„See und Asche“ bei den Nibelungenfestspiele in Worms: Männer sind keine Helden – Kultur

Eigentlich ist der Schauwert hier wichtig. Die Nibelungenfestspiele in Worms sind Spektakel, kultureller Höhepunkt der Region, die Pfalz feiert sich und das Theater – dieses Jahr übrigens in Anwesenheit von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner. Die stammt aus Bad Kreuznach, ist also Pfälzerin, und Pfälzer haben sehr starke Wurzeln in ihrer Heimat. Wie sie empfand, was sie sah, weiß man nicht, konzentrieren musste sie sich auf jeden Fall: Die Premiere von „See aus Asche – Das Lied der Nibelungen“ von Roland Schimmelpfennig ist eher karg, aber ungeheuer dicht, intellektuell aufregend. Nicht unbedingt das, was man als Freilufttheaterbespaßung für 1400 Zuschauer erwartete.

Im vergangenen Jahr überschwemmte ein Strom von Blut die Bühne vor dem Wormser Kaiserdom, in diesem Jahr gibt es eine Hügellandschaft aus 600 Tonnen Kies, die einen kleinen Teich umrahmt, und 180 billige, weiße Plastikstühle. Die Bühnenbildnerin Andrea Wagner denkt auch ökologisch, den Kies kann man leicht weiterverwerten, mit den Stühlen lassen sich zahlreiche Eisdielen ausstatten. Und zuvor, in der Aufführung, treffliche Dinge veranstalten. Nachhaltig ist auch Schimmelpfennigs Text: Er ist viel zu gut, um nicht von „normalen“ Theatern nachgespielt zu werden.

Seit 2002 arbeiten sich die Festspiele an dem mythischen Stoff ab. Es wurde hier schon Friedrich Hebbels Original gespielt, es gab Varianten von Moritz Rinke und Joshua Sobol, eine Trilogie von Albert Ostermaier und auch die „Hildensaga“ von Ferdinand Schmalz, die nach der Wormser Uraufführung bald ein Eigenleben im Theater zu führen begann. Roland Schimmelpfennig hat keine Erweiterung des Stoffes im Sinn, er bohrt sich hinein ins „Nibelungenlied“, garniert es scheu mit manchen Motiven aus Wagners „Ring“. Er schreibt ein Drama, das auch Meta-Drama ist.

Er schickt die üblichen Figuren los, und lässt sie gleichzeitig, neben dem eigentlichen Spiel, über das, was sie sind, zu sein scheinen oder sein wollen, nachdenken. Der Text ist eine faszinierende Lektüre, permanent wechselnd zwischen Epik und Dramatik. Dazu kommen Allegorien wie: das Lindenblatt, das auf Siegfrieds Rücken klebt und ihn verwundbar macht; das Schwert Balmung, der Gürtel Brunhilds, der Speer, die Nebelkappe (Tarnkappe) und einiges mehr. Über all das wird geredet, wird so getan, als seien die Dinge vorhanden. Nur das Lindenblatt spielt tatsächlich mit, in Gestalt von Lisa Natalie Arnold, ein lustiges Wesen, das sehr viel Bescheid weiß und gern an Siegfried hängt, auf seinem Rücken liegt, was es ja als Lindenblatt auch tun soll.

Der Teich zwischen dem Kies brennt dann irgendwann – ganz ohne Feuer geht es in Worms nicht

Die Regisseurin Mina Salehpour nimmt Schimmelpfennigs Angebot mutig, differenziert und sehr präzise an. Sie könnte mühelos dem Gedankenspiel mehr Fleisch hinzufügen, stattdessen aber fügt sie das Puzzle hoch konzentriert zusammen. Man muss allerdings gut aufpassen, gleich zu Beginn: Erst schippt noch Wolfram Koch als Hagen ein wenig Kies, wie Sisyphos, er schippt, der Kies rutscht den Hügel runter, er schippt. Dann tritt Volker, der Spielmann (Andreas Grötzinger), auf und erzählt, poetisch glitzernd, das Ende, von dem man aber nicht weiß, dass es das Ende sein wird: Dieses Ende ist der Bericht vom Gemetzel auf Etzels Burg, ist der Tod des Kindes von Etzel und Kriemhild, dem Hagen den Kopf abschlägt, ist der Untergang der Nibelungen.

