
Die Erfolgsstory wird fortgeschrieben, die Niederlage beim FC Bayern war kein Wirkungstreffer. Borussia Dortmund siegt beim FC Kopenhagen am Ende deutlich – vor allem dank der Einwechselspieler. Überhaupt: So viele gleichwertig gute Alternativen hatte der BVB lange nicht mehr.
Fábio Silva kennt es, auch mal zu warten. Der portugiesische Stürmer von Borussia Dortmund stand geduldig in dem zugigen Bereich zwischen der Ost- und Nordtribüne im Kopenhagener Stadion Parken. Er schaute sich an, wie Felix Nmecha in die Mikrofone der Reporter sprach.
Einige Minuten später, als der Kollege seine Interviews beendet hatte, übernahm er dessen Platz. Als sich die Wege der beiden kreuzten, kam es zu einer herzlichen Umarmung. „Fábio Silva, best man“, sagte Nmecha – dabei war er es ja, der nach seinen zwei Toren beim 4:2 (1:1) des BVB gegen den FC Kopenhagen zum offiziellen „Man of the Match“ gekürt worden war. Zurecht. Doch Silva hatte, das wusste Nmecha, auch Anerkennung verdient.
Denn mit ihm war neue Energie in ein Spiel gekommen, das von der Psychologie her kein leichtes war. Es fand nur drei Tage nach der 1:2-Niederlage beim FC Bayern statt. Ausgerechnet beim deutschen Klassiker hatte es die Dortmunder nach zuvor 14 ungeschlagenen Spielen erwischt – und die Kritiken trafen ungeachtet dessen, was sich die Mannschaft in den vergangenen Monaten erarbeitet hatte, einen Nerv. Sie lauteten wieder einmal: Seht her, wenn es darauf ankommt, versagt der BVB. Es war zumindest nicht selbstverständlich, dass die Mannschaft so kurz darauf wieder leistungsbereit war.
Kovac musste in die Köpfe der BVB-Spieler, sie wachrütteln
„Wir sind sehr froh, dieses schwierige Auswärtsspiel gewonnen zu haben. Das war sehr wichtig nach der Niederlage in München“, sagte Niko Kovac. Der Dortmunder Trainer hatte die Gefahr erkannt, dass aus der Enttäuschung Selbstzweifel werden könnten und damit die grundsätzlich positive Entwicklung infrage gestellt werden könnte. Und die Partie beim dänischen Meister, keinesfalls ein internationales Spitzenteam in der Champions League, wirkte lange wie ein Menetekel.
„In der ersten Halbzeit haben wir zu langsam gespielt, unsere Ballzirkulation war ungenau. Wir haben nur zur Seite, nicht nach vorn gespielt. So kann man keine Führung ausbauen“, kritisierte der Trainer. Nmecha hatte zwar das 1:0 erzielt (20.) – aber das war es auch mit schwarz-gelber Spielkultur. In der 33. Minute fing sich der BVB durch ein slapstickartiges Eigentor von Waldemar Anton das 1:1. Kovac musste, wie schon zur Pause in München, nachjustieren: Er musste in die Köpfe der Spieler, sie wachrütteln.
Wirklich besser wurde es erst, nachdem er ausgewechselt hatte. Zwar war den Dortmundern bereits in der 61. Minute durch einen von Ramy Bensebaini verwandelten Foulelfmeter die erneute Führung gelungen – doch das war ein Geschenk. Erst nachdem Kovac Carney Chukwuemeka, Julian Ryerson und vor allem Silva in die Partie brachte, entstand neue Dynamik.
„Da haben wir endlich aggressiv und wesentlich schneller gespielt“, erklärte der Coach. Plötzlich gab es Flügelspiel, fließende Kombinationen und die Tore, die nötig waren, um Sicherheit zu gewinnen. Nmecha erhöhte auf 3:1 (76.) und Silva sorgte mit einer technisch perfekten Direktabnahme für die Entscheidung. Damit hat der BVB nun sieben Punkte aus drei Spielen – und ist mit zwölf erzielten Toren die zweitstärkste Offensive des gesamten Teilnehmerfeldes der Champions League.
