Start-up-Förderung der ESA: Innovation in Darmstadt

Mit Ideen von der Erde die Probleme im All zu lösen oder die Technik im All auf der Erde nutzbar zu machen – das sind die Ziele eines Programms, das so viele Start-ups unterstützt wie kaum ein anderes. 192 Unternehmen hat das Inkubator-Programm der Europäischen Raumfahrtbehörde ESA in Hessen schon unter die Arme gegriffen. Und damit geholfen, 900 Arbeitsplätze und Wertschöpfung in der Region zu schaffen.

ESA Business Incubation Centre (ESA-BIC) heißt der Inkubator, der seit knapp zwanzig Jahren in Darmstadt angesiedelt ist. Die ESA selbst entwickle keine Geschäftsmodelle mit Weltraumdaten, betont Andreas Kanstein, der Geschäftsführer des Cen­trums für Satellitennavigation Hessen (CESAH), bei dem der ESA-Inkubator angesiedelt ist. Außer in Darmstadt gibt es weitere ESA-Inkubatoren in Deutschland und in ganz Europa, Kanstein spricht vom größten Inkubationsprogramm Europas.

Das Ziel: die Kommerzialisierung der Raumfahrt

Gefördert werden Unternehmen mit Raumfahrtbezug unmittelbar nach der Gründung. Langfristiges Ziel sei die „Kommerzialisierung der Raumfahrt“: Aus öffentlichen Investitionen in Satelliten und Technologien sollen konkrete Anwendungen entstehen. „Die ESA möchte damit Firmen fördern, die Raumfahrtdaten nutzen“, sagt Kanstein – etwa von Galileo- oder Copernicus-Satelliten. Mittlerweile sind aber auch sogenannte Upstream-Gründungen im Programm, die Technologien nicht für die Verwendung von Satellitendaten auf der Erde, sondern für den Einsatz im All entwickeln, etwa für die bemannte Raumfahrt.





Dieser Text entstammt der aktuellen Ausgabe des F.A.Z.-Wirtschaftsmagazins „Metropol“.

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Das Fördermodell ist klar: 50.000 Euro, begrenzt auf zwei Jahre, die Finanzierung bleibt beteiligungsfrei. Das Geld für das Darmstädter Zentrum kommt je zur Hälfte vom Land Hessen und von der ESA beziehungsweise vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, das für die deutschen Beiträge zur ESA zuständig ist. Außerdem dazu gehören Mentoring und Workshops für die Gründer zu Themen wie Marktzugang, Investorenakquise oder zum persönlichen Auftreten, wie Bianca Nöthling sagt, die im BIC-Programm arbeitet und als Mentorin bei der Entwicklung der Geschäftsmodelle unterstützt.

Zu den Aufgaben der Mitarbeiter im BIC gehört auch Marktrecherche: Wie neu ist die Geschäftsidee, für die eine Förderung beantragt wird, wirklich? Man nehme nur Ideen auf „die ein Alleinstellungsmerkmal haben“, sagt Kanstein, denn das steigere die langfristigen Überlebenschancen des Start-ups. Fast 200 hat das ESA-BIC in Darmstadt mittlerweile gefördert. „Wir bereiten gerade den 192. Vertrag vor“, sagt Nöthling. Seit 2022 können bis zu 20 Jungunternehmen im Jahr unterstützt werden. Die Erfolgsquote sei hoch, mehr als 100 der geförderten Unternehmen existierten bis heute.

Satelliten nutzen zur Überwachung von Pipelines

Supervision Earth ist eines davon. Ursprünglich wollten die Gründer Sebastian Bußmann und Karsten Wiertz mit Satelliten den Straßenbau überwachen. Nach einem ESA-Hackathon 2018 wechselten sie zu Hochdruckgaspipelines. Ihre Software kombiniert Bilder der Copernicus-Satelliten und des US-Unternehmens Planet Labs mit Drohnenaufnahmen, KI-gestützt erkennt sie Bautätigkeiten, Ablagerungen oder Vegeta­tions­änderungen entlang von Pipelinetrassen, priorisiert Risiken und dokumentiert sie im eigenen Geoinformationssystem.

