Stand: 09.10.2024 16:25 Uhr
Herzmuskelentzündungen sind die dritthäufigste Todesursache bei jungen Sportlern unter 35 Jahren. Auch scheinbar banale Infekte sollten niemals unterschätzt werden, warnen Mediziner. Daniel Engelbrecht kollabierte auf dem Fußballfeld und war dem Tod nahe. Er rät dem angeschlagen spielenden Tennisprofi Alexander Zverev: „Riskiere nicht zu viel!“
Wie vom Blitz getroffen sackt Daniel Engelbrecht zusammen. Das Herz des 22-Jährigen hat aufgehört zu schlagen an diesem 20. Juli 2013. Ohne gegnerisches Zutun ist er nach 70 Minuten der Drittligapartie seiner Stuttgarter Kickers gegen Rot-Weiß Erfurt plötzlich auf den Rasen gesunken und leblos auf dem Rücken liegengeblieben. Nach dem ersten Schock realisieren die Helfer schnell die dramatische Situation – Engelbrecht wird reanimiert und überlebt. Doch die Diagnose ist niederschmetternd und verändert sein Leben: Herzmuskelentzündung, chronische Herzrhythmusstörungen.
Engelbrecht-Comeback mit Defibrillator
„Ich habe mich in Topform gefühlt“, berichtet Engelbrecht im NDR Sportclub. Keine Anzeichen habe es gegeben, dass etwas nicht stimmt.“ Ein schrecklicher Einzelfall? Leider nein, sagt der Hamburger Internist und Sportmediziner Michael Ehnert. „Es passiert viel häufiger, als man denkt.“ Engelbrecht versucht nach drei Wochen Pause ein Comeback. „Nichts ist unmöglich“, prangt auf der Brust seines Trikots. Aber die Probleme bleiben.
Weitere Informationen
Nach vier Operationen spielt er mit einem speziellen Defibrillator, als erster Profifußballer überhaupt. Aber seine gewohnte Leistungsfähigkeit erlangt er nicht mehr. Der damals 27-Jährige beendet 2017 seine Karriere. Und warnt nun auf der Homepage einer Krankenversicherung: „Der Körper ist zwar leistungsbereit und für große Erfolge gemacht – aber trotzdem muss er achtsam und gründlich ‚gewartet‘ werden.“
Sport auf der Überholspur
„Eine Herzmuskelentzündung im Leistungssport ist besonders häufig, weil die Belastungen des Körpers enorm sind und keine Pausen eingelegt werden oder eingelegt werden können“, beschreibt Ehnert, der Leiter des Instituts für Sportmedizin und Prävention am Asklepios-Klinikum in Hamburg. Auch Engelbrecht hat auf der Überholspur nach dem Motto gelebt: „Die Liebe zum Fußball ist größer, als die Angst zu sterben.“ Heute wisse er, dass „mich dieser dumme Satz fast in den Tod getrieben hat“.
Pflicht zur Vorsorge und Check-ups
Grenzen könnten ausgelotet und auch mal überschritten werden, „aber immer muss die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit sportmedizinisch überwacht werden“, ergänzt Engelbrecht, der wie Millionen andere Menschen vor dem Fernseher mit ansah, wie der Däne Christian Eriksen bei der Fußball-EM 2021 auf dem Spielfeld mit einem Herzstillstand zusammenbrach. „Ich wusste sofort, was passiert ist, und bin froh, dass er bei Manchester United wieder spielen kann.“
Vorsorge und Check-ups sollten für Top-Athleten ebenso zur Pflicht gehören wie für Freizeitsportler, mahnt Ehnert. Seit Jahren betreut der Mediziner Hochleistungssportler im Olympiastützpunkt Hamburg – und er weiß: Zu viele seien einfach zu sorglos im Umgang mit der eigenen Gesundheit.
Diawusie stirbt plötzlichen Herztod
Engelbrecht konnte wie Eriksen und auch der Ex-Wolfsburger Bas Dost, der bei einem Spiel der niederländischen Eredivisie kollabierte, gerettet werden. Der 25-jährige Agyemang Diawusie nicht. Der Drittliga-Stürmer starb vor fast genau einem Jahr, am 28. November 2023, „an einem plötzlichen Herztod, mutmaßlich ausgelöst durch einen viralen Infekt mit Verdacht auf Herzmuskelentzündung“, wie sein Verein, der SSV Jahn Regensburg, später mitteilte.
Untersuchungen zeigen, dass die Herzmuskelentzündung die dritthäufigste Todesursache bei jungen Sportlern unter 35 Jahren ist. „Meistens sind es Viren, die über die Atemwege in den Körper gelangen und hin zum Herzmuskel verschleppt werden“, sagt Hans-Georg Predel, Leiter des Instituts für Kreislaufforschung und Sportmedizin an der Deutschen Sporthochschule Köln.
