Stellantis-Chef Tavares tritt ab
Der Star der Autobranche kann sein Lebenswerk nicht retten
02.12.2024, 19:06 Uhr
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Carlos Tavares sanierte in der Vergangenheit Unternehmen, bei denen andere die Hoffnung längst aufgegeben hatten. Er schuf einen der größten Autokonzerne der Welt mit. Die Konkurrenz bestaunte die Gewinne, die er erwirtschaftete. Jetzt ist Tavares‘ Erfolgsrezept an seine Grenzen gestoßen.
Anfang dieses Jahres war Carlos Tavares noch der Superstar unter den Automanagern. Dass die Welt für den Boss des 14 Marken – von Peugeot und Citroen über Opel, Fiat und Alfa Romeo bis zu Chrysler und Jeep – umfassenden Autokonzerns Stellantis noch in Ordnung war, wäre eine Untertreibung: Im Februar gönnten ihm die Anteilseigner des von Tavares selbst geschaffenen Riesenkonzerns noch eine saftige Gehaltserhöhung um mehr als 50 Prozent – auf rund 36 Millionen Euro. Die Aktie stieg auf ein Rekordhoch. Stellantis erzielte Gewinne, von denen andere Massenhersteller kaum zu träumen wagten. „Warum haben wir nicht solche Margen?“, zitierte das „Handelsblatt“ im Frühjahr einen hochrangigen Manager des Konkurrenten VW.
Diese Zeiten sind noch nicht lange, aber nun endgültig vorbei. In der vergangenen Nacht gab Stellantis Tavares‘ Rücktritt mit sofortiger Wirkung bekannt. Einen Nachfolger will der Konzern erst im kommenden Frühjahr präsentieren. Bis dahin soll das schon seit Monaten von seinem Erfolgskurs abgekommene Unternehmen übergangsweise von einem mehrköpfigen Führungskomitee geleitet werden.
Bevor er Stellantis zum Erfolg führte, hatte Tavares bereits zwei andere, von manchen als hoffnungslose Fälle betrachtete Unternehmen saniert: den damals vor allem Peugeot und Citroen umfassenden französischen Autobauer PSA, dessen Chefposten Tavares 2014 übernahm, und die deutsche Traditionsmarke Opel, die 2017 in den Konzern integriert wurde. 2021 fusionierte PSA unter Tavares‘ Führung mit Fiat-Chrysler zum für viele Beobachter überraschend erfolgreichen Konglomerat Stellantis. Tavares‘ Rezept bei all seinen Erfolgen: Kosten senken! Tavares sei dabei etwa gegenüber Zulieferern noch härter vorgegangen als in der ohnehin mit harten Bandagen kämpfenden Branche, heißt es in einem Bericht der „Financial Times“.
Tavares‘ Sparkurs in den vergangenen Jahren war so knallhart, dass er nicht nur die eigenen Händler, Zulieferer, Mitarbeiter und Politiker gegen sich aufbrachte. Zuletzt glaubten nicht einmal mehr die Aktionäre, die Tavares‘ Erfolge in den vergangenen Jahren gefeiert hatten, dass weitere drastische Kostensenkungen eine nachhaltige Strategie für Stellantis sein könnten. Innerhalb weniger Monate war Stellantis vom Investorenliebling abgestiegen zum Sorgenkind der Branche. Absatz und Gewinn brachen ein. Der Aktienkurs rutschte von seinem Höchststand im März um mehr als die Hälfte ab.
„Keine Grenzen“ für Kundenwünsche
Ursache der Probleme war laut Tavares, dass von seinem Erfolgsrezept abgewichen worden war. Mit den gleichen Schwierigkeiten konfrontiert wie alle großen Autobauer – schwache Nachfrage steigende Rohstoffpreise und Gehälter, hohe Investitionen in die Transformation und neue Konkurrenz aus China – habe das lokale Management von Stellantis die Preise erhöht. Für Tavares ein schwerer Fehler: Denn das habe den Umsatz einbrechen, die Lagerbestände ansteigen und die Auslastung sinken lassen.
Im September tauschte der Stellantis-Chef die verantwortlichen Manager aus, um diesen Fehler aus seiner Sicht zu korrigieren. Der inzwischen 66-jährige Tavares kündigte auch seinen eigenen Rückzug an – für das Jahr 2026. Daran, dass seine Strategie die einzig richtige sei für Stellantis im ständigen „Überlebenskampf“ der Autobranche, ließ er keinen Zweifel. Profitabilität müsse vor allem durch Kostensenkungen erreicht werden. Einwände, dass bei Stellantis im Hinblick auf Kürzungen die Grenze des Möglichen erreicht sei und weitere Sparmaßnahmen die Qualität beeinträchtigen und die Marken beschädigen könnten, wies Tavares zurück: Für das, was der Kunde verlange, „gibt es keine Grenzen“.
Zuletzt ging Tavares‘ Kurs selbst Aktionärsvertretern zu weit. Jahrelang habe zwischen den Aktionären, deren Vertretern im Board des Unternehmens und dem Vorstandsvorsitzenden „perfekte Übereinstimmung“ geherrscht, teilte ein Board-Mitglied anlässlich von Tavares´ Rücktritt mit. Das Board ist ungefähr mit einem Aufsichtsrat vergleichbar. Doch in den vergangenen Wochen sei es zu so starken Meinungsverschiedenheiten gekommen, dass Tavares gehen musste. Wie Bloomberg unter Berufung auf einen Insider berichtet, soll beim Board, das etwa mit einem deutschen Aufsichtsrat vergleichbar ist, der Eindruck entstanden sein, Tavares’ Sparkurs könne die Profite von Stellantis höchstens kurzfristig in die Höhe treiben.
Der Manager wolle wohl vor seinem geplanten Ruhestand seine Erfolgsbilanz retten – riskiere dabei aber, „alle zu verärgern“ und neue Probleme für die Zeit nach ihm zu schaffen.