Zu diesem Ende wird doch noch ein bisschen Überwältigungsshow kommen, der Teich zwischen dem Kies brennt dann – ganz ohne Feuer geht es in Worms nicht. Aber es bleibt im Kern Erzählung. Die Stühle sind da zu einer langen Girlande arrangiert, wie das bloßliegende Skelett des Drachen, ausgebleichtes Menetekel eines Mords an der Natur, auch wenn der Drachentöter Siegfried vorgibt, ihn erschlagen zu haben.

Siegfried (Eivin Nilsen Salthe) und das Lindenblatt (Lisa Natalie Arnold).
Siegfried (Eivin Nilsen Salthe) und das Lindenblatt (Lisa Natalie Arnold). (Foto: David Baltzer)

Die Spieldauer ist in Worms begrenzt. Open Air, Warten auf die Dämmerung, lange Pause. Die netto etwa 130 Minuten, die „See aus Asche“ zur Verfügung stehen, sind knapp bemessen. Gerade im ersten Teil ist das Tempo enorm, dabei bräuchten die vielen epischen Passagen mehr Hallraum, damit man besser vergegenwärtigen könnte, was da gerade erzählt wird. Im Kern ist das hier ja Kopftheater, da muss der Kopf auch mitkommen. Selbst wenn einem das „Nibelungenlied“ sehr vertraut ist, denkt man gerade noch über eine der Allegorien nach, da ist die Handlung schon weitergesaust.

Aber man kommt gut mit, auch wenn zunächst die emotionale Beteiligung hinter dem Mitdenken zurücksteht. Bissel mitfiebern geht dennoch. Hagen organisiert die Nibelungen, Gunther, Hans-Werner Leupelt, trägt eine Blätterkrone wie ein indigener König, der Schwärmer Giselher, Denis Geyersbach, eine Art Schuppenjacke, Kriemhild, Kriemhild Hamann, ein Flatterkleid und eine Perücke mit roter Farbe. Die Kostüme von Maria Anderski sind allesamt seltsam, vielleicht rekurrieren sie auf irgendwas, worauf man nicht kommt. Vielleicht sind sie auch einfach scheußlich.

Hauptsache Anzug: Hagen dunkel, Siegfried hell

Die Hauptantagonisten tragen irgendwie Anzug, Hagen dunkel, Siegfried hell. Wolfram Koch ist ein wundervoll klarer, letztlich aber machtlos in die eigenen Ränke verstrickter Stratege, Eivin Nilsen Salthe tritt auf, spricht lustig nordisch und wütet erst einmal mit den Stühlen herum. So etwas machen Helden und Drachentöter nun einmal, kapieren tun sie indes wenig. Doch der Drache bleibt ganz munter, denn ihn spielt Jasmin Tabatabai, die auch Brunhild ist, also anwesend bis zuletzt. Sie trägt Preiselbeeren auf dem Kopf, die im zweiten Teil gewachsen zu sein scheinen.

Dieser zweite Teil, es ist nun dunkel am Rhein, die gar nicht sehr große Live-Videoleinwand kommt mehr zum Tragen, beginnt mitreißend und schonungslos. Siegfried hat Kriemhild mit dem Nibelungenhort überhäuft, jetzt folgt die Erzählung der Vergewaltigung Brunhilds. Die würde Gunther, den Schwächling, an die Wand werfen, aber der Held in der Tarnkappe hilft dem ja. Giselher drängt weiter und weiter auf den Fortgang der Erzählung, die dann auch nichts an Deutlichkeit missen lässt, das Entsetzen darüber friert in den Gesichtern der Figuren ein, Kriemhild in Großaufnahme, sie weiß Bescheid, was ihr Mann Siegfried in jener Nacht tat. Brunhild ist danach zerbrochen, es gibt nichts mehr zu deuteln, am dunklen Kern der Geschichte werden Epik und Dramatik eins. Und Kriemhild wird später, sieben Jahre nach Hagens Mord an Siegfried, mit den Nibelungen-Männern aufräumen, mithilfe des Schwerts Balmung. Hamann ist da befreit von ihrer Perücke, wird zur Rächerin ohne falsche Tünche.