Komplikationen auch bei leichten Infekten
„Die Herzmuskulatur ist sehr stark durchblutet, damit das Herz funktionieren kann. Darin liegt die Schwachstelle“, so Predel. Strikte Schonung sei oberstes Gebot der Therapie, dann heile die Erkrankung meist ohne Folgeschäden aus. Wenn die oftmals symptomlos verlaufende Entzündung jedoch unentdeckt bleibe, drohten dramatische Konsequenzen.
„Jeder weiß: Nach einem Kreuzbandriss oder einem Knochenbruch muss ich einige Wochen pausieren“, sagt Ehnert. „Diese Erkenntnis gibt es bei internistischen, kardiologischen und allgemeinmedizinischen Problemen in der Regel nicht.“ Weil sie für Sportlerinnen und Sportler nicht direkt spürbar sind. Ehnert plädiert deshalb für mehr Information, „welche Komplikationen auch durch leichtere Infekte auftreten können“.
Lyles und Mihambo – im Rollstuhl aus dem Olympiastadion
Das gilt nicht nur für Fußballer. Den Medaillenglanz vor Augen startete 100-Meter-Olympiasieger Noah Lyles in Paris trotz Corona-Infektion – und obwohl er sich „wirklich schrecklich fühlte“ auch noch über 200 Meter. Und quälte sich zur Bronzemedaille. Im Ziel war er dermaßen erschöpft, dass er mit dem Rollstuhl aus dem Stadion geschoben werden musste.
Richtig fit war in Paris auch Malaika Mihambo nicht und verabschiedete sich nach Silber im Weitsprung ebenfalls im Sitzen aus der Arena. Noch geschwächt von einer Corona-Erkrankung im Vorfeld der Spiele verpasste die 30-Jährige ihren zweiten Olympiasieg. Und verkündete danach: „In Absprache mit meinen Ärzten habe ich mich entschlossen, die Saison vorzeitig zu beenden. Mein Körper braucht Erholung, um bald wieder voller Energie und Kraft ins Training einsteigen zu können.“
Risiko Überbelastung
Durch eine Überbelastung des Körpers kann das Risiko beträchtlich steigen, dass das Immunsystem weiter geschwächt wird und eventuell Infektionen befördert werden. „Und“, so Ehnert, „der Ausheilungsprozess nicht zum Ende kommt und dadurch sozusagen narbige Prozesse entstehen könnten; ob nun an Herzmuskelzellen oder auch im Lungengewebe und damit Erkrankungen nach sich ziehen.“ Bei Infekten, „die unterhalb des Halses liegen und die Bronchien beteiligen“ sei eine Pause zwingend geboten, bis die Symptomatik vollständig verschwunden ist, sagt er. Bei Fieber sowieso.
Zverev spielt krank – kein gutes Vorbild
Tennisprofi Alexander Zverev schlägt all diese Warnungen offenbar in den Wind. Trotz einer nicht auskurierten Lungenentzündung mit Fieber und Antibiotika-Therapie startete er beim Masters-Turnier in Shanghai, wo im Achtelfinale gegen den Belgier David Goffin das Aus kam.
Professionell oder unverantwortlich? „Wenn der Körper nach Ruhe schreit, muss man ihm die auch geben“, sagt Engelbrecht. „Achtsamkeit ist wichtig.“ Zverev aber „will 100 Prozent von dem geben, was ich habe“. Keine gute Idee, nennt das Ehnert: „Aber selbstverständlich verfügt er über einen hervorragenden Ärztestab. Da müssen wir das erst mal so hinnehmen.“
Engelbrecht: „Gesundheit steht über allem“
Er fühle sich zwar besser, aber natürlich sei das Problem mit der Lunge nicht verschwunden, meint Zverev und hegt doch keine Zweifel: „Es gibt nichts, was die Genesung verzögert oder verschlimmert, wenn ich spiele. Das hat der Arzt gesagt.“ Es sei keine Option, eine Auszeit zu nehmen, „wenn du ein ehrgeiziger, junger Mensch bist, der das Gefühl hat, noch nicht alles erreicht zu haben“.
Engelbrecht ist merklich erschüttert über eine solche Haltung: „Das ist naiv und leichtsinnig“, urteilt er. „Ich hoffe, dass er glimpflich aus der Sache rauskommt und jemand in seinem Umfeld sagt: Riskiere nicht zu viel! Du hast große Ziele, aber die Gesundheit steht über allem.“
Weitere Informationen