

Kurz vor Jahresende bietet die wirtschaftliche Lage in Deutschland drei Überraschungen, die irritieren. Da ist zunächst die recht große Spannweite der Prognosen für das Wirtschaftswachstum im kommenden Jahr. Die Deutsche Industrie- und Handelskammer rechnet mit 0,7 Prozent, das Wirtschaftsministerium mit 1,3 Prozent und Optimisten wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin (DIW) gar mit 1,8 Prozent.
Die weite Spanne belegt eine Unsicherheit über die konjunkturelle Entwicklung, die sich kaum unterscheidet von den Jahren der zerstrittenen Ampelkoalition. Insoweit hat die neue Regierung von Union und SPD keine Beruhigung gebracht.
Immerhin gehen alle Konjunkturbeobachter davon aus, dass die Wirtschaft im kommenden Jahr deutlich schneller wachsen dürfte als in diesem Jahr. Erwartet wird für 2025 allgemein, dass Deutschland nach zwei Rezessionsjahren nun knapp der Stagnation entkommen könnte.
Der Staat als Treiber
Die zweite Irritation ist, dass sich die Ökonomen in einem Punkt weitgehend einig sind: Treiber der Wirtschaft im kommenden Jahr sind nicht private Unternehmen oder Haushalte, sondern der Staat. Mit den geplanten Milliarden Euro für Verteidigung und Infrastruktur dürfte die Regierung einen kurzfristigen Nachfrageschub entfachen, dem nicht zu entkommen sein wird. Das bestimmt die Diskussion unter den Konjunkturforschern, die derzeit mehr Staatswissenschaft als Ökonomik betreiben.
Gestritten wird darüber, wie schnell die Regierung die Schuldenmilliarden unters Volk bringen kann und welchen Anschub sie damit auslöst. Davon hängt entscheidend ab, wie viel des frischen Geldes in neuen Schienen und Panzern ankommen oder nur in höheren Preisen enden wird. Im Tiefbau und wohl auch in der Rüstung sind weit weniger freie Kapazitäten verfügbar als oft angenommen.
Irritierend an dem Fokus auf den staatlichen Sektor ist vor allem, wie wenig Zutrauen die Ökonomen derzeit in die privatwirtschaftlichen Wachstumskräfte in Deutschland haben. Zieht man den fiskalischen Impuls von den Wachstumsprognosen ab und berücksichtigt, dass rund 0,3 Prozent des Wachstums 2026 allein durch mehr Arbeitstage zustande kommen, bleibt als privatwirtschaftlicher Wachstumsimpuls nicht mehr viel übrig.
Deutschland ist abhängig vom Fiskalimpuls
Für ein Land, das sich zur Marktwirtschaft bekennt, ist das ein erstaunlicher Befund. Die Abhängigkeit vom Fiskalimpuls erinnert – neben der Staatsquote von rund 50 Prozent – eher an staatlich verwaltete Volkswirtschaften als an dynamische freie Märkte.
Das führt zur dritten Irritation. Sosehr Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) vor der Wahl eine Wirtschaftswende ankündigte, um im freiheitlichen Sinne die Marktkräfte zu entfesseln, so wenig ist davon in der Koalition mit der SPD geblieben.
Agrardiesel für die Landwirte, Industriestrompreise für ausgewählte Unternehmen, Handelsschranken zum Schutz von Auto- oder Stahlunternehmen – in der Subventionitis und in der Bevorzugung einzelner Branchen unterscheidet die Regierung sich kaum einen Deut von der Ampelkoalition und kennt keine ordnungspolitische Zurückhaltung.
Merz und Co. feiern sich als Retter bedrohter Unternehmen und Arbeitsplätze und bedrohen doch nur das Wohlergehen anderer. Denn der staatlich gewährte Vorteil für den Einen ist immer der Nachteil für den anderen, sei es durch höhere Steuerlasten, sei es durch die staatlich subventionierte Konkurrenz am leer gefegten Arbeitsmarkt. Der Weckung privatwirtschaftlicher Wachstumskräfte laufen die Subventionen und Sondervorteile entgegen.
Dem Standort fehlt Wettbewerbsfähigkeit
Die größte Wirtschaftswende hat die Regierung dadurch hingelegt, dass sie nun auch mit Handelsschranken liebäugelt, um hiesige Unternehmen vor ausländischer Konkurrenz abzuschotten. Für das vom Export gut lebende Deutschland ist das ein Armutszeugnis, das Ursache und Wirkung verkennt. Der Export schrumpfte schon in den vergangenen beiden Jahren, deutsche Unternehmen verloren schon Marktanteile lange vor den globalen Wirren und Umwälzungen, die der amerikanische Präsident Donald Trump mit seinen Schutzzöllen auslöste.
Nicht Trumps Zölle oder chinesische Waren sind das deutsche Problem, sondern die fehlende Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen am hiesigen Standort. Diese Nachteile kann die Regierung nicht mit Schuldenmilliarden, nicht mit Subventionen und nicht mit Abschottung beheben. Gefragt sind nicht mehr, sondern weniger Staat, weniger Steuern und weniger Regulierung. Dann klappt es auch wieder mit dem Wachstum.
