„Sparen Steuergeld“: Verein kauft Münchner Schwarzfahrerin frei

München – Wer hinter Gitter muss, hat ein schwerwiegendes Verbrechen begangen. Meint man. Doch auch fehlende Tickets für Bus oder Bahn können ins Gefängnis führen. So war es aktuell bei einer mehrfachen Schwarzfahrerin (24), die deswegen in München über eineinhalb Jahre in den Knast gehen sollte.

„Frau S. sollte 580 Tage wegen Fahrens ohne Ticket einsitzen. Über eineinhalb Jahre!“, sagt Leonard Ihßen (28) der AZ. Er ist Sprecher der Initiative Freiheitsfonds zur Entkriminalisierung von Fahren ohne Ticket in Bus und Bahn. Die Initiative sammelt Spenden und kauft mit dem Geld deutschlandweit Schwarzfahrer frei.  Allein in Bayern hätten so schon 50 Personen befreit werden können.

Ihm zufolge wurde die junge Frau dreimal wegen Fahrens ohne Ticket verurteilt. Die Folge: „Sie sollte erst wieder freikommen, wenn sie 26 ist.“ Die Initiative startete einen öffentlichen Aufruf und konnte die Strafe der Frau von 8700 Euro begleichen. Anfang April habe man sie freigekauft. „Die Spendenbereitschaft war riesig“, sagt Ihßen.

Leonard Ihßen ist Sprecher der Initiative Freiheitsfonds zur Entkriminalisierung von Fahren ohne Ticket in Bus und Bahn
Leonard Ihßen ist Sprecher der Initiative Freiheitsfonds zur Entkriminalisierung von Fahren ohne Ticket in Bus und Bahn
© Tatjana Soeding
Leonard Ihßen ist Sprecher der Initiative Freiheitsfonds zur Entkriminalisierung von Fahren ohne Ticket in Bus und Bahn

von Tatjana Soeding

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Aber das hat ihm zufolge nicht nur für die Betroffene einen Vorteil. Den Staat hätte diese Gefängnisstrafe 116.000 Euro gekostet, rechnet Ihßen vor. Er legt zugrunde, dass ein Tag in Haft pro Person rund 200 Euro kostet.

192,95 Euro kostet den Freistaat ein Hafttag pro Person

Auf Nachfrage der AZ teilt das Bayerische Justizministerium mit, dass die durchschnittlichen Kosten eines Hafttages in einer JVA pro Person in Bayern im vergangenen Jahr bei 192,95 Euro lagen. Ihßen sagt daher über die Freikauf-Aktionen: „Wir sparen Steuergeld.“

Freilich will die Initiative nicht dauerhaft Menschen freikaufen müssen. Die Gesetzeslage sollte sich ändern, genauer gesagt geht es um den Paragrafen 265a. Ihßen sagt: „Der Freiheitsfonds setzt sich für die ersatzlose Streichung des Paragrafen 265a im Strafgesetzbuch ein.

„Niemand sollte wegen Tickets im Wert von drei Euro ins Gefängnis gehen“

Das würde bedeuten, dass Fahren ohne Ticket nur noch zivilrechtlich belangt werden kann.“ Sprich: „Es gäbe weiterhin die Vertragsstrafe, die wir alle aus Bus und Bahn kennen: 60 Euro als erhöhtes Beförderungsentgelt, wenn man keinen gültigen Fahrschein dabei hat.“

Ihßen weiter: „Strafrechtlich bedeutet dagegen, dass Menschen wegen dieses Vergehens über den Umweg der Ersatzfreiheitsstrafe ins Gefängnis kommen können.“ Er ist der Meinung: „Niemand sollte wegen Tickets im Wert von drei Euro ins Gefängnis gehen.“

Dies passiert bisher, wenn zusätzlich zum erhöhten Beförderungsentgelt eine Strafanzeige gestellt und die verhängte Geldstrafe nicht bezahlt wird.

Die SPD dringt in Berlin darauf, Schwarzfahren zu entkriminalisieren

Es betreffe pro Jahr rund 9000 Menschen in Deutschland, so der Freiheitsfonds. „Das bedeutet für die Betroffenen eine riesige Belastung und Destabilisierung ihrer sozialen Lage“, so Ihßen. Aber eben nicht nur das: „Für den Staat bedeutet es immense Kosten.“

Das Thema ist aktuell auch bei den Koalitionsverhandlungen auf dem Tisch – es war bereits ein Ampel-Thema, doch die zerbrach bekanntlich. Die SPD hat bei den Verhandlungen mit CDU und CSU darauf gedrungen, das Schwarzfahren zu entkriminalisieren.

„Respektlos gegenüber ehrlichen Fahrgästen“: Widerstand von den Verkehrsunternehmen

Die Union soll mit der Streichung des Paragrafen im Strafgesetzbuch allerdings nicht einverstanden sein. Das ging aus Papieren der Verhandlungsgruppen Ende März hervor.

