Skisport und Fußball: Kreuzbandrisse – ein Frauenproblem?

Reportage: Wer stoppt die Kreuzbandrisse?

Stand: 22.12.2025 21:55 Uhr

Kreuzbandrisse sind im Fußball und im Skirennsport ein großes Risiko, besonders für Frauen. Wie lässt sich das ändern?

Die Weltcup-Saison hat gerade erst so richtig Fahrt aufgenommen, da wurden etliche Skirennläuferinnen bereits von Verletzungen ausgebremst. Besonders auffällig in diesem Winter: die hohe Zahl an Kreuzbandrissen bei Frauen.

Lauren Macuga, Lara Gut-Behrami und Michelle Gisin sind die prominentesten Namen von Top-Athletinnen, die sich in dieser Olympia-Saison das Kreuzband gerissen und damit ihre Chance auf Medaillen verloren haben. Auch der Deutsche Skiverband (DSV) blieb nicht unversehrt: Mit Katharina Lechner und Paulina Schlosser zogen sich gleich zwei deutsche Europacup-Fahrerinnen einen Kreuzbandriss zu.

„Für uns als Sportler bricht eine kleine Welt zusammen“

Kreuzbandrisse zählen zu den schwersten Verletzungen im alpinen Skisport. Melanie Michel weiß das aus eigener Erfahrung: „Für uns als Sportler bricht da eine kleine Welt zusammen“, erzählt sie in der Doku „Jung. Weiblich. Kreuzbandriss“. Die Schweizer Europacup-Athletin hat bereits zwei Kreuzbandrisse erlitten – beide bei Skirennen. Den zweiten zog sie sich ausgerechnet bei ihrem Wettkampf-Comeback zu.

Riesch hatte damals „Höllenschmerzen“

Auch die hochdekorierte Maria Riesch blieb während ihrer Karriere nicht verschont: Zwischen drei Olympia-Goldmedaillen, zwischen WM-Erfolgen und ihren Weltcupsiegen warfen Riesch zwei Kreuzbandrisse zurück: „Die Momente waren grauenvoll, als es passiert ist“, erzählt sie in der Dokumentation. Riesch verpasste die Olympischen Spiele 2006 in Turin. Neben den „Höllenschmerzen“, habe sie auch „das Bewusstsein geplagt, was da jetzt grad wieder passiert und was das bedeutet“.

Studie im Fußball belegt: Risiko für Frauen höher

Das Risiko, einen Kreuzbandriss zu erleiden, ist bei Frauen vier Mal höher als bei Männern, das zeigt eine Studie im Frauenfußball. Im Frauenfußball zeigen prominente Fälle wie jener von Lena Oberdorf das Problem auf. Konkret gab es in dieser Saison in der Bundesliga der Frauen acht Kreuzbandrisse (Stand: 3.12.). Zu Saisonbeginn kam also auf jeden Spieltag einer.

Auch im Skirennsport gibt es Anhaltspunkte, dass Frauen häufiger betroffen sind: In den vergangenen fünf Jahren registrierte der Deutsche Skiverband (DSV) 35 Kreuzbandrisse: 19 bei Frauen, 16 bei Männern (Stand: 26.11.2025). Relativ betrachtet ist der Unterschied noch größer: Auf 100 Athletinnen kamen im Schnitt acht Kreuzbandrisse, auf 100 Athleten nur vier.

Anatomie, Muskulatur – und der Zyklus

Die Ursachen sind vielfältig. Bei Frauen ist das vordere Kreuzband oft schmaler, der Gelenkraum im Knie enger. Zudem spielt die muskuläre Balance eine entscheidende Rolle: Ist die hintere Oberschenkelmuskulatur im Verhältnis zu schwach, fehlt dem Kreuzband Stabilität.

Hinzu kommt der Faktor des weiblichen Zyklus. Studien zeigen ein erhöhtes Verletzungsrisiko während der Menstruation sowie rund um den Eisprung. In diesen Phasen verändern sich Hormonspiegel und Gewebeelastizität – bei gleichzeitig hoher Leistungsfähigkeit. Vereine in der Frauen-Bundesliga wie der FC Bayern, der FC Carl Zeiss Jena und der SC Freiburg integrieren den Zyklus in das Training der Spielerinnen. Auch spezielle Muskelaktivierungen können Kreuzbandrisse vorbeugen.

Melanie Michel war bei ihrem ersten Kreuzbandriss kurz vor der Menstruation, beim zweiten nahe dem Eisprung. Auch wenn der weibliche Zyklus noch nicht vollständig erforscht ist, werden Erkenntnisse wie diese aus der Wissenschaft bereits in Trainingskonzepte einbezogen – etwa durch zyklusbasiertes Training oder Belastungsanpassungen.

Material als zusätzlicher Risikofaktor

Anders als etwa im Fußball kommt im Skirennsport das aggressive Material forcierend hinzu. „Im Ski Alpin wird es alles immer aggressiver, die Pisten werden härter“, sagt Melanie Michels Servicemann Simone Sperinde. Auf hart und aggressiv präparierte Rennpisten reagiert man im Skirennsport mit ebenso aggressivem Material. Das Problem: Je härter das Set-up, desto größer die Verletzungsgefahr. “

Neu sind die Diskussionen um die vielen Verletzungen im Skirennsport nicht. In den vergangenen Jahren waren es immer wieder schwere Knieverletzungen, die Athletinnen zurückwarfen.

Schritt für Schritt zum Comeback

Die Skiverbände überlassen beim Thema Kreuzbandrisse deshalb nichts mehr dem Zufall: Der Zyklus wird genau getrackt, das Knie mit speziellen Übungen gestärkt. Nach einem Kreuzbandriss ist jeder Schritt von der OP bis hin zum Comeback exakt definiert: Reha, Krafttraining, Back-to-Snow-Test, erste Skitrainings, Back-to-Race-Test, der erste Wettkampf.

Gefahr eines erneuten Risses liegt bei 30 Prozent

Ganz vermeiden lassen sich Kreuzbandrisse nicht. Und auch die Gefahr, sich das Kreuzband wieder zu reißen, ist hoch. Bei rund 30 Prozent liegt die Gefahr eines erneuten Risses.

Für Melanie Michel und viele Kolleginnen im Alpinen Skirennsport kein Hindernis: „Ich musste mir Gedanken machen: Möchtest du das noch machen? Ist es dir das wert? Was möchtest du in deinem Leben? Die Fragen konnte ich dann richtig schnell beantworten“, erzählt Michel und fügt an: „Jedes Mal, wenn ich einen Schwung fahre, verspüre ich Adrenalin und Freude pur. Jedes Mal, wenn ich auf einem Berg bin, fühle ich mich zuhause.“

Quelle: BR24 22.12.2025 – 17:00 Uhr