Sichere Weihnachtsmärkte: Städte klagen über Kosten und Aufwand

Als der kleine Trompeter neben der Rathausuhr um Punkt 18 Uhr bläst, ist der Marktplatz unter ihm bereits gut gefüllt. Immer mehr Besucher strömen durch die Gassen der Marburger Oberstadt in Richtung Weihnachtsmarkt. In diesem Jahr führt ihr Weg vorbei an bewachten Durchfahrtssperren. Sie sollen eine Wiederholung dessen verhindern, was sich 2016 in Berlin und 2024 in Magdeburg ereignete: dass ein Attentäter ein Fahrzeug in die Menschenmenge steuert.

„Wir wollen auf keinen Fall, dass so etwas passiert“, sagt der Marburger Oberbürgermeister Thomas Spies. „ Wir wollen aber auch, dass die Leute sich wohlfühlen. Und mehr Polizeipräsenz gibt ein Sicherheitsgefühl, ruft aber auch ins Bewusstsein, dass etwas passieren könnte.“

Für Veranstalter sind die erhöhten Sicherheitsanforderungen, die seit dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt am 20. Dezember 2024 gelten, ein finanzieller und organisatorischer Kraftakt. Bereits wenige Wochen danach zeigte sich, welche Bedeutung der Vorfall für kommende Stadtfeste haben würde.

Der Marburger Oberbürgermeister Thomas Spies will nicht, dass Menschen aus Angst vor einem Attentat dem Weihnachtsmarkt fernbleiben
Der Marburger Oberbürgermeister Thomas Spies will nicht, dass Menschen aus Angst vor einem Attentat dem Weihnachtsmarkt fernbleibenMichael Braunschädel

„Das erste Ereignis 2025, bei dem sich die Frage nach den erhöhten Sicherheitsmaßnahmen stellte, war nicht der Weihnachtsmarkt, sondern der Rosenmontagsumzug“, sagt Sozialdemokrat Spies. Zum Jahreswechsel sei das Sicherheitskonzept für den Umzug ausgearbeitet worden. Der zuständige Fachgutachter habe die Standards in Reaktion auf das Attentat in Magdeburg angehoben. Weil sich die Miete der erforderlichen Durchfahrtssperren auf mehr als 70.000 Euro belief, habe die Stadt die zusätzlichen Kosten übernommen – sonst wäre der Zug abgesagt worden.

Inzwischen hat Marburg mehr als 200.000 Euro in eigene Sperren investiert. Doch nicht nur die einmalige Anschaffung kostet: Für jedes Fest müssen die Blockaden aufgebaut, bewacht und stellenweise händisch geöffnet werden, sollten Feuerwehr oder Notarzt hindurchmüssen. Weil die beiden Marburger Weihnachtsmärkte in der Adventszeit täglich bis zu zehn Stunden geöffnet sind, steigt der Personalaufwand währenddessen um ein Vielfaches. Insgesamt fallen in diesem Jahr mehr als 100.000 Euro für die zusätzlichen Sicherheitsvorkehrungen an.

Der Weg zum Weihnachtsmarkt in Marburg
Der Weg zum Weihnachtsmarkt in MarburgMichael Braunschädel

Jan-Bernd Röllmann ist Geschäftsführer des Marburger Stadtmarketings. Gemeinsam mit einer Kollegin hat er seit Anfang des Jahres daran gearbeitet, das bestehende Sicherheitskonzept für die Weihnachtsmärkte auszuarbeiten. In Rücksprache mit Polizei, Ordnungsamt und Rettungsdiensten, die eigene Empfehlungen einbrachten, wurden Gefahren analysiert. Mit einem Umfang von 50 Seiten sei das Sicherheitskonzept im Vergleich zum Vorjahr doppelt so lang, berichtet Röllmanns Kollegin Lea Michel.

Die Kosten belasten Städte in ganz Deutschland

Nicht nur in Marburg sind die Herausforderungen seit dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg deutlich gestiegen. In ganz Deutschland ächzen die Städte und Kommunen unter der Last, die durch die erhöhten Sicherheitsanforderungen entstanden ist. Besonders teuer sind die Durchfahrtssperren. In Dresden stellte der Stadtrat etwa 1,85 Millionen Euro für mobile Schutzelemente zur Verfügung. In Heilbronn entschied man sich, Vorrichtungen für 250.000 Euro zu mieten. In Gera wurden für den Kauf der Sperren 387.600 Euro an außerplanmäßigen Mitteln bereitgestellt.

Häufig sind die Kommunen selbst Veranstalter der Märkte und dadurch direkt für die Sicherheit und die damit verbundenen Kosten verantwortlich. In Städten wie Marburg, wo die Weihnachtsmärkte vom Stadtmarketing und dem „Werbekreis Oberstadt“ veranstaltet werden, muss die Stadt finanzielle Hilfe leisten, damit sie stattfinden können.