Der ehemalige Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP).
Der ehemalige Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP).
© Bernd von Jutrczenka/dpa
Der ehemalige Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP).

von Bernd von Jutrczenka/dpa

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Der vorige Justizminister Marco Buschmann (FDP) wollte Schwarzfahren bereits zur Ordnungswidrigkeit herabstufen. Daran gab es Kritik. „Die Idee, Schwarzfahren nicht mehr zu bestrafen, ist respektlos gegenüber allen ehrlichen Fahrgästen sowie der Leistung und Arbeit unserer Beschäftigten“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen, Oliver Wolff.

Das Problem laut dem Vereinssprecher: Große Armut

Kriminologen und Wissenschaftler dagegen verfassten im August 2024 einen offenen Brief an Buschmann und plädierten dafür, Schwarzfahren künftig weder als Straftat noch als Ordnungswidrigkeit einzustufen. Darin hieß es unter anderem: „Der Straftatbestand trifft überproportional armutsbetroffene Menschen und solche in prekären Lebenslagen.“

Auch Leonard Ihßen betont, dass es sich bei der Mehrheit der Betroffenen nicht um Ticket-Verweigerer handele. „Sie sind durch die Bank von großer Armut betroffen. Es sind keine Verweigerer, sondern sie haben nicht die Option, es abzubezahlen.“ Das Problem seien Armut und Zahlungsunfähigkeit. „Mit einer hohen Strafe zu drohen, bringt nichts, weil man trotzdem noch arm ist und alltägliche Wege zurücklegen muss, etwa zum Arzt oder zum Amt.“

Justizminister Georg Eisenreich: Ersatzfreiheitsstrafen möglichst nicht vollstrecken

Vom Bayerischen Justizministerium heißt es auf AZ-Anfrage, dass die Entscheidung, ob Schwarzfahren ein Straftatbestand ist, ausschließlich der Bundesgesetzgeber treffe. Der Freistaat setze sich aber seit langem dafür ein, dass Ersatzfreiheitsstrafen möglichst nicht vollstreckt werden müssen. Mit den Programmen „Schwitzen statt Sitzen“ sowie „Schwitzen statt Sitzen und Geldverwaltung“ konnten laut Ministerium von 2021 bis 2023 rund 134.000 Hafttage vermieden werden.

„Die bayerische Justiz räumt seit mehr als 30 Jahren grundsätzlich jeder Verurteilten und jedem Verurteilten bei uneinbringlichen Geldstrafen die Möglichkeit ein, die Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe durch die Ableistung von gemeinnütziger Arbeit abzuwenden.“ Dabei entspreche eine Arbeitsleistung von sechs Stunden einem Tag Ersatzfreiheitsstrafe. Aus Sicht des Justizministeriums in München sei „eine Abstufung zwischen Ordnungswidrigkeit und – etwa in Wiederholungsfällen – einem Straftatbestand denkbar“.

„Auch wenn das einmalige Fahren ohne Fahrschein in der Regel nur ein erhöhtes Beförderungsentgelt zur Folge hat, ist es sinnvoll, dass dies auch nach der Gesetzeslage nicht mehr strafbar ist. Notorische Schwarzfahrer müssen aber weiter angemessen sanktioniert werden können.“

Bayerns Justizminister Georg Eisenreich.
Bayerns Justizminister Georg Eisenreich.
© Imago
Bayerns Justizminister Georg Eisenreich.

von Imago

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So sieht es auch Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) selbst. Er teilt der AZ mit: „Mir ist wichtig, dass nicht Menschen kriminalisiert werden, die einmal ohne Fahrschein unterwegs sind. Ich sehe deshalb Handlungsbedarf. Eine vollständige Streichung der Strafbarkeit der Beförderungserschleichung geht aber meiner nach Meinung zu weit, da sonst auch notorisches Schwarzfahren entkriminalisiert würde.“

„Notorische Schwarzfahrer sollen weiter sanktioniert werden können“

Eisenreich weiter: „Notorische Schwarzfahrer sollen weiter mit einem Straftatbestand angemessen sanktioniert werden können. Die Strafbarkeit dient nicht nur zum Schutz des Vermögens der Verkehrsbetriebe, sondern auch zum Schutz der großen Mehrheit der ehrlichen Kunden.“

Das Justizministerium ergänzt: „Die durch das Schwarzfahren entstehenden Einbußen werden regelmäßig in den Fahrpreis einkalkuliert. Ehrliche Nutzerinnen und Nutzer mit gültigem Fahrschein sollen nicht für das eigennützige Verhalten einzelner Schwarzfahrer zahlen. Das wäre nicht nachvollziehbar.“

Wie viele Schwarzfahrer in Bayern einsitzen? Unbekannt

Wie viele Schwarzfahrer tatsächlich in bayerischen Gefängnissen einsitzen, lässt sich dem Ministerium zufolge nicht mit Zahlen belegen. Die Beförderungserschleichung sei nur eine Variante des Erschleichens von Leistungen im Sinne des Paragrafen 265a und werde nicht gesondert erfasst.

Zurück zum Freiheitsfonds. Was wäre nun, wenn die freigekaufte 24-Jährige aus München wieder ohne Ticket erwischt würde? Ihßen: „Sollte sie wieder ins Gefängnis kommen, würden wir sie wieder freikaufen. Wir sind generell dagegen, dass irgendwer wegen dieser Lappalie ins Gefängnis kommt.“

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