Weil durch die Software auf Überwachungsflüge mit Helikoptern verzichtet werden kann, sinkt der CO2-Ausstoß, Datenqualität und -sicherheit sollen dagegen steigen. Zwei E.ON-Töchter (Hansegas und Schleswig-Holstein Netz) nutzen das System bereits im Regelbetrieb. Nach rund 600.000 Euro an Fördermitteln – davon 50.000 Euro vom ESA-BIC – lag der Umsatz von Supervision Earth 2024 bei 500.000 Euro; 2026 wollen die Gründer die Million knacken. Acht Mitarbeiter beschäftigen Bußmann und Wiertz bereits.

Gründer von Aperio Space: Thomas Hoffmann
Gründer von Aperio Space: Thomas HoffmannStefan Nieland

Satellitendaten können aber nicht nur die Sicherheit auf der Erde erhöhen, sondern auch die im All, wie etwa Aperio Space zeigt. Das Unternehmen von Gründer Thomas Hoffmann will durch seine Software die Kommunikation „in Echtzeit“ zwischen Satelliten ermöglichen. So könnten etwa Kollisionen im All vermieden werden, aber auch bestehende Dienste wie Telekommunikation, Erdbeobachtung und Tracking würden günstiger, ist Hoffmann überzeugt.

Er unterbrach sein Master-Studium für ein Exist-Gründungsstipendium des Bundeswirtschaftsministeriums (rund 130.000 Euro), ESA-BIC und Land Hessen steuerten 50.000 Euro bei. 2026 soll die Aperio-Technologie auf drei Satelliten laufen und damit erstmals im All verwendet werden. Gespräche laufen zudem mit Akteuren aus Space und Defense, unter anderem mit der Bundeswehr. Geld verdienen wollen Hoffmann und das mittlerweile neunköpfige Team über die transferierte Datenmenge: Ein Euro je übertragenen Megabyte soll der Kunde am Ende zahlen.

Auch Upstream-Lösungen sind im Programm

Eine Upstream-Lösung, die durch das ESA-BIC gefördert wurde, ist Metalonn. Gegründet Ende 2023 von Emrah Fuat Talan und Arshad Mehmood, entwickelt das Start-up ultraleichte Hochfrequenzkomponenten für Antennen in der Luft- und Raumfahrt. Diese Bauteile ermöglichen drahtlose Kommunikation, etwa in Satelliten, und sollen nach Angaben der Gründer bis zu 15-mal leichter sein als die aktuell auf dem Markt übliche Technik. Das Verfahren für die Produktion der Komponenten ist patentiert.

Die Gründer von Metalonn: Emrah Fuat Talan (links) und Arshad Mehmood.
Die Gründer von Metalonn: Emrah Fuat Talan (links) und Arshad Mehmood.Stefan Nieland

Langfristig hält Talan ihren Einsatz auch in Drohnen und Kampfflugzeugen für möglich, in denen Gewicht und Größe entscheidend sind. Der Name Metalonn leitet sich von „Metal on nothing“ ab und meint filigrane Metallstrukturen ohne schwere Trägermaterialien. Aktuell sucht Metalonn Investoren für eine Pre-Seed-Finanzierungsrunde: Bis März 2026 soll eine Million Euro zusammenkommen, um Entwicklung, Pilotvorführungen und den Markteintritt zu beschleunigen. Bisher erhielten die Gründer durch das ESA-BIC sowie das Hessen-Push-Programm zusammen rund 100.000 Euro.

Die ESA unterstützt Jungunternehmen aber nicht nur in der Frühphase. Seit 2024 wird in ganz Deutschland ein „ESA Business Accelerator“ für Scale-ups angeboten, also für Unternehmen, die schon länger existieren und Wachstumskapital brauchen. „Es wird jetzt ausprobiert, ob es einen Mehrwert bringt“, sagt Kanstein über das Accelerator-Programm. Erste Adresse für die Frühphase bleibe der Inkubator, regional verankert, in enger Kooperation mit den Hochschulen und Unternehmen der Region. Kanstein geht es bei seiner Arbeit nicht um neue Techgiganten. „Unser Ziel ist der Mittelstand von morgen“, sagt er. Denn von den Technologien, die die Start-ups entwickeln, soll die Gesellschaft in der Breite profitieren. Durch innovative Lösungen, die letztlich auch Arbeitsplätze schaffen.