
Schon Mädchen sorgen sich heute offenbar vor Hautalterung, das zeigen die Videos der sogenannten „Sephora Kids“ in den sozialen Netzwerken. Stolz halten sie die Pflegeprodukte in die Kamera. Dermatologen warnen vor dem Schönheitswahn.
Stormi Webster ist der jüngste Beweis dafür, dass sich etwas verschoben hat: die sogenannte Quengelware. Stellten bisher die Süßigkeiten im Kassenbereich des Supermarkts Eltern auf eine harte Probe, sind es nun offenbar Drogerien und Kosmetikshops.
In einem kürzlich veröffentlichten Instagram-Video verdrückt die siebenjährige Stormi ein paar künstliche Tränen vor einem Regal mit Make-up- und Pflegeprodukten. Ihre Mutter, Reality-Star Kylie Jenner, tröstet sie mit dem Versprechen, Stormi alles zu kaufen, was sie wolle, wenn sie mit dem Weinen aufhöre. Daraufhin greift das Mädchen grinsend nach dem „Glossy Lip Kit“, eine Mischung aus Gloss und Lipliner von Kylie Cosmetics, dem Unternehmen ihrer Mutter.
Der Werbefilm ist der vorläufige Höhepunkt eines aus Sicht von Medienexperten und Medizinern bedenklichen Trends aus den USA, der nach Angaben der Kommission für Jugendmedienschutz der Landesmedienanstalten mittlerweile in Deutschland angekommen ist. Videos unter dem Stichwort „Sephora Kids“ würden auch hierzulande von Minderjährigen konsumiert.
Kinder mit Gewichtsmasken und Falten-Cremes
Bereits 2024 fluteten die Clips die Plattform Tiktok. Darin präsentieren Mädchen im Grundschulalter bunte Tiegel und Tuben von internationalen Kosmetik-Ketten wie „Sephora“ und „Drunk Elephant“ wie wertvolle Schätze und berichten unter anderem davon, wie sie ihre Mütter bekniet haben, ihnen dieses Serum oder jene Gesichtsmaske zu kaufen. Denn mit Taschengeld allein sind die zum Teil recht teuren Produkte kaum zu finanzieren.
Wenn diese „Sephora Kids“ vor der Kamera dann auch noch ihre Gesichter mit Anti-Aging-Cremes und Hyaluron-Sprays bearbeiten, um ihr makelloses Babyface zu bewahren, hört der Spaß aus medizinischer Sicht auf: Dermatologinnen der US-amerikanischen Northwestern University haben diesen Sommer eine erste Studie im Fachmagazin „Pediatrics“ zu den Auswirkungen von intensiven Hautpflege-Routinen bei Kindern veröffentlicht.
Dafür analysierten sie Skincare-Videos auf Tiktok und kamen zu dem Schluss, dass Mädchen im Alter von sieben bis 18 Jahren im Schnitt sechs unterschiedliche Produkte für die Gesichtspflege verwendeten. Viele der Wirkstoffe enthielten laut den Autorinnen ein hohes Risiko für Hautreizungen und Allergien.
Davor warnt auch Uwe Schwichtenberg, Vorsitzender des Landesverbands der Dermatologen in Bremen: „Gesunde Kinderhaut benötigt keine Cremes, schon gar nicht reichhaltige“, sagt er. Denn diese diene dazu, die Haut elastischer zu machen. Doch das sei Kinderhaut ohnehin. „Überpflegung kann zu Rötung, Schuppung und Entzündungen der Talgdrüsen, also Pickeln führen.“ Besondere Vorsicht sei außerdem beim Inhaltsstoff Retinol geboten, der in vielen Anti-Aging-Produkten stecke, unterstreicht der leitende Facharzt für Dermatologie und Allergologie der „Derma Nord“-Hautarztpraxen in Bremen.
Retinol, eine Form von Vitamin A, regt Studien zufolge die Produktion von Kollagen an, das für mehr Elastizität sorgt. Auf diese Weise erscheint die Haut glatter. Da der Wirkstoff in die Verhornung der Haut eingreife, mache er sie aber auch empfindlicher, erläutert Schwichtenberg. Dadurch könne es zu Rötungen oder Juckreiz kommen oder gar zu allergischen Reaktionen. Doch diese verschwänden in der Regel nach dem Absetzen: „Irreversible Hautschäden verursachen Anti-Aging-Cremes bei jungen Menschen zumeist nicht“, sagt Schwichtenberg.
So wenig wie möglich Pflegeprodukte und Kosmetik verwenden
Vor allem Teenager mit Hautproblemen neigten dazu, viel auszuprobieren, sagt der Hautarzt. Doch bei Unreinheiten oder gar Akne gelte: „So wenig wie möglich Pflegeprodukte und Kosmetik verwenden.“ Die „Sephora Kids“ hält Schwichtenberg für einen Trend, der wohl so schnell nicht abebben werde – auch wenn er sehr kostenintensiv sei: „Da lastet ein doppelter Druck auf den jungen Menschen: Du musst immer jung und schön aussehen in dieser Welt, um zu bestehen. Und du musst es dir leisten können.“ Er mache sich daher auch Sorgen um die psychischen Folgen für Kinder und Jugendliche.
Marc Jan Eumann, Vorsitzender der Kommission für Jugendmedienschutz, teilt die Bedenken: „Wenn Minderjährige auf Social Media ihre Beauty-Routinen zeigen und perfekte Gesichter den Feed bestimmen, kann das bei Gleichaltrigen enormen Druck erzeugen. Das birgt die Gefahr, dass Kinder und Jugendliche ein problematisches Körperbild entwickeln.“
Unzureichende Alterskontrollen und Empfehlungsalgorithmen verstärkten diese Dynamik. „Die Plattformen müssen hier Verantwortung übernehmen“, fordert Eumann. Eltern rät die Kommission, mit Kindern über Inhalte im Netz zu sprechen und für problematische Tendenzen zu sensibilisieren.
Weckt der Beauty-Hype dennoch Begehrlichkeiten beim Nachwuchs, empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie die Methode des „Active Ignoring“: Sie basiert auf der Erkenntnis, dass alles, worüber sich Eltern aufregen, für den Nachwuchs umso interessanter ist. Unerwünschtes Verhalten, das keine größeren Gefahren berge wie etwa Quengelei im Drogeriemarkt, sollten Mütter und Väter daher ignorieren, um es nicht durch allzu große Aufmerksamkeit noch zu verstärken.
epd/wb