
Die Queen war nicht unbedingt für modische Wagnisse oder Statements bekannt – aber 1951 setzte sie einen Trend, der sich durchsetzen sollte: Sie ließ sich Ohrlöcher stechen. Davor trugen Frauen fast ausschließlich Clips. Perforierte Ohrläppchen galten als primitiv, als Verstümmelung. Die Körpermodifikation wurde mit bestimmten Ethnien assoziiert – zum Ende der britischen Kolonialzeit war es nur ein kleiner Schritt bis zum Vorwurf der „Barbarei“. Rassistischer Unsinn, muss man mit historischer Überlegenheit sagen: Körpermodifikation gibt es wohl in jeder Gesellschaft. Ohrschmuck lässt sich quer durch die Menschheitsgeschichte verfolgen. Ötzi hatte Ohrlöcher ebenso wie Shakespeare.
Was genau die Queen dazu bewegt hat, mit der Vorstellung ihrer Generation zu brechen und sich piercen zu lassen, ist nicht klar. Angeblich hat sie zur Verlobung ein Paar Ohrringe bekommen, die sie ohne Löcher nicht tragen konnte.

Nicht nur die Wertvorstellungen hinter Clips sind heute überholt. Wer schon mal länger als eine halbe Stunde welche getragen hat, weiß, wie weh ein Ohrläppchen tun kann, in das sich eine zu enge Metallklammer beißt. Frauen vor den Fünfzigern beklagten außerdem, dass sie Ohrringe verloren. Und trotzdem gibt es gute Gründe für den Ohrclip.
Der Clip besticht durch Solidität und Masse
Im besten Fall sind Clips mehr als der Versuch, einen „richtigen“ Ohrring zu imitieren. Denn er spricht eine andere Design-Sprache. Während „normale“ Ohrringe luftig, leicht, beweglich baumeln, besticht der Clip in vielen Fällen durch seine Solidität und Masse. Er ist eher ein Schmuckklotz, der am Kopf sitzt, manchmal so groß, dass dahinter die halbe Ohrmuschel verschwindet.
Das Schönste am Clip ist, dass er sich durch besondere Textur hervortut. Mit der Oberflächenästhetik vieler Clips kann eine Creole nicht mithalten. Ein Clip kann figurativ oder mit Textil bezogen sein, aus Plastik in Form gegossen oder mit Steinen besetzt sein. Immer wieder kann man sich in Ovale verlieben, auf denen sich Materialien wie Mandalas anordnen. Man darf keine Angst davor haben herauszustechen – man muss den Kitsch am Ohr willkommen heißen.
Dass man zum Schönsein leiden muss, ist bösartiger Quark: Für Clips gibt es kleine Plastikteilchen, die den Druck ein wenig mildern können. Wer sich direkt von der Begeisterung mitreißen lassen mag, hat den Vorteil, dass man sich über den immensen Schatz unserer Vorfahren hermachen kann. Auf Vinted, Kleinanzeigen und auf Flohmärkten gehören Clips nicht zu den beliebtesten Teilen und wechseln für wenige Euro in den eigenen Besitz über.