Secondhand-Boom: Warum gebrauchte Mode in ist

Pat Noecker hat eine prominente Stammkundin. In ei­ner Filiale seiner Secondhand-Kette „Other People’s Clothes“ kauft regelmäßig Rama Duwaji ein, die künftige First Lady in New York. Sie ist die Frau von Zohran Mamdani, der kürzlich mit deutlichem Vorsprung die Bürgermeisterwahl in der größten Stadt Amerikas gewonnen hat und das Amt Anfang Januar antreten wird. Dass sie ein Fan von Secondhand-Kleidung ist, passt dazu, wie sich ihr Mann im Wahlkampf positioniert hat. Das zentrale Versprechen von Mamdani: New York erschwinglicher machen. Noecker hat eine Glückwunschkarte für Duwaji und ihren Mann geschrieben, die ihr überreicht werden soll, wenn sie das nächste Mal in den Laden kommt.

„Other People’s Clothes“, kurz „OPC”, ist so etwas wie der Aufsteiger in der New Yorker Secondhand-Szene. Der erste Laden wurde 2020 eröffnet, Noecker zufolge haben sich die Umsätze dort von Jahr zu Jahr verdoppelt. Heute gibt es vier Standorte, der jüngste ist erst wenige Monate alt. „Wir wachsen ziemlich schnell, der Oktober war der beste Monat in allen unseren Läden“, sagt Noecker, der das Un­ternehmen mit seiner Frau Christine Costello und der gemeinsamen Freundin Jane Herships gegründet hat. Die Kette beschäftigt heute 120 Mitarbeiter.

Gebrauchte Mode erobert nicht nur in den Vereinigten Staaten von Amerika die Herzen vieler Kundinnen und Kunden, sondern auf der ganzen Welt. Laut der Unternehmensberatung McKinsey könnte der globale Markt für Secondhand-Mode und Secondhand-Luxusgüter von 2025 bis 2027 um jährlich elf Prozent zulegen – doppelt so stark wie jener für neue Kleidung und Luxusartikel. Junge und mittelalte Erwachsene zählt die Beratung zu den wichtigsten Kundengruppen.

Secondhand vor allem im Internet beliebt

Besonders erfolgreich könnten dabei Onlineverkäufer in den USA abschneiden – mit einem jährlichen Wachstum von 16 Prozent. Unternehmer wie der New Yorker Noecker können also damit rechnen, dass Secondhand-Mode auch in Zukunft noch beliebt sein wird. Der Großteil des Gebrauchtwarenumsatzes geht global auf das Onlinegeschäft zurück, in den USA sogar zu fast 90 Prozent. Ähnlich sieht es in Deutschland aus.

Pat Noecker ist einer der Mitgründer von „Other People’s Clothes“ in New York.
Pat Noecker ist einer der Mitgründer von „Other People’s Clothes“ in New York.Roland Lindner

Hierzulande erlebt der Gebrauchtwarenmarkt im Internet seit einigen Jahren eine Hochphase. Im vergangenen Jahr wuchs der Onlinehandel mit Secondhandwaren aller Art um 7,2 Prozent, berechnete das Kölner Handelsinstitut IFH. Ver­glichen mit der realen Wachstumsrate des gesamten deutschen Einzelhandels im Jahr 2024 war das mehr als sechsmal so hoch. Kleidung und Accessoires waren demnach unter den Gebrauchtwaren am beliebtesten. Laut IFH-Daten hat sich der Anteil von Secondhand-Kleidung am gesamten deutschen Modeumsatz in 15 Jahren mehr als verdreifacht und beträgt fast zehn Prozent. Aber auch Secondhand-Bücher und Secondhand-Elektrowaren liegen im Trend.

Gebrauchte Mode ist in Deutschland aber nicht nur im Internet gefragt. Wer durch die Berger Straße läuft, eine beliebte Einkaufsstraße in Frankfurt, sieht erfolgreiche Läden wie jenen von Stella Habus. Vor vier Jahren übernahm die heute 30 Jahre alte Mutter das Geschäft von ih­rer Vorgängerin und nannte es „Wiesen Vintage“. Der Unterschied zwischen Second Hand und Vintage nach ihrer Defi­nition: „Ein Artikel muss mindestens 25 Jahre alt sein, um sich Vintage nennen zu dürfen.“

Preisersparnis oft wichtiger als Nachhaltigkeit

Im Laden von Habus können Secondhandfans vor allem Mode, aber auch Möbel kaufen. Überwiegend kommen junge Erwachsene und Frauen, aber das verändere sich allmählich. Der Umsatz sei fünfstellig, Angaben über den Gewinn möchte sie nicht machen: „Ich werde davon nicht reich, aber ich komme über die Runden“, sagt sie. „Ich habe mein Lieblingshobby zum Beruf gemacht. Etwas Besseres kann ich mir nicht vorstellen.“ Der Umsatz in den vergangenen vier Jahren sei relativ stabil gewesen.

