation, die rechtspopulistische und nationalistische Kräfte in Europa sammeln wollte. Als expliziter Gegenpol zur „Open Society“ von George Soros, der er zugestand, „zwar teuflisch, aber brillant“ zu sein, wollte Bannon eine schlagkräftige Interessenvereinigung europäischer Rechtspopulisten anführen. Allerdings blieb der Erfolg hier aus, denn Bannons Anziehungskraft schwand, als er bei Präsident Trump in Ungnade zu fallen schien. Kurzzeitig von seiner Idee enthusiasmierte europäische Rechte wie Marine Le Pen oder Geert Wilders wandten sich von der Idee eines gemeinsamen „Movements“ ab.

Die deutschen Rechtspopulisten hatten sich interessanterweise von Beginn an gegen Bannons Sammlungsidee ausgesprochen und mit antiamerikanischem Zungenschlag vor einer ausländischen Einflussnahme auf das rechte Europa gewarnt. Alexander Gauland erteilte dem Werben Bannons um eine zumindest geistige Partnerschaft mit der AfD im August 2018 eine deutliche Absage. Vor dem Hintergrund heutiger Sympathie-Rangeleien zwischen dem russlandfreundlichen und dem westlich orientierten Lager in dieser Partei scheint das vielleicht ein bisschen weniger überraschend als damals.
Ein instrumentelles Interesse an europäischer Geschichte
Woher aber speist sich Bannons Europa-Leidenschaft? Anders als andere Rechtspopulisten unserer Tage hat der 1953 in Virginia geborene Medienunternehmer durchaus einen intellektuellen Anspruch. Seine Reden und Meinungsbeiträge sind häufig mit Zitaten aus Werken von Julius Evola bestückt, jenem italienischen Antimodernisten, der an eine spirituell-aristokratische Ordnung glaubte und die neurechte Ideologie in Italien entscheidend mitbeeinflusst hat. Evolas Werk „Rivolta contro il mondo moderno“ steht bei Bannon griffbereit im Bücherregal.
Ebenfalls große Bewunderung hegt Bannon für den französischen Philosophen Charles Maurras, der sich als katholischer Nationalist am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts gegen die Idee der Aufklärung stellte und statt einer Fixierung auf das Individuum das Schicksal der Nation über alles erhob. Mit diesen rechten Gedanken aus Europa kann Bannon etwas anfangen.
Er, der sich selbst als ein „Kulturkämpfer“ sieht, der den Westen geistig erneuern müsse, hält immer wieder Reden, in denen er die christlich-jüdische Tradition Europas als in einer Krise befindlich und vom Islam bedroht zeichnet. Die von Maurras übernommene Unterscheidung zwischen „pays légal“ und „pays réel“ dient Bannon als historisch beglaubigte Leitdifferenz, um die staatliche Verfasstheit gegen das wahre Volk zu setzen, im Grunde also eine Delegitimierung der institutionellen Ordnung voranzutreiben.
Bannons rechter Postliberalismus, der das „Volk“ gegen die „Systemeliten“ stellt, bietet in Wahrheit aber nur eine Tarnung für seine libertären Ansichten und sozialdarwinistischen Hierarchie-Hoffnungen. Seine jüdisch-christliche Traditionsgläubigkeit verschwindet hier schnell wieder. Bannon hat wie der russische Präsident ein instrumentelles Interesse an europäischer Geschichte: 2014 bezeichnete er in einer Rede das Attentat auf Franz Ferdinand wehmütig als „Ende des Viktorianischen Zeitalters“ und kokettierte mit seiner monarchistischen Melancholie. Was Bannon an Europa bewundert, sind rechte Vorstellungen von Staat und Gesellschaft, die hier entwickelt wurden: der Gedanke der Souveränität und des radikalen Nationalismus.
Gralshüter der echten europäischen Werte
Dass sich das Europa von heute, so wie es sich momentan als weltpolitisch relevanter Bund demokratischer Staaten darstellt, wenig mit den europäischen Werten zu tun hat, an die Steve Bannon glaubt, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sein historistischer Reaktivierungsversuch politische Anziehungskraft entwickelt, auch unabhängig von seinem vielleicht überschätzten Einfluss auf die Regierungspolitik in Washington. Man kann sogar sagen, dass die Europa-Idee der neuen amerikanischen Rechten zu großen Teilen auf seinen Lektüren und Blickwinkeln aufbaut.
Bis in einzelne Formulierungen hinein prägt Bannon bis heute die Rhetorik amerikanischer Rechtspopulisten. So nimmt sich etwa die provokante bis umstürzlerische Rede, die Vizepräsident J. D. Vance am 14. Februar 2025 bei der Münchner Sicherheitskonferenz hielt, im Lichte von Bannons Europa-Idee betrachtet weit weniger überraschend aus als im Widerschein des alten transatlantischen Bündnisgedankens. Die Betonung von nationaler Souveränität und volksnaher Identität kulminierte bei Vance in der rhetorisch geschickten Feststellung: „Ich höre oft, gegen wen ihr euch, aber wenig darüber, was ihr in Europa eigentlich verteidigen wollt.“ Aus Bannons Sicht ist dieses „Was“ klar: Es geht um eine politisierte Vorstellung von Europas „jüdisch-christlichen Werten“, also um die Rechtfertigung einer moralischen Ablehnung des Liberalen als gesellschaftspolitischen Heilsbringers.
