Special Olympics Weltwinterspiele in Turin: „Inklusion ist Menschenrecht“

Herr Albrecht, Sie sind Bundesgeschäftsführer von Special Olympics Deutschland und nun in Turin, wo zurzeit die Special Olympics Weltwinterspiele stattfinden, der größte Wettbewerb für Athletinnen und Athleten mit geistiger Beeinträchtigung. Welche Bedeutung haben die Spiele für Sie und die 53 deutschen Sportlerinnen und Sportler?

Noch immer herrschen sehr viele Vorurteile gegenüber Menschen mit geistiger Beeinträchtigung. Bei diesen Spielen geht es uns immer darum, diese Vorurteile abzubauen, indem wir zeigen, wozu die Athletinnen und Athleten in der Lage sind. Wir schaffen hier wichtige Begegnungen. Die Spiele sollen zeigen: Man soll vor Menschen mit geistiger Beeinträchtigung weder Angst noch Mitleid mit ihnen haben.

Ist das für Sie die Kernbotschaft der Spiele?

Es geht vor allem um Respekt. Die Spiele zeigen uns: Wie gehen wir miteinander um? Wie weit nehmen wir Rücksicht aufeinander? Wie weit akzeptieren und bemessen wir die Leistungen von anderen? Wie unterstützen wir uns dabei gegenseitig? Wie denkt man nicht nur in den Grenzen von Nationen, was ja sonst sehr häufig der Fall ist? Bessere Botschafter für ein solches Verständnis als unsere Athletinnen und Athleten mit ihrer Offenheit, Herzlichkeit, Klarheit können wir uns gar nicht vorstellen. Das alles geht im Moment leider in unserer Gesellschaft ein Stück weit verloren.

Geschäftsführer von Special Olympics Deutschland: Sven Albrecht
Geschäftsführer von Special Olympics Deutschland: Sven AlbrechtSpecial Olympics Deutschland
Der rechtsextreme AfD-Spitzenpolitiker Björn Höcke bezeichnete die Inklusion in der Schule 2023 als „Ideologieprojekt“. Davon müsse das Bildungssystem „befreit“ werden. Befürchten Sie mit Blick auf die Wahlergebnisse, dass sich solche Positionen in Deutschland ausbreiten?

Der Rechtsruck ist ja nicht nur ein Phänomen in Deutschland, sondern ein weltweites. Wir von Special Olympics Deutschland beobachten das mit großer Sorge und haben dazu eine klare Haltung, vor allem weil wir in einem Land leben, wo schon mal Menschen mit geistiger Beeinträchtigung Opfer beispielloser Gewalt wurden. Unsere Haltung ist: Inklusion ist keine Ideologie, sondern ein Menschenrecht. Deswegen stehen wir da ganz klar für ein und kämpfen dafür. Wir haben in Deutschland aufgrund der Verbrechen während der NS-Zeit eine besondere Verantwortung.

Warum sind in Deutschland nur acht Prozent der Menschen mit geistiger Behinderung im Sport aktiv?

Zuerst muss man sagen, dass Deutschland 2009 die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen ratifiziert hat. Menschen mit Beeinträchtigung sollen demnach selbstbestimmt und gleichberechtigt in unserer Gesellschaft leben können. Es ist ein deutlicher Rückenwind vonseiten der Politik spürbar gewesen. Das Thema stand stärker in der Öffentlichkeit. Mit der Ausrichtung der Special Olympics World Games 2023 in Berlin konnten wir ebenfalls viel bewegen und viel Aufmerksamkeit bekommen. Das Problem ist, dass diese Aufmerksamkeit nach solchen großen Ereignissen häufig abflaut. Die Probleme aber bleiben. Dazu zählt, dass zu wenig für Barrierefreiheit in vielen Sporteinrichtungen getan wird, es zum Beispiel zu wenige Trainer und Trainerinnen gibt, die speziell ausgebildet sind und es damit auch insgesamt zu wenige Sportangebote für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung gibt.

Was fordern Sie von der nächsten Bundesregierung?

Unser Wunsch ist es, dass das Thema Inklusion, die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Koalitionsvertrag ein zentrales Thema sein wird und nicht nur eine Randnotiz. Denn es hat ja Auswirkungen auf alle Lebensbereiche. Und deswegen brauchen wir ein klares Statement der künftigen Regierung bei der weiteren Umsetzung.

Die aktuelle Regierung hat die deutsche Delegation für Turin mit 400.000 Euro gefördert, ist damit auch eine Erwartungshaltung verbunden, etwa eine gewisse Zahl von Siegen?

Bei den Spielen gibt es offiziell kein Ranking. Aber intern schauen wir schon, wo wir erfolgreich waren und wo man nachbessern kann. Aber man muss auch verstehen, dass wir uns genau in diesem Punkt von den Olympischen Spielen unterscheiden. Unsere Stärke liegt in der sozialen Botschaft, in den Lebensgeschichten unserer Athleten und Athletinnen und der Lebensfreude, die sie bei den Wettkämpfen ausstrahlen. Da ist eine unglaubliche Tiefe drin, und die wollen wir noch sichtbarer machen.