Skiverband FIS führt Gentests ein: Erika oder Erik ist hier die Frage

Erika Schinegger wurde am 8. August 1966 alpine Ski-Weltmeisterin im Abfahrtslauf. Das Ungewöhnlichste an diesem Rennen war aber nicht das Datum. Die Ski-WM wurde damals in Chile ausgetragen und somit auf der Südhalbkugel, wo der Winter im europäischen Sommer stattfindet. Das Ungewöhnlichste an diesem Rennen war, dass Erika eigentlich Erik war.

Wegen Pseudohermaphroditismus, nach innen gewachsenen Geschlechtsmerkmalen, wurde Schinegger bei Geburt 1948 in Agsdorf, Kärnten fälschlicherweise als weiblich eingestuft. Ein Schicksal, von dem nach Schätzungen eines von 5000 Neugeborenen betroffen ist. Das intersexuelle Kind wuchs als Mädchen auf – und entwickelte sich zu einer ebenso begeisterten wie erfolgreichen Skiläuferin.

Dann die dramatische Wende

Schon im Alter von 18 Jahren erreichte Schinegger den größten Erfolg ihrer Karriere. Auf der Piste „Roca de Jack“ in Portillo gewann sie den WM-Abfahrtslauf vor der Französin Marielle Goitschel. Bei der Wahl zu Österreichs „Sportler des Jahres“ belegte sie hinter Eiskunstlauf-Weltmeister Emmerich Danzer Rang zwei – und wurde somit als Österreichs „Sportlerin des Jahres“ geehrt.

Ein Jahr später erlebte Schineggers Leben dann eine dramatische Wende. Vor den Olympischen Spielen von Grenoble 1968 wurde ein medizinischer Test für alle Athletinnen verbindlich eingeführt, um dem Verdacht des organisierten Hormonmissbrauchs bei Ostblock-Sportlerinnen nachzugehen. Dabei stellte sich heraus, dass Schinegger genetisch männlich ist. Ein Urologe wies bei ihr das XY-Chromosom nach – sowie in der Bauchdecke versteckte Hoden.

1967: Erika Schinegger beim Alpencup in Bad Gastein
1967: Erika Schinegger beim Alpencup in Bad GasteinPicture Alliance

Nach dem ersten Schock entschied sich Schinegger gegen eine Hormonbehandlung und für eine Operation. Es begann ein neues Leben. Aus Erika wurde Erik. Zwanzig Jahre später arbeitete er sein Leben biographisch auf: „Mein Sieg über mich. Der Mann, der Weltmeisterin wurde“. Weitere 30 Jahre später thematisierte der Spielfilm „Erik & Erika“ seine Verwandlung.

Vor der Ende Oktober mit dem Riesenslalom in Sölden beginnenden alpinen Skisaison ist das Thema Intersexualität im Sport plötzlich wieder virulent. Der Ski-Weltverband (FIS) hat jüngst beschlossen, bei seinen Wettbewerben künftig nur noch Sportlerinnen zuzulassen, bei denen ein Gentest zur Bestimmung des biologischen Geschlechts das Ergebnis „weiblich“ hervorgebracht habe.

Beim sogenannten SRY-Gentest werden Frauen auf ein Gen des Y-Chromosoms untersucht, das für die Entwicklung männlicher Geschlechtsmerkmale entscheidend ist. SRY ist das Akronym für die englische Bezeichnung „Sex-determining region Y“ (geschlechtsbestimmende Region des Y-Chromosoms). Zuvor hatte bereits der Leichtathletik-Weltverband vor der jüngsten WM in Tokio den Test verbindlich eingeführt.

DSGVO Platzhalter

Der Deutsche Skiverband (DSV) wurde von dem Vorstoß überrascht, wie Vorstandsmitglied Stefan Schwarzbach bekannte. Erst auf Nachfrage sei ihm von Urs Lehmann, dem neuen Geschäftsführer der FIS, bestätigt worden, dass es diesbezüglich konkrete Pläne gäbe. „Die Kommunikation war suboptimal“, sagte Schwarzbach der F.A.Z. Es bedürfe seiner Meinung nach einer „deutlich intensiveren Diskussion“, um ein so heikles Thema, das „wissenschaftlich und ethisch schwierig“ zu bewerten sei, auf die Agenda zu setzen. Der Aufschrei bei Athletinnen sei dementsprechend „sehr laut und vernehmlich“.

FIS-Präsident Johan Eliasch bezeichnete den Beschluss des FIS-Councils dagegen als „Eckpfeiler unseres Engagements für den Schutz des Frauensports“. Er sagte, man stütze sich „auf wissenschaftliche Erkenntnisse und biologische Fakten“. Die FIS habe führende Experten konsultiert. Details der Umsetzung müssten freilich noch erörtert werden.

Er habe schon immer gewusst, dass er nicht dazugehöre, sagte Schinegger später einmal über sein Gefühl, im falschen Körper zu stecken und in der falschen Gruppe unterwegs zu sein. Zudem habe er sich immer „wie das hässliche Entlein“ gefühlt. „Schön is’ sie net, aber schnell is’ sie halt!“ lautet ein überliefertes Zitat über die Skiläuferin, das im Film verwendet wird.

Erik Schinegger hat später geheiratet, wurde Vater einer Tochter und hat drei Enkel. Er betreibt in seiner Heimat eine Skischule und geht offen mit seiner Lebensgeschichte um. Der WM-Titel wurde ihm übrigens nie offiziell aberkannt. Marielle Goitschel erhielt jedoch rückwirkend ebenfalls eine Goldmedaille. Schin­egger überreichte ihr 1988 zudem seine eigene – die sie ihm aber wieder zurückgab.