
Der Weltverband Fis hat nach dem Anzugskandal bei der Nordischen Ski-WM durchgegriffen und neben drei norwegischen Teamoffiziellen auch den zweifachen Skisprungweltmeister von Trondheim, Marius Lindvik, sowie seinen Teamkollegen Johann André Forfang vorläufig suspendiert. Gegen die beiden Athleten sowie die Funktionäre um den vom norwegischen Skiverband bereits suspendierten Cheftrainer Magnus Brevig wird wegen ihrer „mutmaßlichen Beteiligung an illegalen Materialmanipulationen“ bei der WM-Entscheidung von der Großschanze am vergangenen Samstag ermittelt.
„Die Situation ist offensichtlich äußerst beunruhigend und enttäuschend“, sagte Fis-Generalsekretär Michel Vion. Bis zum Abschluss des Verfahrens sind sie „von der Teilnahme an Fis-Veranstaltungen und Veranstaltungen nationaler Skiverbände vorläufig suspendiert“, erklärte der Weltverband. Das gilt ab sofort – schon bei der an diesem Donnerstag beginnenden Raw-Air-Tour, einer Sprungserie in Skandinavien, sind sie gesperrt. Eine Szene wie in Trondheim, wo Lindvik und der zweitplatzierte Andreas Wellinger nebeneinander bei einer Siegerehrung stehen, wird es so schnell nicht mehr geben.

Meinung
:Norwegen hat seiner WM mit dem Anzugskandal einen massiven Imageschaden beschert
Das norwegische Team hat bei den Sprunganzügen die innen liegenden Nähte mit festem Material verstärkt, was die Steifheit der Anzüge und damit die Flugfähigkeit erhöht hat. Der Skisprung-Chef des Verbands, Jan-Erik Aalbu, gab die bewussten Manipulationen am Sonntag zu, nachdem anonym verbreitete Videos von den illegalen Näharbeiten aufgetaucht waren. Inzwischen hat die Fis auch alle Sprunganzüge konfisziert, die von den Norwegern bei der WM in Trondheim in den Schanzen-Wettbewerben getragen wurden, sowohl von den Männern als auch von den Frauen. Die Anzüge werden erneut untersucht. Was das nach den vielen Tagen, die zwischen den einzelnen Wettkämpfen vergangen sind, noch bringt, sei dahingestellt. Es ist ein Anfang. Denn die vorsätzlichen Schummeleien des WM-Gastgebers werden die Skisprungszene lange beschäftigen.
Laut Tande haben diverse Nationen manipuliert. Ein Team hätte sich sogar die Maschine der Norweger ausgeliehen
Lindvik, 26, und Forfang, 29, die gemeinsam auch die Goldmedaille im Mixed-Team gewonnen hatten, beteuerten am Montag, nicht wissentlich mit manipulierten Anzügen gesprungen zu sein. Das wird erheblich in Zweifel gezogen – nicht nur von Experten wie Sven Hannawald. Auch Andreas Wellinger kann sich das „nur sehr schwer vorstellen“, wie er bei Servus-TV sagte. Er wisse „aus der Erfahrung aus den letzten zwölf Jahren, in denen ich jetzt dabei bin: Wenn Änderungen am Anzug stattfinden, dann stehe ich da drinnen. Ich merke, dass der anders ist, und frage nach, was da geändert wurde“.
Im Rahmen der Diskussionen haben mittlerweile mehrere frühere norwegische Skispringer zugegeben, während ihrer Karriere betrogen zu haben. „Das macht wirklich jeder“, sagte Daniel-Andre Tande, Team-Olympiasieger 2018 in Pyeongchang, dem norwegischen Rundfunk NRK: „Ja, ich wage zu behaupten, dass ich das schon mehrmals getan habe.“
Neben Tande räumten auch Anders Jacobsen und Johan Remen Evensen ein, während ihrer Karrieren mit manipuliertem Material an Wettkämpfen teilgenommen zu haben. „Betrug“ sei zwar ein „hartes Wort“, sagte Jacobsen, der 2007 die Vierschanzentournee gewonnen hatte. „Aber ich kann nicht mit der Hand auf dem Herzen sagen, dass ich es nicht getan habe. Denn wenn Betrug per Definition bedeutet, einen Anzug zu haben, der ein wenig zu groß ist, dann habe ich betrogen.“
Dabei ging es nicht nur um illegale Veränderungen am Anzug, wie die Norweger berichteten. Auch Schuhe, Handschuhe und selbst die Unterwäsche würden manipuliert. Tande berichtete davon, dass die Norweger 2019 ihr zu dichtes Anzugmaterial mit einer Perforationsmaschine so verändert hätten, dass sie den Luftdurchlässigkeitstest bestanden. Laut Tande hätten das diverse Nationen getan, ein anderes Team hätte sich sogar die Maschine der Norweger ausgeliehen.
Die Hauptschuld sieht das Trio beim Weltverband Fis, der mit seinen Regularien die Springer zum Betrug anrege und nicht immer konsequent durchgreife. Tande ging so weit zu behaupten, die Kontrolleure würden sichtbare Manipulationen nicht beachten, damit man den richtigen Sieger habe: „Es ist das Beste für das Produkt, wenn in Norwegen ein Norweger gewinnt oder ein Österreicher in Österreich. Das ist allgemein bekannt.“