Zehn Jahre nach seinem aufsehenerregenden Essay „Die Schweiz ist des Wahnsinns“ fragt sich Lukas Bärfuss, wie es heute um sein Land steht.
© Kim-Melina Bertram für DIE ZEIT
Der Aufschrei war groß, als ich vor zehn Jahren der Schweiz eine „psychotische Störung“ attestierte. In meinem Essay Die Schweiz ist des Wahnsinns versuchte ich, die helvetische Gegenwart psychopathologisch zu analysieren. Heute muss ich feststellen, es braucht anderes Besteck, um den Zustand des Landes zu erfassen: die postkoloniale Theorie. Denn die Schweiz ist zum Vasallenstaat der USA geworden.
Wenn die Bundespräsidentin die Rede des amerikanischen Vizepräsidenten JD Vance an der Münchner Sicherheitskonferenz als „liberal“ und „sehr schweizerisch“ bezeichnet, dann belegt sie diese koloniale Realität in doppelter Hinsicht. Die Magistratin bezeugt erstens, wie treu sich die schweizerische Regierung der amerikanischen anschmiegen muss, selbst wenn jene sich dem Faschismus und einer imperialen Politik verschreibt. Die Magistratin versteht zweitens nicht, wie sehr die Zerstörung des internationalen Völkerrechts durch die amerikanische Regierung den Interessen eines souveränen Kleinstaats schadet. Statt zu kämpfen, beeilt sie sich, die Unterwerfung rhetorisch zu bestätigen. Der Kotau ändert freilich nichts an der Demütigung durch 39-prozentige Strafzölle.
