
Der Abend in diesem nagelneuen Restaurant hat etwas von Hermann Hesses Zauber, der jedem Anfang innewohnt. Wenn ein berühmter Koch ein Comeback erlebt, kann das die kulinarische Phantasie schon mächtig anregen. Rückblende. Im Jahr 2018 wurde das Drei-Sterne-Restaurant „La Vie“ in Osnabrück mit Chefkoch Thomas Bühner plötzlich von seinem Besitzer geschlossen. So etwas hielt man in der Welt der Kochkunst bis dato für absolut unmöglich. Bühner entwickelte erfolgreich verschiedene kulinarische Aktivitäten, eröffnete aber erst 2023 in Taipeh wieder ein Restaurant. Und nun gibt es wieder ein „La Vie“, in Düsseldorf-Flingern, das er als Patron zusammen mit seinem ehemaligen Küchenchef Timo Fritsche realisiert.

Es wird schnell klar, dass es hier ambitioniert zugeht – von den Gerichten und ihrer Stilistik bis hin zur freundlichen Serviceleitung durch Antonia Winkler und Sommelier Thilo Kownatzki, die beide aus dem ehemaligen Zwei-Sterne-Restaurant „Falco“ in Leipzig kommen. Verglichen mit der Arbeit von Bühner in Osnabrück ist die Küche zeitgenössisch weiterentwickelt, leichter und hat prominente Schwerpunkte beim Gemüse. Man ist sogar in der Lage, neben einem „Omnivor“- auch ein veganes Menü anzubieten.

Die in dieser Form überraschenden Qualitäten zeigen sich schnell bei einem frühen Höhepunkt, „Grüne Tomate – Sellerie – Thai-Basilikum“ genannt. Serviert werden sehr dünne Scheiben von Green-Zebra-Tomaten (sie bleiben auch in reifer Form mehr oder weniger grün). Es gibt eine Sauce mit grünen Punkten von einem Thai-Basilikum-Öl rundum und an der Seite ein gerade im Zusammenhang sehr gut schmeckendes Eis von diesem Kraut. Die Tomaten haben nur einen Hauch von einem sehr fein-säuerlichen Überzug und schmecken hervorragend. Diese Inszenierung bringt eine echt neue Qualität eines Tomatengerichtes.

Die spezielle Gemüse-Kräuter-Behandlung, die hier sowohl bei der Aromatisierung von rohen Stücken als auch bei dezent gegarten angewendet wird, ist der Schlüssel zu einem in weiten Teilen sehr leicht und gesund wirkenden Essen, dem vor allem die Schwere von Fetten aller Art fehlt. Es gibt zum Beispiel eine präzise angezogene (also knapp fest erwärmte) Auster mit „Seespinat“, der sich als eine Ansammlung von meernahen Gewächsen mit einem grünen Coulis, einem feinen Schaum und immer wieder einem Hauch von asiatischen Aromen entpuppt. Dieser Mix ergänzt die Jodigkeit der Auster und übertüncht den Rest in keiner Weise – wie das oft bei klassisch französisch orientierten Zubereitungen der Fall ist. Da hat Bühner aus Asien ein Verständnis mitgebracht, das man wohl nur bekommen kann, wenn man an Ort und Stelle arbeitet.

Bei „Zucchini – Comté – Melone“ geht es von dezent gegarten Stücken von Gurke und Zucchini bis zu wildem Spargel, kombiniert mit Kräutern und Blütenblättern, und drei wieder dezenten Saucen, die einen eleganten, ständig changierenden Hintergrund bilden. Man bekommt bei einem solchen Gemüseteller ständig wechselnde Akkorde, aber wegen der sensiblen Garung nie den Eindruck banaler Assemblagen ohne Sinn für Zusammenhänge. Es wäre hier lediglich zu wünschen, dass die vertikale Komponente (also die Proportion zwischen gegart und roh) noch etwas expressiver wäre.

Ein weiteres prägendes Element des neuen „La Vie“ ist eine bemerkenswerte aromatische Originalität, etwa bei der dichten Cremigkeit von „Pastinake – Zitrone – Wermut“ als einer der ersten Kleinigkeiten.

Oder bei „Morchel – Trüffel – Schwarzer Knoblauch“ (plus junge Haselnüsse), bei „Wagyu – Bärlauch – Wasserpfeffer“ oder dem wundervollen Dessert „Brennnessel – Bergamotte“. Diese Gerichte bringen eine klare Individualität, die sich im Übrigen auch deutlich vom „La Vie“ des Jahres 2018 unterscheidet, weil hier offensichtlich neue Einflüsse eine Rolle spielen.

Und da ist eben nicht nur Bühner mit seinen asiatischen Erfahrungen am Werk, sondern auch Fritsche, der zwischenzeitlich beim Schweizer Drei-Sterne-Koch Andreas Caminada, einem ebenfalls begnadeten Feinsensoriker, gearbeitet hat. Bühner und Fritsche haben da einen spannenden Start mit klaren Eckpfeilern hingelegt. Dies ist keine Küche mit Blick zurück in glorreiche Zeiten, sondern dem Blick nach vorn, und das mit Können, Brillanz und Neugier.