Sexistisch angefeindete Schiedsrichterin: Fabienne Michel – „Ich habe unglaublich viel Unterstützung bekommen“

Stand: 15.08.2025 00:46 Uhr

Sexistische Fangesänge: Fabienne Michel spricht in der ARD Dokuserie „UNPARTEIISCH“ das erste Mal öffentlich über die Folgen der Vorfälle beim Spiel SC Verl gegen Rot-Weiss Essen am 28. März 2025.

Ein ganz normales Drittligaspiel. Rot-Weiss Essen ist zu Gast beim SC Verl. Geleitet wird die Partie von der einzigen Schiedsrichterin in den Profi-Ligen: Fabienne Michel. Der unterläuft ein Fehler, wie er eben vorkommen kann in einem Fußballspiel. Einige Fans von Rot-Weiss Essen nehmen das allerdings zum Anlass, sexistische Gesänge und Vergewaltigungsfantasien aus dem Gästeblock anzustimmen.

Im Interview für die 2. Staffel der ARD Dokuserie „UNPARTEIISCH – Deutschlands Elite-Schiedsrichter“ spricht Schiedsrichterin Fabienne Michel zum ersten Mal öffentlich über die Vorfälle: „Ich liebe den Fußball – seine Kultur, seine Leidenschaft“, sagt die 30-Jährige. „Aber wenn Emotionen in diskriminierende Beleidigungen umschlagen, ist eine klare Grenze überschritten. Dafür darf es keinen Platz geben. Und es ist unsere gemeinsame Verantwortung, das klarzumachen – im Stadion und darüber hinaus.

„Das war ein Tiefpunkt der Saison“

Auch Alexander Feuerherdt, Medienchef der DFB-Eliteschiedsrichter, bezieht in der fünften Folge der Dokuserie („Abpfiff“) klar Stellung: „Das war ein Tiefpunkt der Saison und ein schrecklicher Vorfall“, sagt Feuerherdt. Nachdem der DFB von den Vorfällen Kenntnis hatte, wurden umgehend Ermittlungen eingeleitet. „Es hat dann ein sportgerichtliches Urteil gegeben, das klar festgehalten hat: Es war diskriminierendes, menschenverachtendes Verhalten eines Teils der Essener Zuschauer gegenüber der Schiedsrichterin aufgrund ihres Geschlechts“, so Feuerherdt.

Fabienne Michel äußert sich damals nicht zu den Vorfällen. Trotzdem macht sie jetzt klar: „Für mich ist wichtig, dass man darüber spricht.“ Auch, weil sie nicht die einzige Betroffene ist: „Mich haben in dem Zuge auch ganz viele Nachrichten von anderen Schiedsrichterinnen erreicht. Das ist ein großes Thema. Als Schiri lernt man von Beginn an wegzuhören und sich auf das Spiel zu konzentrieren. Aber es gibt eben manchmal Momente, da sind Grenzen einfach überschritten.“

Sie hofft, dass der Vorfall auch dazu beiträgt, dass Menschen rund um den Fußball für das Thema Sexismus sensibilisiert werden. Durch die öffentliche Diskussion habe sie auch gemerkt, wie viel Rückhalt es für sie gibt: „Ich habe unglaublich viele Nachrichten und Zuspruch erhalten, Unterstützung bekommen. Darüber bin ich sehr dankbar, das hat mir gutgetan“, sagt sie rückblickend. „Man fühlt sich erstmal ganz schön alleine, und dann zu merken: Hey, es gibt andere Menschen, die mit dir zusammenstehen und für dieselben Werte einstehen – das tut gut.“

Dreistufenplan soll Umgang vorgeben

Die große Hoffnung ist, dass sich solche Vorfälle in Zukunft nicht wiederholen. Aber was, wenn wieder eine Schiedsrichterin oder auch ein Schiedsrichter diskriminierende Beleidigungen erfahren?

Wenn Trainerinnen und Trainer oder Spielerinnen und Spieler beleidigt werden, ist der Fall klar: „Wir haben den Dreistufenplan bei diskriminierenden Vorfällen“, erklärt Alexander Feuerherdt: „Wenn ein Fall von Diskriminierung auftritt, kann der Schiedsrichter oder die Schiedsrichterin das Spiel unterbrechen und eine Stadiondurchsage veranlassen.“ Bei wiederholter Diskriminierung kann das Spiel unterbrochen und im Extremfall sogar abgebrochen werden.

Wenn Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter aber selbst betroffen sind, wird es problematisch, sagt Fabienne Michel, „weil ich quasi für mich selbst einstehen muss. Das finde ich schwieriger, als für jemand anderen einzustehen.“ Auch Alexander Feuerherdt gibt zu: „Den Mechanismus, dass eine betroffene Schiedsrichterin oder ein Schiedsrichter sich selbst problemlos schützen kann, den gibt es so noch nicht.“

Michel: „Ich sehe die Gesellschaft in der Verantwortung“

Beim Regelwerk besteht also Nachholbedarf – aber nicht nur dort, findet Michel: „Ich sehe uns alle als Gesellschaft in der Verantwortung. Nicht nur diejenigen, die solche Dinge rufen, sondern auch andere Menschen, die im Stadion sind, die sowas hören, von Trainern an der Seitenlinie bis hin zum Stadionsprecher.“ Am 28. März 2025 sind die Beteiligten dieser Verantwortung noch nicht gerecht geworden. Trotzdem hat Alexander Feuerherdt die Hoffnung, dass der Vorfall in Verl und die anschließende öffentliche Diskussion etwas verändern können: „Wir hatten Anfang der 1990er Jahre in diversen Stadien Neonaziparolen, das haben wir heute zumindest im Profifußball so gut wie gar nicht mehr“, sagt er.

Das sei zum einen der Verdienst der aktiven Fanszenen, die mit Fanprojekten auf eine Veränderung in den Fanblocks selbst hingearbeitet habe. Aber auch der Verband hätte in der Folge dazugelernt und sich deutlicher als zuvor gegen Diskriminierung positioniert. Eine solche Positionierung sieht er auch im Urteil des DFB-Sportgerichts: „Wenn ein Sportgerichtsurteil so deutlich ausfällt wie in Fabiennes Fall, dann ist das ein eminenter Fortschritt.“

Und auch Fabienne Michel glaubt, dass die Diskussionen etwas verändern können: „Vielen Menschen ist gar nicht unbedingt klar: Was ist eigentlich eine Diskriminierung? Was ist eine diskriminierende Beleidigung? Ich glaube, dass solche Vorfälle helfen können, andere Menschen dafür zu sensibilisieren. Das ist zumindest meine Hoffnung.“

Ob sich diese Hoffnungen erfüllen, werden die nächsten Wochen und Monate zeigen müssen. Sicher ist: Solange Sexismus nicht als dezidiertes Problem im Fußball der Männer erkannt und adressiert wird, werden die Diskussionen darum weitergehen.