Snus und Pouches: „Große Gefahr, dass eine lebenslange Sucht bleibt“

In Deutschland sind „Pouches“ verboten, doch das hält Jugendliche nicht vom Konsum ab. Experten warnen vor Abhängigkeit und gesundheitlichen Risiken. Sie kritisieren fehlende Kontrollen und fordern Werbeverbote, bei den Eltern sehen sie große Wissenslücken.

Auf der Schultoilette, im Kinderzimmer oder in der Umkleidekabine des Fußballvereins: Oft unbemerkt von Eltern, Lehrerinnen oder Trainern stecken sich Jugendliche winzige Nikotinbeutel, sogenannte Pouches, zwischen Oberlippe und Zahnfleisch.

Die weißen Beutelchen enthalten ein Pulver, das aus Nikotinsalzen sowie Trägerstoffen besteht, manchmal aromatisiert ist, und bewirken einen ähnlichen Kick wie Zigaretten. Das Nikotin, ein Nervengift, wird über die Mundschleimhaut aufgenommen, und die an Mini-Teebeutel erinnernden Päckchen aus Pflanzenfasern sollten weder gekaut noch geschluckt werden.

„Die Zahl der Raucher ging einige Jahre lang zurück, da überlegt sich die Tabakindustrie andere Wege, ihre Produkte auf den Markt zu bringen“, sagt die Suchtmedizinerin Andrea Rabenstein von Tabakambulanz an der Ludwig-Maximilians-Universität Klinikum München. Die Pouches würden stark abhängig machen und viele Jugendliche parallel weitere Nikotinprodukte über Tabak- oder E-Zigaretten konsumieren.

Unter Profi-Fußballern sind Pouches beliebt, weil sie je nach Dosis eine aufputschende oder entspannende Wirkung haben, aber anders als Zigaretten nicht die Lunge schädigen. Die Variante mit Tabak heißt Snus, ihr Verkauf ist in der EU mit Ausnahme von Schweden, wo Männer sie wesentlich häufiger verwenden als Frauen, untersagt; in den USA sind ähnliche Produkte im Handel.

Die tabakfreien Nikotinbeutel fallen in Deutschland unter das Lebensmittelrecht und sind ebenfalls verboten. Doch über das Internet sind die flachen Dosen mit den Beutelchen leicht zu beschaffen. Wegen fehlender Kontrollen seien sie oft sogar in Tabakläden, Kiosken oder Tankstellen erhältlich, kritisieren Suchtberater.

Hochdosierte Beutelchen

Im Berliner Bezirk Treptow-Köpenick kannten 80 bis 90 Prozent aller Schülerinnen und Schüler bei Präventionsveranstaltungen im vergangenen Jahr Nikotinbeutel beziehungsweise hatten sie bereits probiert. „Schon in siebten Klassen gab es Berichte über den Konsum solcher tabakfreien Nikotin-Pouches, die zum Bewusstseinsverlust und einem Notarzteinsatz führten“, warnte das Bezirksamt Anfang 2024.

Schon ein Beutel könne den Nikotingehalt von drei bis sechs Zigaretten enthalten. Neben der Suchtgefahr bestehe die Gefahr einer akuten Vergiftung, die sich durch Übelkeit und Erbrechen sowie Schwindel bis hin zur Ohnmacht äußern könne.

„Die Aufklärung über neuere Produkte der Tabakindustrie muss sich dringend verbessern“, betont Suchtmedizinerin Rabenstein. „Es gibt Erziehungsberechtigte, die ihren Kindern Wasserpfeifen oder Vapes schenken.“ Vapes sind bunte Einweg-E-Zigaretten. Auch der Konsum von Pouches bleibe oft unbemerkt von Eltern, sagt die Münchner Ärztin.

Zudem hätten die Nikotinbeutel ein positives Image, da Profisportler sie konsumierten und sie in sozialen Medien wie TikTok thematisiert würden. Nikotin hat eigentlich einen pfeffrigen, unangenehmen Geschmack. Aromastoffe wie Wassermelone oder Mango machen die Pouches attraktiv – das gleiche Prinzip wie bei den bunten Vapes.

Einfluss auf Herz und Kreislauf

Das Bundesamt für Risikobewertung (BfR) warnt vor den gesundheitlichen Risiken der Nikotinbeutel für Kinder, Jugendliche und Nichtraucher. Gefährdet sind laut BfR ebenfalls Schwangere und Stillende sowie Personen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Bei Raucherinnen und Rauchern trage ein Umstieg auf Nikotinbeutel dagegen zur Schadensminimierung bei.

Der Behörde zufolge wurden bereits Vergiftungsfälle registriert, etwa wenn die Beutelchen versehentlich verschluckt wurden. „Die Langzeiteffekte einer Verwendung von Nikotinbeuteln lassen sich aufgrund der wenigen vorliegenden Daten nicht beurteilen“, hebt das BfR hervor.