„Fábio Silva hat sich seine Minuten verdient. Er ist fleißig, akkurat, sauber und mannschaftsdienlich“, lobte Kovac den Zugang, um den es im Sommer eine große Diskussion gegeben hatte. Der 23 Jahre alte Stürmer, der für 22 Millionen Euro von den Wolverhampton Wanderers kam, sollte ein Back-up für Torjäger Serhou Guirassy sein. Doch Silva war verletzt angekommen. Hatte der BVB ähnlich wie für Chukwuemeka, der in der vergangenen Rückserie vom FC Chelsea gekommen und ebenfalls länger verletzt war, zu viel bezahlt? Sich noch einen teuren Problem-Profi geholt?
Fakt ist: Beide Offensivspieler hatten ihre Probleme – die allerdings mittlerweile gelöst werden konnten. Spätestens Dienstag wurde klar: Sie sind wichtige und dringend benötigte Alternativen, um die Saisonziele zu erreichen. Darum hatte Kovac um sie gekämpft, als es im Sommer auch interne Debatten gegeben hatte, wie viele Verstärkungen nötig seien. „Wir haben jetzt einen sehr guten, ausgeglichenen Kader. Wir können rotieren, ohne dass es einen Leistungsabfall gibt. Im Gegenteil: Es gibt manchmal sogar einen Schub“, so der Coach.
In allen Mannschaftsteilen hat Kovac mittlerweile die Qual der Wahl – und das von Spiel zu Spiel aufs Neue. Die Leistungsdichte ist extrem hoch. In der Defensive kann er aus Nico Schlotterbeck, Waldemar Anton, Rami Bensebaini, Niklas Süle, Aaron Anselmino die drei Innenverteidiger auswählen, die er für sein System benötigt. Auf den defensiven Außenpositionen gibt es mit Daniel Svensson, Yan Couto, Ryerson und Bensebaini, der dort auch spielen kann, vier gleichwertige Alternativen für zwei Positionen. Im zentralen Mittelfeld tummeln sich mit Marcel Sabitzer, Nmecha, Jobe Bellingham, Pascal Groß und Emre Can, einem der wenigen derzeit verletzten Dortmunder, fünf Spieler – und vorn ist mit Julian Brandt, Karim Adeyemi, Maxi Beier, Chukwuemeka sowie Guirassy und Silva alles doppelt besetzt.
Borussia Dortmunds Aufschwung hängt auch mit weiterer Professionalisierung zusammen
„Bei uns weiß jeder, der in der Startelf steht, dass er Druck von den Einwechselspieler bekommt – und er deshalb performen muss. Deshalb bin ja so happy: Ich strahle immer noch“, erklärte Kovac. Das sei schließlich eine gute Voraussetzung, um den intensiven Block mit sieben Spielen in drei Wochen schadlos zu überstehen – selbst wenn der mit der Niederlage in München nicht gut begonnen hatte.
Der BVB ist anders aufgestellt als in der vergangenen Saison – besser und vor allem breiter. „Wir hatten 2024/25 Spiele, bei denen wir nicht diese Qualität auf dem Spielberichtsbogen und auf der Bank hatten“, so Kovac über den „alten“ BVB, der zum Ende der vergangenen Saison trotz eines fulminanten Schlussspurt 25 Punkte Rückstand auf die Bayern hatte. Der gravierende Unterschied zu dem „neuen“ BVB hängt mit Transfers zusammen – aber auch mit einer Professionalisierung in Bezug auf das Athletiktraining und Verletzungsprophylaxe. Die Zahl der Muskelverletzungen ist extrem zurückgegangen.
Es gibt ein besonders krasses Beispiel, das dies anschaulich macht. Vor fast einem Jahr traten die Dortmunder im DFB-Pokal beim VfL Wolfsburg an. Nuri Sahin musste, um überhaupt eine halbwegs gefüllte Bank zu haben, gleich fünf Spieler aus der U23 hochziehen. Der BVB verlor das Spiel mit 0:1 – und war danach bis in den Februar hinein nur noch im Krisenmodus. Dann musste Sahin gehen, Kovac kam. Es änderte sich einiges.