Im „Wiesen Vintage“ in Frankfurt können Kundinnen und Kunden vor allem Möbel und Mode kaufen.
Im „Wiesen Vintage“ in Frankfurt können Kundinnen und Kunden vor allem Möbel und Mode kaufen.Lucas Bäuml

Schon während früherer Reisen oder auf dem Flohmarkt habe sie immer wieder zu gebrauchten Möbeln und Mode gegriffen. Über diesen Weg finden bis heute viele Stücke ihren Weg in das Schaufenster. Die preisliche Spannbreite sei dabei sehr groß: „Von fünf Euro bis 1000 Euro ist alles dabei“, sagt sie. Sie deutet währenddessen auf eine Wolljacke der britischen Luxusmarke Burberry für 490 Euro. „Manche stehen auf Luxus zum kleinen Preis, manche wollen nachhaltig einkaufen und andere so günstig wie möglich.“

Tatsächlich deuten mehrere Umfragen darauf hin, dass das entscheidende Motiv für den Kauf von Secondhand das Sparen ist – in einigen Erhebungen sogar mit deutlichem Abstand vor Nachhaltigkeitsgründen. Das Wachstum im Secondhand-Bereich in Deutschland geht laut Marktforschungsunternehmen NIQ vor allem auf Gebrauchtwarenkunden zurück, die häufiger einkaufen und häufiger verschiedene Kategorien nutzen. Nachhaltigkeit an sich sei dabei aber nicht der maßgeb­liche Treiber. Ob ein gebrauchtes T-Shirt oder ein Holzschrank für das Schlafzimmer: Nachhaltigkeit motiviert demnach die Menschen vor allem dann, wenn auch eine Ersparnis dabei herausspringt.

Keine Angst vor Trump

Das gilt vor allem in wirtschaftlich unsicheren Zeiten, sagt Adele Meyer, die Geschäftsführerin des amerikanischen Branchenverbandes National Association of Resale & Thrift Shops. Etwa während der Corona-Pandemie oder auch im Moment, wo die vom Präsidenten Donald Trump verhängten Importzölle die Preise vieler Produkte nach oben getrieben haben.

Secondhand sei grundsätzlich eine beliebte Kaufmöglichkeit. In den USA gibt es insgesamt um die 35.000 Läden – mit steigender Tendenz. Die Zahl enthält nicht nur Anbieter von Secondhand-Kleidung, sondern auch Geschäfte für andere gebrauchte Produkte wie Möbel, Sportausrüstung oder Musikinstrumente.

Noecker hat in New York die Handelspolitik im Weißen   Haus genutzt, um zeitweise auf Schildern vor seinen Geschäften augenzwinkernd da­mit zu werben, dass seine Ware „zollfrei“ sei. Preise sind seiner Meinung nach ein wichtiges, aber auch nicht das einzige Argument, bei OPC einzukaufen. Er schätzt, 30 Prozent seiner Kunden sei es besonders wichtig, Schnäppchen zu machen. Anderen gehe es vor allem um die Freude am Stöbern nach außerge­wöhnlichen Kleidungsstücken, auch Bewusstsein für Nachhaltigkeit spiele eine Rolle.

Secondhand hat nicht nur in New York Potential

Noecker meint, das Geschäftsmodell Secondhand könne überall funktionieren, aber für New York eigne es sich besonders gut. Da viele Menschen in beengten Platzverhältnissen wohnten, neigten sie eher als anderswo dazu, sich von alten Kleidungsstücken zu trennen, um Platz für Neues zu schaffen. Außerdem hätten New Yorker ein besonders ausgeprägtes Interesse an Mode.

Im Other People's Clothes in New York von Pat Noecker kauft sogar die Frau des Bürgermeisters ein.
Im Other People’s Clothes in New York von Pat Noecker kauft sogar die Frau des Bürgermeisters ein.Roland Lindner

OPC ist genauso wie viele andere Secondhand-Läden ein Ort, um gebrauchte Kleidung nicht nur zu kaufen, sondern auch zu verkaufen. Separat von den Kassen gibt es eine Annahmestelle, wo Kunden abliefern können, was sie selbst nicht mehr tragen wollen, Noecker nennt dies das „Herz“ des Geschäfts. Dabei gibt es Regeln: Verkäufer dürften höchstens zwei „Ikea-große“ Taschen voll mit Kleidung auf einmal mitbringen, und sie müssen sich ausweisen können. Die trainierten Einkäufer inspizieren die Ware dann auf ih­ren Wiederverkaufswert.

