Shirin David beherrscht das Spiel mit vielen Rollen

Vor einem ihrer ersten Konzerte ihrer gerade begonnen Tour in Köln lässt sie doch mal hinter die Fassade blicken. Als ihr jemand hinter der Bühne sagt: „Wir haben noch acht Minuten Zeit, alles entspannt“, erwidert Shirin David: „Gar nix ist entspannt.“ Taban, ihr Begleiter, muss ihr Mut zusprechen. Sollte die Sängerin Zeichen von Nervosität zeigen, also menschliche Züge hinter der mühsam aufgebauten Oberfläche des Popstars? Oder war auch dieser Moment, schließlich teilte sie ihn auf Instagram, Teil einer Inszenierung, in der sie Schwäche nur einsetzt, um Stärke zu zeigen?

Sicher ist jedenfalls, dass Shirin ­David das Spiel mit vielen Rollen beherrscht: Sie ist die Rapperin, die all die anderen „Bitches“ niedermacht; sie ist die Popsängerin, die sich gurrend beim Publikum einschmeichelt; sie ist die Kreative, die mit abenteuerlichen Neologismen der deutschen Sprache schräge Schönheit verleiht; und nicht zuletzt ist sie die junge Frau mit Migrationshintergrund, die es geschafft hat – und als Vorbild Mädchen begeistert, die aus prekären Verhältnissen ebenfalls auf die großen Bühnen des Lebens wollen.

Geboren wurde Barbara Shirin Davidavicius am 11. April 1995 in Hamburg, als Tochter einer Litauerin und eines Iraners – ihren dreißigsten Geburtstag am nächsten Freitag wird sie während ihrer Tour auf der Bühne in Leipzig feiern. Die alleinerziehende Mutter ließ ihren beiden Töchtern keine freie Minute: Schon im Kinderzimmer im Hamburger Stadtteil Bramfeld übte Shirin David, wie sie sich später knapp nannte, Ballett, Gesang, Klavier, Geige und Oboe. Im Lied „Bramfeld Storys“ blickte sie 2021 so auf diese Zeit zurück: „Kannte als Kind nur Klassik, Puccini und Vivaldi / Die anderen Kinder schauten Cartoons, Snoopy oder Heidi / Hatt jeden Nachmittag Musikunterricht über Stunden / Und trotz ihres Diploms ging meine Mama heimlich putzen“. Auch die unreinen Reime gehören bei dieser Künstlerin dazu, sie ist schließlich nicht Andrea Berg, sondern die Nina Hagen für unsere Zeit.

Sie tut Rap- und Popmusik gut

Der schwierige Beginn eines zunehmend aufsässigen Mädchens, das gleich mehrmals die Schule wechselte, war die beste Vorbereitung für das Zeitalter von Youtube, Instagram und Tiktok. Der Ehrgeiz der Mutter lebt in der disruptiven Karriere der Tochter weiter. Shirin David wurde schon als Youtuberin Multimillionärin, brachte Alben heraus, zuletzt „Schlau aber blond“, war wortgewandte Jurorin in Musiksendungen und wurde 2024 mit sieben Nummer-eins-Hits zur erfolgreichsten deutschen Popkünstlerin.

Die Kritik an der Rundumvermarktung geht vor dieser Karriere in die Knie. Und die abschätzigen Urteile über Schönheitseingriffe verkennen den Selbstdarstellungsdruck im Pop. Ja, vom Rap hat sich Shirin David sehr in Richtung Pop bewegt. Aber das hat dem Rap nur gutgetan. Und der Popmusik erst recht.