Speedway-Weltmeisterin Celina Liebmann: Die Beste der Welt – Sport

Sie lag auf der Bahn in Güstrow in der Nähe von Rostock, sie rang nach Luft und konnte sich nicht mehr bewegen. Celina Liebmann war bei der deutschen Speedway-Meisterschaft 2017 schwer gestürzt. Wenig deutete in diesem Moment darauf hin, dass die Draufgängerin ihre Karriere würde fortsetzen können. Mit dem Rettungshubschrauber kam die damals 16-Jährige ins Krankenhaus, Diagnose: Brustwirbelbruch, haarscharf an einer Querschnittslähmung vorbei. Doch selbst diese heftige Verletzung brachte sie nicht dazu, aufzuhören. „Zwei, drei Tage lang war ich sicher, dass es vorbei ist“, sagt sie heute, gut sieben Jahre später. „Aber nach der Genesung war das überhaupt kein Thema mehr.“

Der Motorrad-Rennsport ist hart, das hat die Speedway-Fahrerin in ihrer Karriere schon oft genug erleben müssen. Einmal brach sie sich den Oberarm und gab ihrem Vater Jürgen noch während der ärztlichen Erstversorgung schon mal die unmissverständliche Anweisung: „Bring die Motorräder zum Wertstoffhof.“ Tat er natürlich nicht.

Und das war die richtige Entscheidung aus Sicht von Celina, die sich selbst mit „Z“ wie Zeppelin spricht. Die 23-Jährige ist Motorsportlerin mit Leib und Seele und gnadenlos, wenn sie sich in extremer Schräglage in die Kurve legt und mit 75 Sachen auf einer 500-Kubikzentimeter-Maschine mit nur einem Gang auf der ovalen Bahn um vordere Platzierungen kämpft. Als Kraftstoff wird Methanol verwendet, weil der Alkohol bei der Verbrennung mehr Leistung bringt als Benzin. Die Bikes haben keine Bremsen, der Speed wird nur durch das Gasgeben bestimmt.

Mitten im Pulverdampf: Celina Liebmann aus Wasserburg (violettes Motorrad) zwischen dem Dänen  Rasmus Jensen und  dem Tschechen Jan Kvech bei einem Rennen in Prag. (Foto: Katerina Sulova/CTK Photo/Imago)

Die zierliche Wasserburgerin, die in Albaching im Landkreis Rosenheim lebt, ist nicht weniger als die beste Frau, die in dieser Sportart weltweit unterwegs ist. Das ist seit dem Juni 2024 amtlich, da nämlich holte sich Liebmann den Titel bei der allerersten Frauen-WM auf der Bahn von Teterow in Mecklenburg.

Wie ist es denn nun, tatsächlich die Beste der Welt zu sein? „Es fühlt sich cool an. Bei mir war es immer schon so, dass dieser Stempel mir sehr viel Druck macht. Aber so wie an diesen Tag war es noch nie. Jeder hat gesagt, dass ich gewinne. Und wenn ich das nicht geschafft hätte, wäre es ein Riesenthema gewesen“, sagt sie. Celina Liebmann marschierte durch den Wettbewerb, gewann all ihre Vorläufe, qualifizierte sich souverän fürs Halbfinale, siegte auch in jenem Rennen und stand im Endlauf um die Medaillen. Dort erwischte sie einen guten Start und bekam vom Drama hinter ihr gar nicht viel mit: Die Zweitplatzierte Nynke Sijbesma aus den Niederlanden kollidierte heftig mit der Dritten, Anika Loftus aus Australien. Die Bande war komplett zerstört, beide Fahrerinnen mussten mit Knochenbrüchen ins Krankenhaus gebracht werden.

Bei der WM stand sie mit den Müttern ihrer Konkurrentinnen auf dem Podest, die Fahrerinnen mussten ins Krankenhaus

Das Rennen wurde nicht gewertet, stattdessen bildete die Jury aus den vorhergehenden Runden eine Punktewertung – Liebmann war Weltmeisterin, hinter ihr reihten sich die beiden Gestürzten ein. Es sei „schon merkwürdig“ gewesen, „als ich dann mit den Müttern der verletzten Kolleginnen auf dem Podium stand“, sagt Liebmann.

An dieser skurrilen Szenerie lag es nicht, dass ein anderer sportlicher Erfolg für Liebmann „damals emotional mehr wert“ gewesen ist, wie sie selbst sagt. 2017 hatte sie bei den U17-Junioren die Silbermedaille bei der Weltmeisterschaft in der Klasse bis 250 Kubikzentimeter gewonnen – wohlgemerkt gegen lauter Jungs. „Das war so ein krasses Rennen. Ich war nach dem Start auf Platz fünf unter sechs Fahrern, dann habe ich noch drei überholt. Am Ende haben alle geheult vor Freude.“

Womit die Familie gemeint ist, Liebmanns ganz großer Rückhalt. Ihr Vater schraubt als Mechaniker an ihren Motorrädern, Mutter Sylvia kümmert sich um die Organisation, ihre beiden Geschwister sind ebenfalls voll engagiert. Ohne Papa Jürgen wäre sie niemals Rennfahrerin geworden.  Der 54-Jährige war zehn Jahre lang als Eisspeedwayfahrer erfolgreich, gewann Silber und Bronze bei der Mannschaftsweltmeisterschaft und wurde mehrmals Zweiter bei der Deutschen Meisterschaft in dieser gefährlichen Sportart, in der die Piloten mit 28 Millimeter langen Spikes an den Reifen unterwegs sind.

