Skandal um Brigitte Macron: Nichts mehr ist privat, nie – Kultur

Lange Zeit war Brigitte Macron eine stille Statistin der Macht, nach außen wenigstens. Sprichwörtlich diskret, zugeknöpft in ihren Tailleurs. Immer da, aber versteckt von ihrem blonden Bob, den sie wie einen Vorhang vor ihr Gesicht schob. In den achteinhalb Jahren, da ihr Mann französischer Präsident ist, hat sie auch nur sehr selten Interviews gegeben. Viele Franzosen haben sie wahrscheinlich überhaupt noch nie reden hören. Der Sound ihrer Stimme? Bof!

Das hat sich in diesen vergangenen Tagen recht plötzlich geändert. Wegen eines Videoschnipsels aus den Kulissen eines Pariser Theaters, den es eigentlich gar nicht hätte geben sollen, zumindest nicht öffentlich. Und der nun durch die Feeds und über die Timelines der sozialen Medien rauscht und rast. Nichts mehr ist privat, nie.

Jemand hatte versteckt gefilmt, wie sich Brigitte Macron vor den Künstlerkabinen der Folies Bergère mit dem Comedian Ary Abittan unterhält, der in Deutschland vor allem bekannt ist durch sein Mitwirken an den erfolgreichen „Monsieur Claude und seine Töchter“-Komödien mit Christian Clavier. Lachend und frei im Off, ein heiter überdrehter Pariser Vorabend. Sie äußerte sich dabei abfällig über vier Feministinnen, die tags zuvor die Show Abittans gestörten hatten. Die vier Frauen hatten Masken getragen, mit dem Gesicht des Komikers, und sie riefen in den Saal: „Abittan Vergewaltiger!“

Der Kontext ist wichtig. Gegen Ary Abittan war drei Jahre lang ermittelt worden, weil ihn eine junge Frau, mit der er liiert war, wegen Vergewaltigung angezeigt hatte. Im vergangenen Januar stellte die Justiz das Ermittlungsverfahren ein, weil es nicht genügend Beweise gab, um den Fall weiterzuziehen. Ein „non-lieu“, so nennt man das im französischen Strafrecht. Das ist kein Freispruch im eigentlichen Sinn, es kam ja gar nicht zum Prozess. Doch die Justiz hat die Akte weggelegt, juristisch ist der Fall abgeschlossen.

Für die Feministinnen des Kollektivs #NousToutes aber geht der Fall weiter. Sie sagen, man habe der jungen Frau nicht gebührend geglaubt, medizinische Gutachten seien ignoriert worden – die dunkle Macht des Patriarchats! Darum stören sie die Shows von Ary Abittan auch jetzt noch, nach dem „non-lieu“. Sie verstehen es als Akt des Widerstands, als Solidaritätsgeste für Opfer von sexueller Gewalt.

Abittan wiederum sagt, er habe endlich sein Leben zurück, für drei Jahre sei er wie ein Paria behandelt worden, „ein Albtraum“ sei alles gewesen. Nun hat ihn auch die Bühne wieder.

In dieser Geschichte überlagerten sich also gleich mehrere Ebenen zu einem komplexen, brisanten, beinahe exemplarischen Gemenge. Und Brigitte Macron bezog Stellung, indem sie aus der unendlich großen Offerte des Pariser Kulturlebens genau diese Show aussuchte, von diesem Comedian. Das ist natürlich ihr gutes Recht, aber es ist eine Wahl. In den Kulissen sprach sie Abittan Mut zu. Man werde schon dafür sorgen, sagte sie, dass die „sales connes“, so sie denn wieder protestieren sollten, herausgeschmissen würden.

Gefilmt, mit Ton.

„Pas très élégante“: Diese Deutung hört man besonders oft

„Sales connes“ also. Je nachdem, wie stark einem Übersetzer der Sinn nach Dramatisierung steht, wird daraus im Deutschen „verdammte Idiotinnen“ oder gar „dreckige Schlampen“, die interpretative Freiheit beim Umgangssprachlichen ist ja groß. Zählt man aber den gesamtkulturellen Rahmen und die Stimmung der Szene dazu, reicht wohl „dumme Kühe“. Derb ist auch das, von Frau zu Frau, aber nicht unbedingt vulgär. Die Feministinnen und Feministen sind empört. Die Antifeministen auf dem rechten Sender CNews finden: Ja, darf man denn gar nichts mehr sagen?

Müsste man aus den französischen Talkshows aber ein generelles Urteil herausdestillieren, bliebe wohl dieser Tenor: Die Première Dame war in dieser privaten, heimlich dokumentierten Situation „nicht gerade elegant“. Pas très élégante. Das hört man besonders oft. In manchen Dingen haben die Franzosen ein mildes Ohr.

Aber ist es überhaupt wichtig, was Brigitte Macron sagt, privat oder öffentlich? Première Dame, First Lady also, ist in Frankreich keine verfassungsgestützte Funktion, kein offizieller Titel, obschon ihn die Medien ständig benutzen. Die Frauen der Präsidenten der Republik, bisher immer Männer, sind einfach das: die Frauen der Präsidenten. Eine Präsenz, mehr oder weniger markant.

Die meisten blieben im Schatten, solange die Herrschaften regierten. Fast alle schrieben danach Bücher. Immer waren es Bestseller, weil man ja wissen wollte, wie etwa Danielle Mitterrand, Bernadette Chirac und Valérie Trierweiler, die Partnerin von François Hollande, auf ihre Lebemänner schauten, auf deren Frivolitäten vor allem.

Es hieß immer schon, Brigitte Macron sei sehr direkt im Umgang

Brigitte Macron war also lange Zeit sehr diskret. Geredet wurde aber auch über dieses Paar von Beginn weg, wohl gar so sehr wie über keines davor. Sie war 39, verheiratet, Mutter dreier Töchter und Lehrerin, als sie Emmanuel näher kennenlernte, ihren Schüler, damals 15. Wenn das mal kein Thema ist. Als sie heirateten, war sie 54, er 29.

Zwei Jahre nach der Wahl Macrons zum Präsidenten erschien ein Buch über Brigitte, es trug den Titel „Madame la présidente“. Man erfuhr darin, dass sie seine wichtigste politische Beraterin ist, dass sie viel konservativer tickt, als er das früher war: Er war mal ein Linker. Ihr Elternhaus war gaullistisch, wirtschaftsfreundlich. Hat sie ihn umgepolt? Es hieß immer schon, sie sei sehr direkt im Umgang. Aber davon erfuhren die Franzosen nichts.

Als dann vor ein paar Jahren die Fake News herumgereicht wurden, sie sei in Wahrheit ein Mann, solidarisierten sich viele mit ihr. Vor allem die Feministen. Brigitte Macron wurde immer populärer, während ihr Mann in der Gunst der Franzosen abstürzte. Nie ein Fauxpas, nie ein falscher Ton. Bis jetzt. Nun brennt der Palais wegen der „sales connes“.  Valérie Trierweiler, ihre Vorgängerin als Präsenz der Republik, wurde gefragt, wie sie jetzt reagieren würde: „Ich würde den Brand mit dem Wasserwerfer löschen“, sagte sie.

Wenn mal was öffentlich ist, was privat sein sollte, dann ist es halt nach dem Naturgesetz unserer Zeit uneinholbar öffentlich. Eine Entschuldigung, ein Pardon, das wäre elegant. Très élégant.