Spielfilm „Paternal Leave“: Ciao Sehnsuchtsort

Wenn jemand aus emotionalen Motiven von Deutschland nach Italien aufbricht, ist Vorsicht geboten. Zu groß das Verklärungspotenzial, im Leben und natürlich auch im Film. Insofern macht Alissa Jung mit ihrem Debüt „Paternal Leave“ gleich einiges richtig. Als Leo, die 15-jährige Protagonistin, nach einem Streit mit ihrer Mutter spontan in den Zug Richtung Adria steigt, findet sie am Ziel einen wolkenverhangenen Strand vor.

Das Meer wirkt unruhig, und in der Ferne ragen Industrieanlagen in den Himmel. Ciao Sehnsuchtsort. Hier ist nichts, das Haut oder Herz erwärmen könnte, nur eine Strandbude, deren Dach repariert werden muss. Leo ist hier, um einen Fremden zu treffen, von dem sie nur so viel weiß: Sein Name ist Paolo. Er ist Surflehrer. Und ihr Vater. „Paternal Leave“ geht von der Leerstelle aus, die im Leben eines Kindes entsteht, wenn ein Elternteil sich abwendet. Er erzählt vom Versuch der Tochter, diese Leerstelle zu begreifen, sie mit irgendetwas zu füllen, das real ist. Vielleicht sogar schön.

Nachdem die ersten Sätze zwischen ihr und Paolo gewechselt sind, folgt zunächst echte Ernüchterung: Leo muss sich übergeben. Das könnte leicht übertrieben wirken, dabei ist ihre Überwältigung wie sehr vieles in diesem Film gut beobachtet. Fühlen sich nicht gerade die lang ersehnten, endlos ausgemalten Begegnungen, die ein Leben so hergeben kann, am wenigsten filmreif an?

Dann wird kein gutes Gespräch geführt, sich in den Armen gelegen, sondern geschwitzt, gestammelt und manchmal eben gekotzt. Die Regisseurin inszeniert die drei Tage, die Leo und Paolo gemeinsam verbringen werden, als Abfolge von Annäherung und Rückzug. So spiegelt die Erzählung das Hin und Her der Wellen an der kalten Küste von Marina Romea.

Der Film

„Paternal Leave“. Regie: Alissa Jung. Mit Luca Marinelli, Juli Grabenhenrich u.a. Deutschland/Italien 2025, 103 Min.

Was den Film wärmt, ist die Reibung zwischen Juli Grabenhenrich und Luca Marinelli. Grabenhenrich spielt Leo – es ist wirklich ihre erste Hauptrolle – mit der Wut und Verletzlichkeit des verlassenen Kindes und dem rührend überheblichen Trotz, den Teenager am allerbesten beherrschen. Marinelli, zu Recht in der A-Liga des italienischen Schauspiels, zeigt Paolo als ungeschickten Kommunikator mit wachsenden Gefühlen für das Mädchen, das wie er niesen muss, wenn es Schokolade isst.

Den Kindern den Rücken kehren

Als es ihn in einem verhörähnlichen Interview auffordert, endlich Antworten zu liefern, gibt er in liebenswertem Italiener-Englisch zu bedenken, dass man sich so nicht kennenlerne. Als Vater kommt er indes nicht allzu gut weg. Da sind nicht nur die 15 Jahre, in denen er nie versucht hat, sein Kind kennenzulernen. Er hat noch eine Tochter, die ebenfalls bei ihrer Mutter lebt. Man würde ihm als Zuschauerin nun gern ein entnervtes stronzo an den Kopf werfen, doch Jung widersteht der Versuchung, Paolo als chronisches manchild abzutun.

Sie habe verstehen wollen, warum Menschen ihren Kindern den Rücken kehren, sagt sie. In der überragenden Mehrheit sind diese Menschen nach wie vor Väter, allen Debatten über geteilte Care-Arbeit und Elternzeiten zum Trotz. Sicher hätte Alissa Jung vielen Alleinerziehenden, die täglich Verantwortung für zwei übernehmen, leicht zu etwas comic relief verhelfen können, hätte sie Paolo als überflüssigen Mann vorgeführt. Stattdessen spricht „Paternal Leave“ zu den Kindern dieser Männer, vielleicht ja auch zu den Männern selbst.

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Dem sogenannten Mutterbild gesteht der Film eine wohltuende Pause zu. Damit reiht er sich in die wachsende Zahl jüngerer Titel wie „Aftersun“ oder selbst „One Battle After Another“ ein, die sich für die Beziehung zwischen Vätern und Töchtern interessieren. Idealisiert wird darin nichts, aber manchmal entsteht etwas Schönes.