
„Such dir deinen book boyfriend aus!” Zur Auswahl stehen auf der Werbetafel der 158 Jahre alten Braunschweiger Buchhandlung Graff in der „New Adult“-Halle zwei Comicfiguren mit sehr großen Augen, muskulöser Brust und strubbeligen Haare. Von der Idee des „book boyfriend“ hat Laura Verena Stein zum ersten Mal vor zwei Jahren gehört, erzählt sie. Am Stand von „TintenSchwan“ spricht sie am Tag mindestens zweihundert Menschen an. „TintenSchwan“ vertreibt die romantische historische Fantasy von Autorin Ann-Kathrin Wasle.
So ein „book boyfriend“ sei eine besonders anziehende Figur, sagt Stein. Junge Frauen könnten so auch ausprobieren, was sie sich von einem Mann wünschten. Nun sind die Männer in romantischen Genre-Werken ja nicht immer die friedlichsten – doch das macht nichts, meint auch Messebesucherin Sofia Antoneli. Das „Toxische“ am „book boyfriend“ passt ja schließlich zur Trope „Durch die richtige Frau kann er ein anderer werden“. (fste.)
Frank Witzel löffelt aus
Löse Dein Problem! Wie geht das? Als Erstes musst du es genau formulieren. Klammer auf: Kann sein, dass es, das Problem, dann schon verschwunden ist. Oder sich jedenfalls ganz anders darstellt, als es in einer ersten Vorspiegelung aussah. Mit anderen, mit Frank Witzels Worten: Nicht alles, was man sich eingebrockt hat, muss man auslöffeln. Denn kann sein, man löffelt und löffelt und löffelt, und der Brocken wird doch nicht weniger, weil er ein anderer ist als jener, für den ihn der Löffler hält.
Man sieht schon: Witzels achtzig kleine Konkretismen in seinem neuen Buch „Komplexe Strukturen“ (darunter jene des „Einbrockens“) sind wahlweise Grotesken oder Traumbilder, immer aber schärfen sie die Erkenntnis – wie hier diese: es als ein Problem zu erkennen, „Antworten auf nicht genau ausformulierte Fragen zu präsentieren“. Also bitte nicht schludrig löffeln, sondern den Brocken zerbröckeln. (gey.)
In der Propaganda-Hölle
Die Free-Palestine-Bewegung ist mit alten Plakaten und Parolen gekommen und posiert vor den Messeeingängen, als hätte es die vorläufig positive Entwicklung der letzten Woche nicht gegeben. Müsste sie nicht genau jetzt das Ende der Hamas-Terrorherrschaft fordern? Es würde immerhin helfen, sie als solidarische Bewegung für ein freies Palästina ernst zu nehmen. Drinnen in den Hallen fällt ein Streifzug entlang der Stände der linken britischen Verlage ähnlich ernüchternd aus.
Differenzierte Perspektiven zum Nahostkonflikt findet man hier auf Anhieb nicht. Aber unzählige Bücher mit reißerischen Titeln wie „Gaza: The Story of a Genocide“, „The Destruction of Palestine is the Destruction of the Earth“, „The Gaza Catastrophe: The Genocide in World-Historical Perspective“. Die Vehemenz, auch des ausgelegten Infomaterials, kann leicht glauben machen, der Nahostkonflikt würde an diesen Ständen gelöst. Beruhigend ist einzig, dass dem nicht so ist. (tam.)
Ratlos im Wald der Welt
Wer auf die Buchmesse geht, um wiederzufinden, was er schon kennt, wird sich fast überall aufgehoben fühlen, zumal in Halle 1.2, die dem New-Adult-Kosmos gewidmet ist. Anders ist es in der Halle 4.1 mit den vielen Verlagen und Länderständen aus aller Welt, in denen Jahr für Jahr neue Teilnehmer auftauchen, mit je eigenen buchästhetischen Vorstellungen im Gepäck, die sich in ihren Büchern spiegeln.
Am großen ukrainischen Stand nimmt „Child Roland“ von Vladyslav Yerko nur einen Platz an der Regalwand ein, aber wer könnte an dem Buch mit den englischen Rittergeschichten vorbeilaufen, dessen Cover einen jungen Mann in schimmernder Rüstung zeigt, die Haare geflochten und in der Hand ein Kleeblatt? Blättert man im Buch, ist der Abglanz von Ikonenmalerei unübersehbar, die Züge der Protagonisten aber in der erratischen ritterlichen Welt sind ernst, oft ratlos. Unsere Zeitgenossen, hier wie dort. (spre.)