SPD: „Die SPD fällt gerade in alte Muster zurück“

Ein hohes Amt hatte Karl Adam in der SPD nie inne. Er war 21 Jahre an der Basis aktiv, mal als Geschäftsführer des Kreisverbands Hamburg-Mitte, mal saß er für die SPD im
Göttinger Stadtrat, und drei Jahre lang bildete er kommunalpolitischen
Nachwuchs aus. Diese Woche trat der 45-jährige Unternehmensberater aus Frust über den politischen
Kurs unter Olaf Scholz aus der Partei aus und machte seine Enttäuschung in einem Facebook-Post öffentlich. Wir haben ihn in seinem Büro in
Göttingen erreicht.

ZEIT ONLINE: Herr Adam, Sie sind nach 21 Jahren aus
der SPD ausgetreten. Warum?

Karl Adam: Das war keine Impulshandlung. Es ist das
Ergebnis eines längeren Entfremdungsprozesses. Die SPD fällt gerade in alte
Muster und Fehler zurück. Und diesen Weg kann ich nicht mehr mitgehen.

ZEIT ONLINE: Aber einen Auslöser muss es doch gegeben
haben. 

Adam: Ja, in erster Linie sind das die Verhandlungen
der SPD mit dem BSW in Brandenburg
. Ich finde es besorgniserregend, mit welcher
Leichtigkeit sich die SPD einer Person wie Sahra Wagenknecht in die Arme wirft.
Einer Person, die nicht nur einen bizarren und peinlichen Personenkult um sich
selbst betreibt, sondern vor allem einen vergifteten Frieden zwischen Russland
und der Ukraine anstrebt. Einen Frieden, der für viele Menschen nicht Freiheit,
sondern Folter und Demütigung bedeutet.

ZEIT ONLINE: Und Sie meinen, Brandenburgs Ministerpräsident
Dietmar Woidke, ihr jetziger Ex-Genosse, durchschaut das nicht?

Karl Adam © privat

Adam: Ich habe das Gefühl, die Genossen dort sind
blind für die Gefahren, die ein Bündnis mit dem BSW mit sich bringt. Auch, weil
manche mittlerweile fast genauso euphorisch von einem Frieden mit dem
Putin-Regime träumen. Sie verkennen dabei aber, dass das BSW ähnlich gefährlich
ist wie die AfD. Es handelt in Putins Interesse, der das deutsche Parteienwesen
destabilisieren will. Und wir machen da mit. Und dann war da noch die Äußerung
des neuen SPD-Generalsekretärs Matthias Miersch, der ausgerechnet jetzt in dieser sehr
schwierigen Lage, in der sich die Ukraine befindet, eine Person wie Gerhard
Schröder rehabilitiert und ihm weiter einen Raum in der deutschen Sozialdemokratie
zugesteht
. Das hat in mir Wut, Ekel und Unverständnis ausgelöst.

ZEIT ONLINE: Ekel ist ein hartes Wort.

Adam: Nicht, wenn man sieht, worum es hier geht. Olaf Scholz sprach von der Zeitenwende. Auch habe ich verschiedene Einlassungen von
Lars Klingbeil 2022 so verstanden, dass man vor dem Hintergrund des
Ukrainekriegs in Bezug zu Russland und Osteuropa eine Neuorientierung anstrebt.
Da hatte ich Hoffnung, dass wir aus den Fehlern der SPD in der Vergangenheit
lernen. Doch das ist nicht nur alles versandet, es geht sogar in die
Gegenrichtung. Schröder redet Putin das Wort, einem Kriegsverbrecher, Diktator
und Faschisten. Es ist doch erbärmlich, dass die SPD nicht in der Lage ist,
hier einen klaren Strich zu ziehen und zu sagen, dass wir damit nichts zu tun haben
wollen.

ZEIT ONLINE: Die SPD fällt also in alte Muster der
Russlandnähe zurück?