Markenprodukte in gutem Zustand sind gern gesehen, von Levi’s über Polo bis Prada, weniger gefragt ist H&M. Die Verkäufer bekommen entweder 30 Prozent des Preises in bar, zu dem ihre Stücke später im Laden angeboten werden, oder 50 Prozent als Einkaufsgutschein für OPC. Es wird bei Weitem nicht alles akzeptiert, was in den Laden gebracht wird. Noecker sagt, es sei ein wichtiger Teil des Geschäfts, Kunden etwaige Zurückweisungen schonend beizubringen. Manche seien trotzdem erbost – und machten ihrem Ärger dann in Form schlechter Bewertungen auf Plattformen wie Google oder Yelp Luft.

Viel Erfahrung in der Branche

Noecker ist 53 Jahre alt und hat deutsche Vorfahren. Er bringt nach eigenem Bekunden viel persönliche Erfahrung in das Secondhand-Metier mit, gerade aus seiner Zeit als Musiker. Er hat in diversen Bands mitgespielt, die bekannteste ­davon heißt Liars. Weil ihn als Musiker früher oft Geldnot plagte, hat er bisweilen selbst alte Kleidungsstücke verkauft.

Er schrieb sogar einmal ein Lied darüber, in dem es hieß: „Take My Clothes and Sell Them Away, Before Long I’ll Be Naked“ – „Nimm meine Kleidung und verkaufe sie weiter, bald werde ich nackt sein.“ Er hat auch einige Zeit im Buchgeschäft Strand gearbeitet, einer Institution in New York, wo sich Bücher wie im Secondhand-Laden kaufen und auch ver­kaufen lassen. Seine Frau war einmal im Management von Beacon’s Closet, einer anderen bekannten New Yorker Secondhand-Kette.

Den ersten OPC-Laden machte das Gründungsteam in Ridgewood auf, einem zunehmend hippen Viertel im Stadtbezirk Queens. Das Gebäude hat eine illustre Geschichte, hier wurde vor einigen Jahren der Film „The Irishman“ mit Robert De Niro und Al Pacino gedreht. Bevor OPC einzog, war es verwaist.

Mit Kreislaufwirtschaft erfolgreich

Die Anfangszeit des Geschäfts fiel in die Corona-Pandemie. Das habe zwar Herausforderungen mit sich gebracht, aber unter dem Strich geholfen, sich zu etablieren, sagt Noecker. Viele Menschen hätten die zusätzliche Zeit zu Hause genutzt, um ihren Kleiderschrank auszumisten.

Heute herrscht hier reger Betrieb. An einem frühen Mittwochnachmittag ist der Laden gut gefüllt, und vor der Theke für die Warenannahme stehen einige Kunden mit gefüllten Taschen. Noecker beschreibt das Geschäft als einen „Remix“ des Viertels, in dem es steht. „Jeder trägt hier Klamotten von anderen Leuten aus der Gegend. Es ist eine echte Kreislaufwirtschaft.“ Wobei OPC neben Secondhand-Kleidung auch Neuware im Sortiment hat, etwa Schmuck, Socken oder Weihnachtsdekoration. Diese Artikel bringen Noecker zufolge einen höheren Anteil des Gewinns am Umsatz.

Die Einnahmen aus dem ersten Laden in Ridgewood haben es den OPC-Eigen­tümern erlaubt, ohne weitere Investoren zu expandieren. 2022 eröffneten sie den zweiten Standort in Bushwick, im vergangenen Jahr folgte Williamsburg, beide Viertel sind in Brooklyn. Vor wenigen Monaten wagte sich OPC dann erstmals nach Manhattan.

In der Zukunft kann sich Noecker vorstellen, aus OPC ein Franchise-Modell zu machen und damit ein schnelleres Wachstum der Kette zu ermöglichen. Er denkt darüber nach, auch außerhalb New Yorks oder gar im Ausland Standorte zu eröffnen. „Wir haben in unseren Geschäften so viele Kunden aus Deutschland, Frankreich und Japan.“ Seinen Expansions­ehrgeiz fasst Noecker mit einem Bild aus der Musikbranche zusammen: „Wir wollen mit dieser Band auf Tournee gehen.“