Karl Geiger wirkte ziemlich gefasst, als er nach seinem Qualifikationssprung den Slalomlauf durch die Interviewzone bewältigte. So, als hätte er fast geahnt, dass ihm auch dieser Sprung, der ihn nur auf 106,5 Meter trug, missglücken würde. Wie so viele zuvor in diesem Winter. „Das war ein Griff ins Klo“, sagte Geiger, der Sprung sei „vom Timing sauspät und nicht gut genug“ gewesen, er habe ihn „nicht erwischt“.
Geiger landete letztlich vor 15 500 Zuschauern nur auf Rang 53 und verpasste erstmals seit 2013 den Wettkampf auf seiner Heimschanze. Für den fünfmaligen Weltmeister enden damit alle Hoffnungen auf eine ordentliche Vierschanzentournee, noch bevor sie richtig begonnen hat. „Es ärgert mich richtig. Ich bin noch in der Emotion. Jetzt werden wir das einordnen, fahren nach Partenkirchen, ich werde noch mal mein Bestes geben, und dann wird sich zeigen, wie der Weg weitergeht.“ Womöglich wird sich Geiger, wenn das Springen in Garmisch ähnlich frustrierend für ihn endet, bereits nach zwei Wettbewerben freiwillig von der Tournee zurückziehen.
Die Coaches um Bundestrainer Stefan Horngacher hatten Geiger ohnehin schon vor drei Wochen nach schwachen Ergebnissen im Weltcup in Wisla aus der Mannschaft herausgenommen. Mit dem ebenfalls kriselnden Andreas Wellinger, der in Oberstdorf die Qualifikation auf Platz 39 mehr schlecht als recht überstand, trainierte Geiger dann in Planica auf der Großschanze und auf der kleinen Olympiaschanze in Predazzo.
„Als Skispringer ist man sehr vom Gespür abhängig“, sagt Geiger – er selbst hat es noch nicht wiedergefunden
Noch am Samstag hatte Geiger während einer Pressekonferenz in einem Hotel in Fischen bei Oberstdorf geschildert, wie es ihm in den vergangenen Wochen erging: „Der Weltcup in Wisla war für mich desaströs, da braucht man gar nicht herumzureden. Im Training ist es in der ersten Woche erst mal darum gegangen, das System aufzubrechen, damit ich die Dinge wieder mehr spüre. Als Skispringer ist man sehr vom Gespür abhängig.“ Geiger packte Inline-Skates, Alpinski und Langlaufski aus, um mal etwas anderes zu machen und sich langsam wieder Spaß und Selbstvertrauen zu holen. „Es ging darum, das Gefühl zu eichen“, sagte er.
Dies schien zu funktionieren, denn bei den italienischen Meisterschaften, bei denen das Duo in Predazzo kurz vor Weihnachten mitspringen durfte, wurde Geiger Vierter, Wellinger Zweiter. Doch zumindest Geiger, 32, schaffte es nicht, den kleinen Schub, den er dort bekommen hatte, mit nach Oberstdorf zu nehmen. Immer wieder hatte er betont, dass ihm die Änderungen am Anzug nach dem WM-Skandal von Trondheim ziemlich zu schaffen machen – auch weil bei ihm mit der kleineren Stofffläche massive Änderungen an seiner Sprung- und Flugtechnik vonnöten seien. „Das ist ein neues Set-up, das du vor den Latz geknallt kriegst“, sagte Geiger am Samstag, glücklich damit ist er nach wie vor nicht.
Zum Favoritenkreis für die Tournee gehörte Geiger in diesem Winter daher ohnehin nicht. Dass er allerdings die Qualifikation nicht übersteht, dürfte ihn selbst maßlos ärgern. Auch wenn er sich nach seinem verkorksten Sprung als Teamplayer erwies: „Ich werde schon irgendwo hier sein, das werde ich mir nicht nehmen lassen“, sagte Geiger im Hinblick auf das Springen am Montag. „Es ist eine hervorragende Stimmung, wir haben zwei echt heiße Eisen im Feuer. Und wenn ich meinen Teil zum Team beitragen kann, dann mache ich das.“ Und sei es als Fahnenschwenker für Felix Hoffmann und Philipp Raimund, die beiden aussichtsreichsten Deutschen. Raimund landete beim Qualifikationssieg von Domen Prevc auf einem hervorragenden zweiten Platz.