Nikotin stimuliert im Körper die „nikotinischen Acetylcholinrezeptoren“, die sowohl im Zentralnervensystem als auch im vegetativen Nervensystem vorkommen. Das toxische biogene Alkaloid hat starken Einfluss auf das Herz und Kreislaufsystem, unter anderem ruft es eine Blutdrucksteigerung sowie eine Steigerung der Herzschlagfrequenz hervor. Zu den bereits genannten milden Vergiftungssymptomen zählen Übelkeit und Erbrechen.

Wurde eine höhere Konzentration aufgenommen, können Symptome wie Durchfall, verstärkter Speichelfluss und Verlangsamung des Herzschlags hinzukommen bis hin zu Anfällen und Atemnot. Und es besteht Lebensgefahr nach Verschlucken, für eine geschätzte Dosis von fünf Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht gilt „akute Toxizität“, sie ist tödlich.

Schwangeren und stillenden Frauen wird vom Konsum wegen gesundheitlicher Risiken abgeraten. Nikotin gelangt über die Plazenta zum Fötus und erhöht die Gefahr für eine Totgeburt; mit der Muttermilch wird die Substanz ebenfalls an das Kind weitergegeben.

In Pouches seien schon krebserregende Stoffe nachgewiesen worden, sagt Rabenstein. Ihr Appell an die Politik: „Das Werbeverbot für Tabakerzeugnisse und E-Zigaretten müsste auf Internetforen und Social Media ausgeweitet werden.“ Jede Droge, die in ein jugendliches Gehirn komme, könne sich leicht verfestigen, warnt die Psychiaterin. „Dann besteht die große Gefahr, dass eine lebenslange Sucht bleibt.“

Industrie für Legalisierung

Der Bundesverband der Tabakwirtschaft und neuartiger Erzeugnisse (BVTE) setzt sich dagegen für eine Legalisierung der Nikotinbeutel ein, um den Schwarzmarkt einzudämmen. „Wir erwarten von der nächsten Bundesregierung eine gesetzliche Regelung, die den Verkauf von Nikotin-Pouches im Rahmen des Tabakrechts an Erwachsene erlaubt. Dabei könnten auch ein Höchstgehalt für Nikotin und Regelungen zu Inhaltsstoffen festgelegt werden“, sagt der BVTE-Hauptgeschäftsführer Jan Mücke. Generell seien tabakfreie Nikotinbeutel die am wenigsten schädliche Option für den Genuss von Nikotin.

Dem Verband zufolge gab es Ende 2022 mehr als 1300 Quellen, über die Nikotinbeutel problemlos aus dem Ausland bestellt werden konnten. Einige dieser eingeführten Beutel enthalten dem BVTE zufolge sehr hohe Nikotinkonzentrationen oberhalb eines angemessenen Grenzwertes. „Dies kann für Verbraucherinnen und Verbraucher mitunter mit ernsthaften gesundheitsgefährdenden Folgen verbunden sein“, warnt der Verband.

Jährlich sterben in Deutschland laut Bundesgesundheitsministerium mehr als 127.000 Menschen an den Folgen des Tabakkonsums. Laut der jüngsten sogenannten Debra-Studie blieb der Anteil der Menschen, die Tabakzigaretten rauchen, 2023 mit 30 Prozent der über 14-Jährigen auf hohem Niveau.

„Rauchen birgt enorme Gesundheitsrisiken, Nikotin macht schnell süchtig und ist ebenfalls verantwortlich für viele Krankheiten“, sagt der Bundesdrogenbeauftragte Burkhard Blienert. Es dürfe nicht länger zugelassen werden, „dass die Tabak- und Nikotinindustrie über Werbung und neue Produkte gerade Kinder und Jugendliche zu den Abhängigen von morgen macht“.

Nikotinbeutel seien in Deutschland nicht ohne Grund verboten, sagt Blienert. Es seien keine gesunden oder unbedenklichen Produkte: Mit diesen könne man extrem schnell große Mengen Nikotin aufnehmen, und sie können „sehr schnell abhängig machen“. Auf funktionierende Jugendschutzregeln zu vertrauen, wäre nach allen Erfahrungen leider völlig praxisfern. Dies zeige sich aktuell bei den Einweg-E-Zigaretten.

Auch aus Sicht der Niedersächsische Landesstelle für Suchtfragen sollten Nikotinbeutel nicht auf den Markt kommen. „Zudem sollte die Einhaltung des Jugendschutzes unbedingt kontrolliert werden und bei Nichteinhaltung sollten empfindliche Strafen drohen“, sagt die Landeskoordinatorin Suchtprävention, Ricarda Henze.

Bei Eltern gebe es große Wissenslücken. Bei der Aufklärung über neuartige Drogen in der Prävention gebe es zudem auch immer die Gefahr, Neugier zu wecken und dann schlimmstenfalls die Produkte zu bewerben.

dpa/sk