Schweiz nach Viertelfinal-Einzug im Party-Modus – Sundhage sentimental

Stand: 11.07.2025 13:09 Uhr

Bei EM-Gastgeber Schweiz brachen nach dem dramatischen 1:1 im letzten Gruppenspiel gegen Finnland und dem damit verbundenen Viertelfinaleinzug alle Dämme. Die Fans verwandelten das Stade de Genève in ein Tollhaus, die Spielerinnen tanzten in den Katakomben der Arena und selbst die sonst oft unterkühlt wirkende Trainerin Pia Sundhage wurde von ihren Gefühlen übermannt.

Welch große Last auf ihren Schultern gelegen hatte, es zeigte sich, als dieses insgesamt 99 Minuten lange Fußball-Drama am späten Donnerstagabend ein Ende genommen hatte. Über die Wangen von Pia Mariane Sundhage kullerten Tränen. Freudentränen. Dazu strahlte die Grand Dame des Frauenfußballs, die schon so viel in ihrer Karriere gewonnen und gesehen hat, mit dem Flutlicht um die Wette, bevor sie ihre Faust in den Nachthimmel reckte.

Bald darauf versammelte die 65-Jährige ihre Spielerinnen im Mannschaftskreis und hielt dort lächelnd eine emotionale Ansprache. „Ich werde heute Abend tanzen – auf die eine oder andere Art“, kündigte die frühere Weltmeister-Trainerin der USA auf der Pressekonferenz an. Apropos Tanzen: Die Schweizer Kickerinnen taten dies zu diesem Zeitpunkt im Bauch der Arena – und wohl auch noch lange danach im Teamhotel. Und dies auf ausdrücklichen Wunsch von Sundhage, die verriet, wie weiland Louis van Gaal beim FC Bayern zum „Feierbiest“ zu werden.

„Wir brauchen mindestens einen Tag, an dem wir uns nur freuen können. Denn die Freude müssen wir genießen. Das ist alles, was zählt“, sagte die Schwedin und gab ihren Schützlingen damit indirekt einen Party-Befehl.

Sundhage: „Das aufregendste Unentschieden meines Lebens“

Die Fete hatten sich die Eidgenössinnen durch einen beherzten und fußballerisch reifen Auftritt redlich verdient. Doch zur Wahrheit gehörte eben auch, dass der EM-Gastgeber kurz vor dem Aus stand, das alles infrage gestellt hätte, was Sundhage mit ihrem Funktionsstab seit ihrem Amtsantritt vor eineinhalb Jahren angestoßen hat. Erst in der dritten Minute der Nachspielzeit erlöste Riola Xhemaili die Schweiz mit dem 1:1-Ausgleichstreffer und sorgte damit für den erstmaligen Einzug der Alpenrepublik in die Runde der letzten Acht.

„Ein solcher Moment ist so ermutigend, er hätte für immer anhalten können“, sagte Sundhage sichtlich ergriffen. Das „sicher aufregendste Unentschieden meines Lebens“ war für die 65-Jährige auch mit einer großen Portion Genugtuung verbunden. Denn nach der unglücklichen 1:2-Auftaktpleite gegen Norwegen war wieder aufgezählt worden, was Sundhage bereits vor Turnierbeginn vorgeworfen wurde: Pleiten-Serie, Nations-League-Abstieg, späte Kadernominierung, angeblich zu hartes Training und eine 1:7-Pleite gegen die männlichen U15-Junioren des FC Luzern in einem Testspiel.

Trainerin führt Schweiz mit Weitsicht auf Erfolgsweg

Das erhoffte Schweizer Sommermärchen, es drohte zu eine Sommernachts-Albtraum zu werden. Doch Sundhage bewahrte Ruhe. Zu Beginn ihrer Tätigkeit hatte sie von einer Reise gesprochen und immer wieder betont, dass Team werde zum Turnierstart in Top-Verfassung sein.

Trainerin Pia Sundhage (r.) zeichnet seit eineinhalb Jahren für die Schweiz verantwortlich.

Und die erfahrene Trainerin hielt Wort. Die Gastgeberinnen wussten in allen drei Begegnungen zu überzeugen. Auch, weil Sundhage mit taktischen Umstellungen und Einwechslungen wichtige Impulse während der Partien gab. So waren in der Entstehung des Ausgleichs von Riola Xhemaili in Ana-Maria Crnogorcevic, Alayah Pilgrim und Alisha Lehmann auch vier Spielerinnen beteiligt, die zunächst auf der Bank gesessen hatten.

Reutelers verunglückter Schuss wird zur perfekten Vorlage

Zum „goldenen Händchen“ von Sundhage gesellte sich gegen Finnland eine große Portion Glück. Das Glück der Tüchtigen, die da Géraldine Reuteler hieß und zum dritten Mal in Folge zur Spielerin des Spiels gekürt wurde. „Eigentlich wollte ich schießen“, gab die 26-Jährige mit Blick auf die Szene in der dritten Minute der Nachspielzeit zu, als sie am rechten Strafraumeck freigespielt wurde und dann abzog. Was als Abschluss gedacht war, wurde zu perfekten Vorlage für Xhemaili, die am langen Pfosten nur noch den „Schlappen“ hinhalten musste.

„Ich wusste, dass ‚Géri‘ in diesem Moment schiessen wird. Ich wusste, dass ich einfach auf den richtigen Moment warten und ihn ‚reintöpfen‘ muss“, sagte die Torschützin dem „Schweizer Rundfunk“ („SRF“). Sprachs, atmete einmal tief durch und schaltete dann in den Party-Modus um: „Ich hoffe, wir haben morgen frei.“

Ziel erreicht, nun wartet wohl Weltmeister Spanien

Morgen, übermorgen und noch in vielen Wochen, Monaten und vielleicht sogar Jahren werden sie sich in der Schweiz an diesen Donnerstagabend in Genf erinnern. So viel steht fest. „Dass wir diesem Druck standhalten konnten, bedeutet mir die Welt“, sagte Kapitänin Lia Wälti. Die 32-Jährige und ihre Teamkameradinnen haben mit dem erstmaligen Viertelfinal-Einzug des Landes nicht nur Geschichte geschrieben, sondern das selbst formulierte Ziel auch schon erreicht.

Wobei Ziele natürlich auch von den EM-Gastgeberinnen jederzeit verschoben werden können. Erst recht, wenn man schon so viele Widerstände überwunden hat in so kurzer Zeit. „Ich bin unglaublich erschöpft, aber sehr glücklich und stolz auf meine Spielerinnen. Es ist aufgegangen, weil wir ein gutes Team haben. Diesen Moment möchte ich in Erinnerung behalten“, sagte Sundhage dem „SRF“.

Im Viertelfinale muss die „Nati“ nun aller Voraussicht nach gegen Spanien antreten. Ein Sieg gegen den Weltmeister und die bis dahin überzeugendste EM-Mannschaft wäre eine Riesensensation. Aber eben auch der Beleg dafür, dass sich Geduld auszahlen kann. Jene Geduld, die der Schweizer Verband trotz vieler sportlicher Nackenschläge in den vergangenen eineinhalb Jahren mit Sundhage hatte.