Dass Vance den für Europa militärstrategisch fatalen Verlust der „amerikanischen Anlehnungsmacht“ in gewisser Weise als eine Strafe für ebendiesen „Werteverfall“ deutet, ist für die Ohren europäischer Chefdiplomaten sicherlich gewöhnungsbedürftig. Das Scheitern ihres Versuchs, Beziehungen zum neuen „Sheriff“ im Weißen Haus aufzubauen, erklärt sich am Ende dann aber auch aus unterschiedlichen Begriffen von Europa. Dass sich die neue Trump-Regierung als Gralshüter der echten europäischen Werte wähnt, führt zu Verständigungsproblemen mit den echten Europäern von heute.
Der erste AfD-Politiker, „der Trump die Hand schüttelte“
Die Vertrauenslücke, die Trump willentlich gerissen hat, indem er sogar damit drohte, amerikanische Truppen aus Europa abzuziehen, wird kulturkämpferisch abgesichert durch den sogenannten „vibe shift“ in Richtung rechts. Während die Logik der Pax Americana lange Zeit die amerikanische Außenpolitik dadurch bestimmte, dass sie zur Verbreitung liberal-demokratischer Werte beitrug, ist nun eine Kehrtwende spürbar. Es werden andere Werte ins Feld geführt, an denen sich die amerikanische Politik orientiert.
Es sind die Werte eines „kompetitiven Autoritarismus“, die sich im expliziten Widerspruch zum liberalen Wertekosmos herausgebildet haben. Und doch kommt auch dieser andere Wert wieder aus Europa, namentlich vom ungarischen Regierungschef Viktor Orbán, auf den sich Trump bereits nach seinem ersten Wahlsieg direkt bezog. Sein Begriff der „illiberalen Demokratie“, der anfangs noch einen enormen Aufschrei hervorrief, wird heute als Analysebegriff eingesetzt, um rechtspopulistische Regierungsformen weltweit zu beschreiben.
Was sich verändert hat, ist auch der Anspruch. Während der inzwischen einundsiebzigjährige Bannon quasi noch auf altmodische Weise den physischen Nahkontakt zu rechten Geistestraditionen in Europa sucht, vertrauen die jungen Rechten von heute rein auf den digitalen Impulsaustausch. Das soeben bei Heyne erschienene Buch „Die Allianz der neuen Rechten – Wie die Trump-Bewegung Europa erobert“ von Annett Meiritz und Juliane Schäuble beschreibt das Verhältnis zwischen jungrechten Europäern und der MAGA-Bewegung als wechselseitige Like-Beziehung. So gelingt es deutschen Social-Media-Influencern immer wieder, nah an Trumps Umfeld heranzukommen. Im Schlepptau haben sie mitunter auch aufstrebende Jungpolitiker der AfD wie Phillipp-Anders Rau, der zusammen mit dem Influencer Leonard Jäger am 5. November 2024 in Trumps Anwesen Mar-a-Lago zu Gast war und danach ein Foto mit dem Präsidenten auf Instagram postete – als erster AfD-Politiker, „der Trump die Hand schüttelte“, wie er stolz bekannte.
Beim neuen transatlantischen Handschlag zwischen der amerikanischen und der europäischen Rechten geht es nicht darum, liberale Werte zu verteidigen, sondern das Paradigma des Liberalismus selbst infrage zu stellen. In diesem Streben wissen sich die beiden Partner mit dem russischen Präsidenten einig. Es geht darum, der Sorge vor den Folgen von Globalisierung, Einwanderung, steigenden Lebenshaltungskosten und niedrigem Wachstum rabiat Ausdruck zu verleihen. Und diese gemeinsame Lust am rabiaten Ausdruck verdrängt dann die zum Teil eklatanten Differenzen zwischen amerikanischer und europäischer Rechter etwa in der Außen- und Wirtschaftspolitik.
Noch wird die Mehrheit der Regierungen in Europa von Parteien der Mitte angeführt. Aber jetzt schon sind die rechtspopulistischen Parteien in Europa, auf die absolute Bevölkerungszahl gerechnet, populärer als alle anderen. Es könnte also durchaus sein, dass die in Amerika bislang auf militärische Einsatzbereitschaft zielende Unterscheidung zwischen einem „alten“ und einem „neuen“ Europa bald schon zur Absonderung des alten linksliberalen vom neuen rechtsautoritären Europa dienen wird. Und wer weiß, vielleicht wird an genau einer solchen Rochade der politischen Semantik in diesem Augenblick gearbeitet – dort oben hoch im Eichenwald, in der uralten Bibliothek eines italienischen Klosters.
