
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU),
Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) und führende Generäle der
Bundeswehr haben bei der diesjährigen Bundeswehrtagung in Berlin erneut
vor einer Bedrohung durch Russland gewarnt und dabei die Wichtigkeit von
Verteidigungsbereitschaft und Abschreckung betont.
Merz richtete in einem Grußwort per Video aus,
die Tagung finde in einer Zeit statt, „in der unsere Freiheit, unser
Frieden und unsere Sicherheit ernsthaft gefährdet sind“. Pistorius sagte
in seiner Rede mit Blick auf den russischen Angriffskrieg gegen die
Ukraine, die Aggression gehe weit über die Ukraine hinaus. „Es ist kein
Alarmismus, um es deutlich zu sagen, wenn ich sage, unsere Art zu leben
ist in Gefahr.“
„Wir müssen wieder über Krieg nachdenken“
Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, sagte: „Wir müssen wieder über Krieg nachdenken. Das haben wir zu
lange nicht gemacht. Wir konnten es. Wir haben es häufig anderen
überlassen.“ Er spricht von einer „dämmrigen Übergangszeit, in der es
noch nicht Krieg, aber auch nicht mehr ganz Frieden ist“.
Russland nehme Deutschland wegen seiner geografischen Lage
mitten in Europa besonders ins Visier, sagte etwa der Chef des Operativen Führungskommandos der
Bundeswehr, Alexander Sollfrank. „Wir sind für Russland eine
kritische Größe.“
Deutschland als Transitland
Im Konfliktfall wäre Deutschland der zentrale Aufmarschort der Nato. Mit sehr kurzer Vorlaufzeit müssten gegebenenfalls bis zu 800.000
Soldaten mit ihrem Material aus verschiedenen Nato-Staaten über
Deutschland an die Ost-Flanke verlegt werden. „Kommt der Aufmarsch ins
Stocken, kommen die Kräfte zu spät oder unkoordiniert an, scheitert
Abschreckung.“
Sollfranks Stellvertreter, Generalleutnant André
Bodemann, skizziert in einem aktuellen Interview mit der ZEIT:
Käme es an der Nato-Ostflanke zu einem Bedrohungsszenario durch
Russland, würde die Nato ihre Verteidigungspläne aktivieren – mit den
genannten großen Truppenbewegungen durch Europa, meist durch
Deutschland. „Russland wird das verhindern wollen.“ Bodemann
nennt mögliche Saboteure in Zivil, die Anschläge auf Brücken, Tunnel,
Häfen oder Flughäfen verüben könnten oder auch Angriffe mit
Marschflugkörpern auf Energie- oder Verkehrsinfrastruktur.
Russland rüstet auf
Cyberangriffe,
gezielte Desinformation, hybride Angriffe auf Häfen, Pipelines und
Netze, „das sind Vorboten“, sagte Pistorius auf der Bundeswehrtagung. „Russland rüstet sich für
einen weiteren Krieg.“ Sollfrank zählt auf: Trotz des Krieges gegen die
Ukraine würden sich die russischen Bestände im Bereich der
Artilleriemunition und Raketen bis 2030 gegenüber 2022 nahezu
verdoppeln, im Bereich Drohnenproduktion gebe es einen spürbaren
Fähigkeitsaufwuchs, die Zahl der Soldaten werde auf 1,5 Millionen
erhöht, Luftstreitkräfte seien trotz Ukraine-Einsatzes weitgehend
einsatzbereit, „und Russland hält unverändert an seinen Fähigkeiten zur
nuklearen Eskalation fest“.
Der
Generalleutnant spricht von einem sehr großen Militärpotenzial. „Damit
ist bereits heute Russland zu einem regional begrenzten Angriff auf das
Nato-Territorium befähigt“, sagt Sollfrank. Man gehe derzeit aber nicht
davon aus. Nach Ende des Krieges und bei ungebremster Fortsetzung der
Aufrüstung sei ein sogenannter großmaßstäblicher Angriff auf die Nato
möglich. „Das bedeutet, dass wir uns mit der Möglichkeit eines Angriffs
auf uns beschäftigen müssen, ob uns das jetzt gefällt oder nicht.“
Die
Militärs und der Verteidigungsminister betonen bei der Tagung vor
diesem Hintergrund eine Notwendigkeit für eine größere und stärkere
Bundeswehr. „In der Ukraine kam es zum Krieg, weil Russland diesen für
schnell gewinnbar hielt – Fehleinschätzung. Wir müssen verhindern, dass
Russland erneut zu einer solchen Fehleinschätzung kommt“, sagt
Generalinspekteur Breuer. „Russland darf niemals annehmen, dass es einen
Krieg mit der Nato gewinnen kann.“
