
Ein Fallrückzieher in der 21., ein Abstauber in der 28. Minute – und das Wunder war tatsächlich wirklich ganz in echt perfekt: Mjällby AIF ist schwedischer Fußballmeister. Die Mannschaft aus dem südschwedischen Fischerdörfchen mit gerade mal 1379 Einwohnern besiegte am Montagabend auswärts IFK Göteborg mit 2:0, hat nun elf Punkte Vorsprung auf den Zweitplatzierten Hammarby IF und kann damit drei Spieltage vor Saisonende nicht mehr eingeholt werden.
Schwer, das jetzt Land für Land gegenzuprüfen, aber die Behauptung des Senders Radio Sverige vom „kleinsten Ort Europas, der eine Fußballmannschaft in der höchsten Liga stellt“ – und der nun auch noch diese Liga gewinnt! – klingt an so einem Tag einfach sehr schön griffig. Und auch die im Svenska Dagbladet zitierte Behauptung des außerordentlichen Sportwissenschaft-Professors Torbjörn Andersson (Universität Malmö), dieser Underdog-Triumph sei „in der gesamten Geschichte des Weltfußballs, einschließlich aller Länder, völlig einzigartig“, soll hier wohlwollend weitergereicht werden.

:Das Wunder der Heringserwürger
Sie spielen da, wo die Welt endet und das Meer anfängt: Ein winziger Klub aus der 1300-Seelen-Gemeinde Mjällby steht unmittelbar vor dem Gewinn der schwedischen Fußballmeisterschaft. Wie das Unmögliche gelingen konnte? Ein Besuch.
Im Lauf der Saison wurden sie immer wieder als Leicester des Listerlandes bezeichnet: Leicester City war 2016 als Außenseiter überraschend englischer Meister geworden. Listerland heißt die von Fischerei und Tourismus geprägte Halbinsel im äußersten Südosten des Landes, auf der Mjällby liegt. Doch der Vergleich hinkt gleich mehrfach: Leicester hat über 300 000 Einwohner und war in den Saisons davor eher schlecht. Außerdem hatte ein einzelner Spieler damals ein Drittel aller Tore für Leicester erzielt. Mjällby schaffte es bereits 2023 ins schwedische Pokalfinale und war im vergangenen Jahr Fünfter in der Liga. Außerdem verteilen sich die Tore in dieser Saison so gerecht auf nahezu alle Profis, als würden sie die Torschützen vor jedem Spiel im Stuhlkreis ausdiskutieren.
Sieben oder acht Mjällby-Spieler wohnen in ein und demselben Apartmentblock
In den Analysen geht es jetzt viel um Bodenhaftung, Kontinuität und Teamspirit. Sieben oder sogar acht der Spieler wohnen in ein und demselben Apartmentblock, in schwedischen Berichten heißt es, sie würden sich abends regelmäßig auf eine Runde „Risiko“ oder andere Brettspiele treffen.
2016 stand die Mannschaft kurz davor, aus der dritten Liga abzusteigen. Damals übernahmen der heutige Vereinsvorsitzende Magnus Emeus und Sportdirektor Hasse Larsson ihre Ämter. In den Porträts über Larsson, der selbst von 1979 bis 1993 bei Mjällby gespielt hatte, hieß es, er habe die ersten Jahre auf jedes Managergehalt verzichtet, besitze gar kein eigenes Büro und benutze keinen Computer. Larsson muss jedenfalls ein Händchen haben für kluge Investitionen und Spielerverkäufe. 2016 standen sie kurz vor der Insolvenz, zu Beginn dieser Saison verfügten sie über ein Eigenkapital von 45,8 Millionen schwedischen Kronen (gut vier Millionen Euro). Zum Vergleich: Der amtierende Meister Malmö FF, der 21 Punkte hinter Mjällby liegt, hatte zum Jahreswechsel 764 Millionen SEK zur Verfügung.
Der Trainer Anders Torstensson hat eine Vergangenheit als Schulleiter und Militäroffizier und wirkt außerordentlich bodenständig. Als er 2024 die Diagnose chronische lymphatische Leukämie bekam, nahm er ein paar Tage frei und entschied dann: „Eine Behandlung ist nicht nötig, also mache ich weiter. Es hätte 100 schlimmere Diagnosen geben können“. Gern verweisen Larsson und Torstensson darauf, dass sie angesichts ihrer bescheidenen Mittel einfach in all den Dingen die Besten seien, die es umsonst gibt: Teamspirit, Kampfgeist, Höflichkeit …

Und jetzt also Champions League. Der FC Bayern kann sich schon mal warm anziehen, der Busfahrer von Real Madrid eine kleinmaßstäbliche Südschwedenkarte kaufen, um zu studieren, wie man in diese gottverlassene Gegend namens Listerland kommt. Das holzgezimmerte Strandvallen-Stadion ist ein sehr eigener Ort, liegt es doch umwaldet am Strand von Hallevik, direkt hinterm örtlichen Campingplatz. An der Eckfahne spielt bei jedem Heimspiel die lokale Jazzband Dragkedjan (Reißverschluss), ein Duft von Brathering weht durchs Rund.
Gut, stimmt, es dauert noch bis Real Madrid kommt, sie müssen erst mal die Qualifikationsphase der Champions League überstehen. Aber man wird ja wohl träumen dürfen. Außerdem: Mjällby hat in der ganzen Saison nur ein Spiel verloren, der Verein ist seit Anfang Juli Tabellenführer und mittlerweile seit 19 Begegnungen ohne Niederlage. Da sie drei Spiele vor Saisonende 66 Punkte haben, stehen die Chancen recht gut, dass sie in den kommenden Wochen auch noch den Allsvenskan-Punkterekord von 67 Punkten (Malmö FF 2010 und der Stockholmer AIK 2018) brechen.