
Die Würde des Menschen ist unantastbar – so beginnt unser Grundgesetz. Doch viele junge Menschen in Deutschland zweifeln, ob dieses Versprechen für sie noch gilt. Selten zuvor stand eine Generation in unserem Land vor so vielen gleichzeitigen Krisen: Klimawandel, geopolitische Konflikte, wachsende soziale Ungleichheit, wirtschaftliche Unsicherheit und psychische Belastungen. Die Jugendstudien zeichnen ein klares Bild: Sorgen und Ängste prägen die junge Generation. Gleichzeitig zeigen sie Pragmatismus, Verantwortungsbewusstsein und konkrete Erwartungen an Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.
Die Sorgen der jungen Generation sind berechtigt. Wer heute jung ist, blickt auf eine unsichere Zukunft, deren Herausforderungen die eigenen Möglichkeiten weit übersteigen. 81 Prozent fürchten eine Ausweitung des Ukrainekriegs. Zwei Drittel sorgen sich um Inflation, Armut und Wohlstandsverluste. 63 Prozent sehen die Klimakrise als existenzielle Bedrohung. Hinzu kommt ein Gefühl wachsender sozialer Spaltung: 64 Prozent nehmen zunehmende Feindseligkeit in der Gesellschaft wahr, 40 Prozent fühlen sich persönlich benachteiligt.
Psychische Erkrankungen unter Jugendlichen nehmen drastisch zu, verstärkt durch Pandemie, Unsicherheit und Zukunftsängste. Jeder vierte junge Mensch bräuchte Unterstützung, doch nur jeder zehnte erhält sie. Einsamkeit ist ein weiteres unterschätztes Problem, das ganze Lebenswege prägen kann.
Wir müssen endlich handeln
Gleichzeitig zeigen die Befragungen auch: Die Mehrheit der Jugendlichen bewahrt einen gewissen Optimismus. Und die Jugend hat klare Forderungen: mehr Einsatz beim Klimaschutz, mehr soziale Gerechtigkeit, bessere Bildungschancen, faire Arbeitsbedingungen und Mitbestimmung. Viele junge Menschen sind bereit, eigene Opfer zu bringen. 57 Prozent würden zum Beispiel ihren Lebensstandard für den Klimaschutz senken. Aber sie erwarten von der älteren Generation und den Verantwortlichen, endlich entschlossener zu handeln.
Es geht aber auch um Respekt, Anerkennung – und Würde. So wie es das Grundgesetz vorschreibt. Viele junge Menschen fühlen sich jedoch nicht gesehen, nicht ernst genommen, nicht wertgeschätzt. Deshalb reicht die Umverteilung von Geld allein nicht aus, um die wachsende Unzufriedenheit zu stoppen. Solange Jugendliche den Eindruck haben, ihre Sorgen würden abgetan und ihre Leistung nicht anerkannt, wächst das Risiko politischer Radikalisierung. Der Aufstieg rechtspopulistischer Parteien ist deshalb auch Ausdruck eines tiefen Bedürfnisses nach Respekt und Teilhabe. Ein Leben in Würde bedeutet eben nicht nur finanzielle Sicherheit, sondern auch Selbstachtung, Chancen zur Selbstverwirklichung und gesellschaftliche Anerkennung.
Die Botschaft der jungen Generation ist eindeutig: Wir wollen Verantwortung übernehmen, aber wir brauchen faire Chancen und eine Gesellschaft, die uns unterstützt.
Wie schaffen wir heute die Grundlagen, damit junge und künftige Generationen in Würde leben können?
Erstens: Bildung und Chancengleichheit müssen in den Mittelpunkt rücken. Unser Bildungssystem darf nicht länger soziale Herkunft vererben. Es braucht Investitionen in frühkindliche Förderung, bessere Schulen und mehr Durchlässigkeit.
Zweitens: Arbeit und Respekt gehören zusammen. Leistung darf nicht nur an Einkommen oder formale Bildung gemessen sein. Auch systemrelevante und soziale Berufe verdienen Anerkennung und gute Bezahlung. Gesellschaftliches Engagement, nicht nur materieller Erfolg, sollte zählen.
Drittens: Sozialstaat und Gesundheitssystem müssen nicht nur absichern, sie müssen die Menschen befähigen. Dazu gehören viel mehr Prävention vor psychischen Erkrankungen, eine gezielte Bekämpfung von Einsamkeit, auch unter jungen Menschen, und echte Chancen auf Teilhabe.
Die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben
Viertens: Der Klimaschutz muss oberste Priorität haben. Nur, wenn wir heute handeln, können wir die Zukunft der jungen Generation sichern. Alles andere wäre verantwortungslos, sogar ein Verstoß gegen unser Grundgesetz, wie das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat.
Fünftens: Respekt und Dialog sind essenziell. Junge Menschen wollen gehört und beteiligt werden. Vor allem aber brauchen wir eine neue Kultur der Anerkennung, in der Sorgen nicht kleingeredet, sondern ernst genommen werden.
Es liegt an Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, heute die Weichen zu stellen. Die Sorgen der Jugend als Übertreibung abzutun, wäre grundfalsch. Sie sind Ausdruck einer Generation, die verstanden hat, dass es um nichts Geringeres als ihre Würde und ihre Zukunft geht. Die Frage ist, ob wir bereit sind, diese zu verteidigen.
Eine Demokratie darf sich nicht damit zufriedengeben, Wohlstand zu verteilen. Sie muss allen Menschen – vor allem den jungen – Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben, Teilhabe und Sicherheit geben. Nur so wird das Versprechen des Grundgesetzes eingelöst.
Die Zukunftsängste der Jugend sind ein Spiegel unserer gesellschaftlichen Versäumnisse. Sie zeigen, wo wir handeln müssen. Es ist unsere Verantwortung, nicht ihre. Denn die Würde des Menschen ist unantastbar – auch die der kommenden Generationen.