Bis zum 23. Dezember ist der Weihnachtsmarkt in der Marburger Oberstadt geöffnet
Bis zum 23. Dezember ist der Weihnachtsmarkt in der Marburger Oberstadt geöffnetMichael Braunschädel

Dass die gestiegenen Kosten vielerorts zu Absagen der Weihnachtsmärkte geführt hätten, wie in den sozialen Netzwerken und vereinzelten Medienberichten spekuliert wurde, sei jedoch eine Falschinformation, teilt der Deutsche Städtetag der F.A.Z. mit. Bekannt ist nur, dass im nordrhein-westfälischen Overath der Weihnachtsmarkt aufgrund der hohen Sicherheitskosten abgesagt werden musste.

Terrorabwehr ist Aufgabe des Staates

In Marburg habe eine Absage nicht zur Debatte gestanden, sagt Röllmann. Doch angesichts der steigenden finanziellen Belastung blickt er sorgenvoll auf die Zukunft von Stadtfesten: „Viele Kommunen haben große Probleme, auch Marburg, weil Gewerbesteuereinnahmen wegfallen und immer mehr Aufgaben dazukommen.“ Als hessischer Landesvorsitzender der Bundesvereinigung City- und Stadtmarketing Deutschland steht er mit anderen Kommunen im Austausch. „Die Alternative heißt jetzt für viele Kommunen: Entweder jemand bezahlt, oder die Veranstaltung findet nicht statt. Und das möchte ich nicht, denn davon profitieren sowohl die Attentäter als auch die rechte Blase“, sagt er. Den Attentätern gelänge so ein Eingriff in das öffentliche Leben, den Rechtsextremen gäbe es Zündstoff für fremdenfeindliche Positionen.

Jan-Bernd Röllmann, Geschäftsführer des Marburger Stadtmarketings, will Attentätern nicht mehr Aufmerksamkeit geben als nötig
Jan-Bernd Röllmann, Geschäftsführer des Marburger Stadtmarketings, will Attentätern nicht mehr Aufmerksamkeit geben als nötigMichael Braunschädel

Immer mehr Städte und Kommunen fordern eine stärkere finanzielle Unterstützung durch Bund und Länder. Sie verweisen darauf, dass Terrorabwehr eigentlich nicht in ihren Aufgabenbereich zählt. „Wir als Kommune und als Veranstalter sind gerne bereit, die Aufgabe des Staates zu übernehmen“, sagt Röllmann. „Aber dann soll er sie auch bezahlen.“

In mehreren Bundesländern sind bereits Förderprogramme aufgelegt worden oder in Planung, etwa in Rheinland-Pfalz und Hessen: Seit April gibt es in Hessen ein Sofortprogramm „Sicherheit bei Veranstaltungen“, das jedoch auf die „gemeinsame Aufgabenerledigung und Einsparung von Sach- und Personalkosten“ zielt; nicht darauf, die Kosten zu übernehmen, die durch die Anschaffung von Zufahrtssperren entstehen. Das Programm sei zu begrüßen, stelle aber noch keine ausreichende finanzielle Unterstützung dar, sagt Michael Hofmeister vom Hessischen Städtetag. Zudem sei es in erster Linie für kleinere Gemeinden interessant und helfe den größeren Städten wenig.

Neben der Kostenfrage kritisieren Betroffene auch die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen. Man müsse diskutieren, wie Sicherungsmaßnahmen und Risiko in ein Gleichgewicht gebracht werden könnten, sagt Oberbürgermeister Spies in Marburg. Auch Jan-Bernd Röllmann spricht sich dafür aus, bei den Sicherheitsanforderungen an Stadtfeste mit Augenmaß vorzugehen. Die Organisation sei ein Spagat zwischen dem Empfinden der Menschen und dem, was sinnvoll sei. Zudem könne man trotz der Vorkehrungen hundertprozentige Sicherheit nicht garantieren: „Wir sichern eine einzige Terrorgefahr ab mit diesem Aufwand. Aber was machen wir, wenn sie eine andere Waffe anwenden?“

Die Angst vor einem Attentat scheint die Marburger an diesem Abend nicht zurückgehalten zu haben. Sie sei erst durch den Anblick der Sperren für einen kurzen Moment verunsichert gewesen, sagt eine junge Frau, die direkt neben den metallenen Schranken Glühwein trinkt. Ihre Begleitung gibt jedoch zu, in den letzten Tagen öfter über das Thema nachgedacht zu haben.

Jan-Bernd Röllmann ist mit dem Auftakt des Marburger Weihnachtsmarktes in diesem Jahr zufrieden. Die Stadt sei gut gefüllt gewesen, Zwischenfälle habe es keine gegeben. „Für mich ist dieses Jahr eine Art Testlauf, bei dem alle Städte sehen müssen, wie weit sie kommen, und sich fragen müssen, wie weit sie das in Zukunft noch treiben wollen“, sagt er.