SPD-Mitgliederentscheid: Hilfe, bald ist ja schon Ostern!

350.000 Briefe wird das Willy-Brandt-Haus demnächst verschicken, und auf die Antworten wird man in der SPD-Zentrale sehr gespannt sein. Denn mit den Briefen befragt die Partei ihre 350.000 Mitglieder, ob sie dem
Koalitionsvertrag mit CDU und CSU zustimmen. Erst dann kann eine
Bundesregierung zustande kommen. Mit der Post erhalten alle Mitglieder einen
Zugangscode, um binnen einer Woche digital abzustimmen. 

Leicht wird es vielen Sozialdemokraten bestimmt nicht fallen,
Friedrich Merz zum nächsten Bundeskanzler zu machen. Schließlich haben sie
gegen den CDU-Chef eben noch Wahlkampf geführt. Weniges hat so sehr mobilisiert,
wie die Aussicht, diesem Mann ein schlechtes Ergebnis zu bescheren. In vielen
SPD-Kreisen gilt Merz als Populist, als Macho oder Wirtschaftslobbyist. Auch
seine Abstimmung mit der AfD im Bundestag, entgegen vorheriger anderslautender
Beteuerung, hat kein Sozialdemokrat vergessen. 

Dennoch gibt sich die Parteispitze jetzt zuversichtlich. Alles andere als ein positives Votum wäre eine
Überraschung, gerade in dieser außen- und wirtschaftspolitischen Krisenlage.
Außerdem wissen die Strategen im Willy-Brandt-Haus: Die SPD ist eine durch und
durch staatstragende Partei. Im Zweifel gilt der alte Spruch von Franz Müntefering, den
fast jeder Sozi schon zitiert hat: Opposition ist Mist.

Große Mehrheit fürs Regieren

Das zeigte sich bereits vor fast
genau sieben Jahren. Damals, im März 2018, war das Ergebnis der
Mitgliederbefragung
weit weniger knapp, als viele zuvor erwartet hatten:
Zweidrittel der SPD-Mitglieder stimmten für die Koalition mit der Union. Das
Votum fiel eindeutig aus, obwohl die parteiinterne Kritik zuvor so stark wie
nie war. Und obwohl es mit Kevin Kühnert einen virtuosen Groko-Gegner gab, dem
die meisten Genossen gern zuhörten, selbst die, die anderer Meinung als er waren.
 

Auch 2013 stimmte eine große Mehrheit
der SPD-Mitglieder (76 Prozent) im Bund pro Groko. In den Bundesländern ist es
nicht anders: In Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern oder Berlin – überall
entschieden sich die befragten Mitglieder zuletzt in ihrer großen Mehrheit fürs
Regieren und die damit verbundenen Kompromisse.

Warum dann überhaupt das Ganze? Wenn
von einer Bestätigung doch ohnehin auszugehen ist, könnte man sich dann nicht
auch das Verfahren sparen, das Zeit und Geld kostet – und die Regierungsbildung
aufhält?  

Eine Antwort lautet: Die Befragung stärkt die
Verhandlungsposition der SPD. Der Verweis auf die eigene Basis, die das Ganze
noch absegnen muss, ist ein nicht zu unterschätzendes Druckmittel. Darauf
setzten schon die letzten Groko-Verhandler der SPD, Andrea Nahles und Olaf
Scholz. 

Hohe Erwartungen an die Parteispitze

Auch diesmal glaubt die SPD-Spitze,
bislang gut verhandelt zu haben. Das mehrere Hundert Milliarden Euro schwere
Sondervermögen, auf das sich die Verhandler schon in den Sondierungsgesprächen
verständigt haben, hat viele sozialdemokratischen Gemüter beruhigt. Die
CDU hat sich auf die SPD zubewegt, dadurch sind neue Spielräume entstanden.
„Das trägt die Koalitionsverhandlungen“, sagt jemand aus dem
Willy-Brandt-Haus.  

Aber reicht das? Die Linken in der Partei finden: Die neuen Sondervermögen seien ja schön und gut. Aber es gebe
Forderungen der Merz-CDU, die die SPD keinesfalls mittragen könnte. 

Der Juso-Chef Philipp Türmer
formuliert im Gespräch mit ZEIT ONLINE seine Erwartungen so: „Die SPDlerinnen in
der Steuerungsgruppe müssen jetzt genau das tun, was der Name sagt: dringend
nachsteuern.“ Türmer kritisiert die „Mentalität“ der Union „bei Migrationsfragen,
die auch in den Sondierungen und Arbeitsgruppenpapieren durchschien“: Der
diskutierte „Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft bleibt weiterhin zutiefst
falsch und unmenschlich“, sagt der Juso-Chef. Auch warnt er davor, im Arbeits-
und Sozialbereich Errungenschaften abzuschaffen und fordert mehr Steuern
für Wohlhabende. 

Auch andere SPD-Politiker wollen vor allem die Kapitel im Koalitionsvertrag zur Staatsbürgerschaft, Wehrpflicht oder Atomkraft sehr kritisch durchlesen, bevor sie abstimmen. Zudem sind die Unionsprojekte Mütterrente und Agrarsubventionen in der SPD eher verpönt, werden
aber wohl nicht ausschlaggebend sein. 

Die Erwartungen an die Parteispitze,
was die finale Phase der Koalitionsverhandlungen angeht, die an diesem
Wochenende begonnen haben, sind also hoch. Lars Klingbeil und Friedrich Merz, die
sich seit Kurzem duzen, kommen mit anderen 17 Spitzenpolitikern von CDU,
CSU und SPD zusammen, um die offenen Fragen zu klären.

Bitte nicht mitten in den Osterferien

Die Juso-Spitze deutet bereits an,
dass sie wenig gewillt ist, dem bisher Ausgehandelten zuzustimmen. Allerdings
nicht mit der gleichen Verve wie einst Kühnert 2018. 

Mehr noch als renitente Jusos treibt
die SPD-Spitze etwas anderes um: das Timing. Die Abstimmung über den
Koalitionsvertrag könnte in die Osterzeit fallen. Das wäre „extrem
unglücklich“, heißt es aus der Parteizentrale. In den Ferien sind viele Mitglieder verreist und
kämen nicht an ihren Brief und damit an die Zugangsdaten für die Onlineabstimmung.  

Deshalb drängt die SPD-Spitze derzeit
darauf, dass zumindest einige Abstimmungstage außerhalb der Ferien liegen
müssten. Das würde aber entweder bedeuten, dass sich die Verhandler nun sehr
beeilen müssen. Was wiederum dem jüngst verkündeten Anspruch widerspräche:
Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit. Oder man müsste Ostern noch abwarten. Das
allerdings widerspräche dem Vorsatz, möglichst schnell eine handlungsfähige
Regierung zu bekommen.  

SPD-interne Kritiker sehen den größten Hebel,
diese Koalition noch zu verhindern, aber ohnehin nicht im Mitgliederentscheid,
sondern in der dünnen Mehrheit von Union und Sozialdemokraten im Bundestag. Gerade mal 13 Stimmen beträgt diese. Ein gutes
Dutzend Abweichler im Bundestag bräuchte es, rechnet einer vor, um die Merz-Regierung zu verhindern. Gegen die Koalition zu stimmen, dürfte SPD-Abgeordneten aber deutlich leichter fallen, wenn vorher auch viele Mitglieder nein gesagt haben. Letztlich hängt doch beides miteinander
zusammen.