Sieht so das Sofa von morgen aus?

Ein Spätsommernachmittag in Paris. Durch die bodentiefen Fenster der prächtigen Altbauetage fällt gleißende Septembersonne. Es ist Design Week, und vor der versammelten französischen Presse bauen die Designer Alexis Tourron und Stefano Panterotto im Vitra-Showroom unermüdlich ihr Sofa um.

Zur L-Form, zur Chaiselongue, sie entfernen Rückenlehnen, kleine Tische, bringen sie an anderer Stelle wieder an, stapeln Kissen um und verbinden sogar mehrere Sofas mit unterschiedlich großen Grundflächen zu einer ganzen Landschaft, wie sie in Entrées, Hotelhallen oder großzügigen Salons stehen könnten. Immer und immer wieder verändern sie das Sitzmöbel.

Kein Zweifel mehr: Das geht leicht und verlangt weder Expertise noch Geduld. Sich die Finger zu klemmen ist ausgeschlossen, und im Nu ist aus diesem auf den ersten Blick ganz normal wirkenden Sofa eine vollkommen andere Situation geschaffen – zum Sitzen, Liegen, Schlafen.

Ein Sofa für alle Fälle

Anagram hat das Designer-Duo Panter & Tourron seinen jüngsten Wurf aus dem gemeinsamen Studio in Lausanne genannt. Was eine passende Bezeichnung für dieses flexible und wandelbare Möbelstück ist: Die ursprüngliche Bedeutung kommt aus dem Altgriechischen, frei übersetzt heißt Anagram so viel wie die Entstehung eines neuen Worts durch die Umstellung nur eines Buchstabens.

Das Sofa der Zukunft: Den Auftrag von Vitra haben Stefano Panterotto (rechts) und Alexis Tourron mit Anagram erfüllt.
Das Sofa der Zukunft: Den Auftrag von Vitra haben Stefano Panterotto (rechts) und Alexis Tourron mit Anagram erfüllt.Unternehmen

Dem Neuzugang in der Vitra-Kollektion liegt eine Studie zugrunde: „Zuerst bekamen wir den Auftrag, das Sofa der Zukunft zu erforschen, mit dem Anspruch, dass es 30 Jahre aktuell sein soll“, sagt der gebürtige Franzose Tourron.

Bei der Studie, die auch in die Zeit der Lockdowns fiel, war schnell klar: Sofas sind das sperrigste Möbelstück in einer Wohnung und oft nach einem Umzug nicht mehr zu gebrauchen, denn häufig genügt bei einer L-Form schon die Ausrichtung, damit es nicht mehr passt. Und: Schnell war auch klar, dass sich die Lebensumstände vollkommen verändert haben.

Sitzmöbel im Wandel der Zeiten?

„Wir ziehen häufiger um, der Wohnraum wird eher kleiner als größer, das Homeoffice verlangt Flexibilität, Familien trennen sich und fügen sich neu zusammen“, fasst der aus Triest stammende Stefano Panterotto ihre Ergebnisse zusammen. „Wohnzimmersituationen mit einem aufs Fernsehen ausgerichteten Sofa haben mit den heutigen Lebensgewohnheiten in Zeiten von Streaming und Tablet auch nur noch wenig zu tun“, fährt der Desiger fort.

Die Untersuchungsergebnisse waren so überzeugend, dass der Auftrag für die Entwicklung des Möbels eine logische Konsequenz war. „Wir hatten Carte Blanche“, sagt Tourron und strahlt. Dabei haben die jungen Designer noch nie zuvor ein Möbelstück entwickelt oder für Vitra gearbeitet.

Tourron, 33, aus Clermont-Ferrand, und der Italiener Panterotto, 36, lernten sich im Masterstudiengang an der École cantonale d’art de Lausanne (Écal) kennen. 2015 schlossen sie ihre „Advanced Studies in Design for Luxury and Craftsmanship“ ab und gründeten wenige Monate später ihr Studio, das sie heute mit sechs Mitarbeitern aus aller Welt führen.

Luxus und Handwerk – das bedeutet in der Schweiz häufig Uhren, in Frankreich Mode und in Italien Lederproduktion. Panter & Tourron, für die Produktdesign nur eine Disziplin von vielen ist, machten alles – und von Anfang an in hochkarätigem Umfeld: Der erste Auftrag kam von Hermès, sie entwarfen Installationen für die Geschäfte in der Schweiz.

Für die Schweizer Uhrenmarke Hublot war es ein fotografischer Auftrag für die Kampagne. Unter anderem arbeiteten sie für Balenciaga und Cappellini. Es folgte ein einjähriger Aufenthalt für Studien im Design Lab von Airbnb in San Francisco. „Mit diesem Auftrag beschäftigten wir uns erstmals mit der Frage, wie die Zukunft des Wohnens aussieht“, sagt Tourron, während er weiter Tischchen in dreierlei Hölzern ans Sofa klickt.

Bei jedem Entwurf steht ihre Überzeugung im Zentrum, dass Luxus nicht modisch sein soll und keinen Trends folgen darf. „Ein handwerklich gutes Stück hält sich über Generationen, muss zeitlos sein und auch nach vielen Jahren noch frisch aussehen“, sagt Tourron. Die Bezüge gibt es in 20 Farben, sie lassen sich einfach tauschen. Dieses Möbelstück ist also garantiert dauerhaft wandlungsfähig.