Die Karriere im Blick: Schon mit fünf Jahren wusste Liebmann, dass sie Speedway-Rennfahrerin werden will.  Hier wartet sie als Neunjährige auf den Start eines Rennens. (Foto: Privat)

Als Celina fünf Jahre alt war, nahm der Vater sie mit zu einem Speedway-Rennen in Olching im Landkreis Fürstenfeldbruck. „Seit dem Tag wollte ich fahren. Und seither fahre ich auch“, sagt sie. Der Vater organisierte ihr für ein Schnuppertraining eine Yamaha PW 50, die speziell für Kinder konzipiert wurde. Und Celina war vom Speedway-Virus infiziert. Sie wechselte schon bald auf eine 50-Kubik-Vollcross-Maschine, und dann ging es auch schon mit den ersten Rennen los. Einmal sei sie sogar gegen den legendären vierfachen Sandbahn-Weltmeister Karl Maier gefahren, „ich mit einer 125er, er mit der 500er“.

Schon bald war sie bei den Junioren erfolgreich, mittlerweile hat sie sich in der Szene einen Namen gemacht – auch weil sie es als allererste Frau schaffte, einen Platz in der Speedway Great Britain (SGB) Championship, der zweiten Liga der traditionsreichsten Speedway-Meisterschaft der Welt, zu ergattern. Den Kontakt hatte sie vor zwei Jahren geknüpft, als sie das erste Mal überhaupt in England war und an der British Open Women Championship teilnahm. Als sie in Workington in der Nähe der schottischen Grenze fuhr, waren die Verantwortlichen des dort ansässigen Teams von Celina Liebmann begeistert. Prompt erhielt sie für 2024 einen Vertrag, auch wenn ihr nicht immer ganz klar war, was die Teamchefs von ihr wollten:  „Der Dialekt dort ist so heftig und die haben sich auch überhaupt nicht zusammengerissen. Ich musste manchmal fünfmal nachfragen. Dann haben sie es ins Handy eingetippt. Das Problem ist, dass die genauso schreiben wie sie reden.“

Kleines Bike, großes Herz: Celina Liebmann bei einem Nachwuchsrennen. (Foto: Privat)

Es sei eine große Ehre gewesen, als erste Frau dort mitzufahren. Seither hat sie sogar eine englischsprachige Wikipedia-Seite, eine deutsche gibt es hingegen noch nicht. In ihrem Team fuhr sie mit dem Australier Troy Batchelor, dem Finnen Antti Vuolas, dem Engländer Craig Cook und dem Dänen Claus Vissing. „Die waren alle total cool und super kommunikativ“, erzählt sie. Die Monate ganz alleine in einem fremden Land haben sie reifen lassen. Sportlich lief es gut, unter neun Teams landeten die Workington Comets auf Rang vier, sie unterlagen im Playoff-Halbfinale gegen den späteren Meister Poole Pirates. Obwohl Liebmann gut gefahren ist, sieht es derzeit eher so aus, als ob das Engagement in der neuen Saison nicht weitergeht. Die Mannschaften werden nach einem komplizierten Punktesystem zusammengestellt – und da passt sie derzeit nicht in den Kader der Comets.

In Wittstock verwickelt sie ein Ukrainer in einen heftigen Unfall: „Ihm war scheißegal, was mit mir war.“

Bleibt die Frage, ob ein anderes Team sie verpflichtet. Und da kommt ein Thema auf, das Celina Liebmann seit jeher begleitet: ihre Rolle in der Männer-Domäne Rennsport. „Grundsätzlich finden es die Jungs immer cool, gegen Mädchen zu fahren. Aber wehe, man besiegt sie“, sagt sie. Damit müsse sie seit fast zehn Jahren leben: „Als wir klein waren, hat es keinen interessiert. Aber mit 14 wird es dann so, dass keiner gegen ein Mädchen verlieren will.“ Diese Wut, die eine schnelle Frau bei stolzen Konkurrenten auslösen kann, ist manchmal nicht ungefährlich: 2020 in Wittstock in Brandenburg war der Ukrainer Andriy Rozaliuk so genervt von Liebmann, dass er sie in einen heftigen Unfall verwickelte, bei dem sie sich das Handgelenk zertrümmerte, zudem Elle und Speiche brach.

„Es war definitiv sehr unfair und sehr unsportlich von ihm“, sagte sie damals dem Fachmedium Speedweek.com. Rozaliuk hatte sich sogar noch aufgerappelt und ins Ziel gerettet:  „Ihm war scheißegal, was mit mir war.“ Sie vermute, dass er nicht damit umgehen konnte, dass eine Frau vor ihm fährt, so Liebmann.

Verletzungen bedeuten immer Verdienstausfall, denn Geld gibt es nur, wenn man zu Rennen antritt. Je mehr Punkte ein Speedway-Profi einfährt, desto mehr Geld verdient er. Aber ohne Sponsoren wäre das Geschäft nicht zu finanzieren, zu teuer sind die Reisen und auch das technische Equipment. Liebmann hatte als Erzieherin gearbeitet; als sie vor einigen Jahren ihr erstes Liga-Engagement in Polen unterschrieb, kündigte sie ihren Job und hilft seither bei ihrem Hauptsponsor aus, einer Hausmeisterfirma in Wasserburg. Hecke schneiden, auf Dächer klettern und Dachrinnen ausräumen oder im Winter Schneeräumen – für die 23-Jährige sind solche Tätigkeiten kein Problem. Und im Vergleich zu ihrer Leidenschaft Speedway ist sowieso vieles harmlos.