Adam: Ja. Ich bin die SPD eingetreten, weil sie
wie keine andere für den Kampf gegen den Faschismus stand und ein
antitotalitäres Erbe zu bewahren hat. In den letzten Jahren hat die Partei
diesen Kurs immer weiter verlassen. Das betrifft insbesondere die Ostpolitik, die
zuletzt immer mehr pervertiert wurde. Angefangen haben meine Zweifel 2014 mit
der Annexion der Krim durch Russland, wo es zu wenig deutlichen Widerspruch
gab. Auch den Nord-Stream-Sonderweg hielt ich für einen historischen Fehler.
Inzwischen herrscht Krieg in der Ukraine. Daran trägt auch die SPD eine große Mitschuld.
Und der antitotalitäre Sensor der Partei scheint nun wieder auszufallen, wie
man am laschen Umgang mit BSW und AfD sieht. 

ZEIT ONLINE: Wo ist der Umgang mit der AfD lasch?

Adam: Wo bleibt denn die Unterstützung für das
Verbotsverfahren, das im Bundestag diskutiert werden soll? Die SPD ist hier
viel zu zögerlich. Es gibt so viele klare Belege dafür, dass die AfD
rechtsextrem ist. Sie zu verbieten, ist zunächst auch keine juristische,
sondern eine politische Frage. Der Antrag muss ja erst mal auf den Weg gebracht
werden. Dazu gehört der politische Wille. Dass hier in Person von Marco
Wanderwitz ein Politiker der CDU und nicht die SPD an vorderster Front kämpft,
zeigt ja, dass die Partei die historische Mission gar nicht erkennt.

ZEIT ONLINE: Welche Mission?

Adam: Der Rechtsruck in Deutschland ist weit
fortgeschritten. Durch eine jahrelange Kampagne der Desinformation haben die Menschen
die Orientierung verloren. Sie wissen nicht mehr, wo oben und unten ist. Diese
Orientierung aber muss eine Partei wie die SPD bieten. Sie muss der Kompass
sein. Das auszustrahlen, wäre auch Aufgabe von Olaf Scholz, dem Bundeskanzler.

ZEIT ONLINE: Ist Olaf Scholz der Aufgabe gewachsen?

Adam: Ich fürchte, nein. In einer Zeit wie dieser
ist er der falsche Kanzler. Dabei sind es Zeiten wie diese, die große Kanzler
hervorgebracht haben. Konrad Adenauer und die Westbindung, Willy Brandt und
seine Ostpolitik, Helmut Kohl und sein Engagement für die Wiedervereinigung.
Olaf Scholz aber hat vor allem Gefallen daran gefunden, den Besonnenen zu
geben. Das ist insbesondere mit Bezug auf die Ukraine und seine Zögerlichkeit
bei den Waffenlieferungen grundfalsch. Es braucht im Kampf gegen den Faschismus
entschlossenes Handeln, politische Führung und kein Lavieren. Scholz verpasst damit
eine historische Chance.

ZEIT ONLINE: Gibt es überhaupt noch jemanden in der
SPD, der Ihnen Hoffnung macht?

Adam: Boris Pistorius.

ZEIT ONLINE: Warum der Verteidigungsminister?

Adam: Er sagt Sätze, die notwendig sind, aber manche
nicht gerne hören. Zum Beispiel sprach er davon, dass die Bundeswehr
kriegstüchtig werden müsse. Das hat einige erschrocken, und doch muss das
angesichts der Bedrohungslage ausgesprochen werden.

ZEIT ONLINE: Sie sind nicht der Einzige in der SPD,
der Pistorius als besseren Spitzenkandidaten sieht. Warum engagieren Sie sich
nicht in der Partei für seinen Kurs?

Adam: Pistorius wäre der ideale Kanzlerkandidat. Vor
diesem Hintergrund ist es fast schon tragisch, dass die SPD in Brandenburg die
Wahl gewonnen hat. Andernfalls wäre in die Kanzlerkandidatenfrage vielleicht
noch mal etwas Dynamik gekommen. Nun aber wird es wohl Scholz. Und der würde im
Falle eines Wahlsiegs den falschen Kurs fortsetzen. Ich wünsche der SPD alles
Gute, aber da werde ich nicht mitziehen.