So isst Politik: Der Vorabend des Doppelwumms

Im politischen Berlin wie überhaupt gilt: Das Leben muss weitergehen. Der Satz ist weniger trivial, als er scheint, denn ohne ei­genes Handeln vergeht zwar Zeit, aber auch Gelegenheit. Es gibt viel zu tun, erst recht im Schatten von Großereignissen wie in dieser Woche: die US-Wahl, der tagelang knirschende, schließlich knackende Bruch der Bundesregierung, beide mit Folgen für Deutschlands Seelenfrieden. Aber sollen Politiker und Bürger deswegen nur noch aufs Handy glotzen, Liveticker, Warnungen, Schreckensbekundungen, Krisencalls? Eben nicht!

Dienstagabend in Berlin, im Restaurant „Frederick’s“ am Potsdamer Platz: Bundestagsabgeordnete der SPD und Journalisten haben sich eingefunden, zum Abendessen, das dem vertraulichen Austausch dienen soll. Die Abgeordneten sind allesamt aus Brandenburg, sie schauen demnach mit Brandenburgblick auf die großen Fragen der Zeit, aber auch auf die im Verhältnis dazu eher kleinen Fragen Brandenburgs.

Wie nah beides beieinanderliegt, erkennt man schon daran, dass der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz ebenfalls Bundestagsabgeordneter der SPD aus Brandenburg ist, also gut in die Runde passen würde. Er hat immerhin ein Grußwort geschickt. Auch das zählt als Weiter-geht’s-Signal – so wie die vielen Alltagstermine, die der Kanzler zwischen Weltpolitischem absolviert.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.



Im Restaurant ist es schön, aber kalt, obwohl die Heizung volle Pulle läuft. Das liegt daran, dass der Tisch im hohen Kaisersaal steht. Der ist mehr als hundert Jahre alt – damals war Berlin noch die drittgrößte Stadt der Welt. Das ist heute Shanghai. Damit ist eigentlich schon alles gesagt, jedenfalls alles, was man zur Vorspeise – grüner Salat mit Kürbis und Kürbiskernen – noch hören will über die tektonischen Verschiebungen der Macht auf der Welt. Nun soll vielmehr Brandenburg das Thema sein. Doch auch dort funkt die Weltpolitik hinein, beispielsweise der Ukrainekrieg.

Historisch: SPD unterm Kronleuchter
Historisch: SPD unterm KronleuchterFriederike Haupt

Die Brandenburger sorgten im September dafür, dass ihr Ministerpräsident mit Sahra Wagenknecht über Waffenlieferungen reden musste, um überhaupt Koalitionsverhandlungen mit deren Partei zu erreichen. Alles hängt mit allem zusammen, und so kommt es, dass die Journalisten auch nach der US-Wahl und der Bundesregierung fragen. Beides wird am nächsten Tag einen Doppelwumms geben. Vielleicht ist die Kälte im Kaisersaal ja schon der Hauch der Geschichte.

Dagegen steht der Brandenburger Blick auf die Welt. Er ist pragmatisch. Erst mal schauen, dann mal sehen, schließlich: anpacken. Nun aber Pasta, Kalbsbacke, dazu Wein, Bier, Wasser, Tee. Einige schauen öfter mal aufs Handy, einige sind müder als sonst. Aber niemand verabschiedet sich früher. Zum Nachtisch Torte. Das Leben geht weiter. Die spannende Frage ist: wie?