
Das Fußballspiel lief noch eine Weile, doch Evangelos Marinakis hatte genug gesehen. Der Eigentümer von Nottingham Forest erhob sich bei der trostlosen Heimniederlage gegen den FC Chelsea mitten in der zweiten Halbzeit aus seinem gepolsterten Luxussessel mit Riesenbildschirm – und kehrte nicht mehr zurück. Der ebenso impulsive wie kompromisslose griechische Funktionär verließ wütend den City Ground, Mobiltelefon und Kabelkopfhörer in der Hand, sein Monitor wurde ausgeschaltet. Hinter den Kulissen vollzog er dann parallel zum fortlaufenden Match die womöglich gnadenloseste Trainer-Entlassung seit Gründung der Premier League vor drei Jahrzehnten.
Exakt 19 Minuten nach Abpfiff des 0:3 (0:0) am Samstagnachmittag vermeldete Nottingham die Abberufung von Ange Postecoglou. In acht Pflichtspielen hatte der erst 39 Tage zuvor verpflichtete Australier mit griechischen Wurzeln keinen Sieg errungen, sechs Partien gingen verloren, darunter eine Niederlage im Pokal gegen einen Zweitligisten. Der Überraschungsklub der Vorsaison, der sich erstmals seit Ewigkeiten wieder für einen Europapokal qualifiziert hatte, steckt tief im Tabellenkeller. Marinakis hatte den 60 Jahre alten Postecoglou als Nachfolger für den wegen persönlicher Differenzen überstürzt gefeuerten Nuno Espírito Santo geholt. Nun hält Postecoglou einen zweifelhaften Rekord: Er ist der Premier-League-Coach mit der kürzesten Amtszeit, dessen Vertrag nicht regulär endete. Seine Bilanz ist zudem die schlechteste eines Trainers in Nottingham seit einem Jahrhundert.

:Eine Fußballmannschaft, die den Fußball boykottiert
Beim 0:3 gegen Stuttgart unterbieten sich die Spieler des VfL Wolfsburg noch mal selbst. Beim VW-Klub droht die nächste Saison, in der ein teurer Kader keine sportlichen Prinzipien erkennen lässt.
Von seiner Demission erfuhr der sehr von sich überzeugte Postecoglou direkt nach Abpfiff im Kabinentrakt. Zuvor hatte er auf dem Platz seine Spieler abgeklatscht und sich bei den wenigen verbliebenen Fans bedankt – mit Beifall aus der Distanz. Die Szene wirkte, als habe er geahnt, wie das Urteil von Marinakis ausfallen würde. Die beiden Männer hatten sich im Sommer auf einer Veranstaltung flüchtig kennengelernt, als Marinakis in seiner Funktion als Präsident der griechischen Liga Postegoclou auszeichnete – für dessen Europa-League-Sieg mit Tottenham Hotspur, der eine lange titellose Zeit der Londoner beendete, was ihn aber nicht vor dem Rauswurf bewahrt hatte. Dennoch, Postecoglous Statistik beeindruckte den ungeduldigen Marinakis. In Australien, Japan, Schottland und England hatte der Trainer spätestens in der zweiten Saison mit seinen Klubs Pokale geholt. „Er will gewinnen – und ich auch“, beschrieb Postecoglou das Verhältnis. Marinakis sagte über den Coach: „Wo immer er hingeht, kommen die Erfolge.“
Der für defensiven Konterfußball gebaute Kader passte überhaupt nicht zum offensiven Ansatz von Postecoglou
Nur bis nach Nottingham kamen sie nicht. Am Ende verband Marinakis und Postecoglou lediglich ihre Streitbarkeit. Darauf deutet auch das Kündigungsschreiben des Klubs hin, das den Trainer mit zwei dürren Sätzen abservierte. Postecoglou sei „nach einer Reihe enttäuschender Resultate und Leistungen“ freigestellt worden, aktuell gebe es „keine weiteren Kommentare“.
Kein Bild, kein Gruß, kein Dank, nur 39 Wörter: eines für jeden Tag, den Postecoglou im Amt war. Der Frust war so groß, dass Marinakis seinen Entschluss trotz seiner Anwesenheit nicht mal persönlich überbrachte – dies übernahm ein anderer Nottingham-Funktionär. Danach verabschiedete sich Postecoglou und verließ unverzüglich das Stadion. Ohne ein einziges Interview zu geben.
Seine Sicht auf die Situation hatte Postecoglou ohnehin schon am Vortag ausführlich geschildert, in einer leidenschaftlich-trotzigen Ansprache, die deutlich mehr Pointen enthielt, als der Klub unter ihm Punkte geholt hatte (einen in fünf Ligaspielen): „Die Geschichte endet immer gleich … mit mir und einer Trophäe“, betonte er. Damit fasste er seine Ambition zusammen, auch das erst vor drei Jahren aufgestiegene Nottingham auf ein Siegerpodest führen zu wollen. Den Fans jedoch dürfte sein Titelgerede so märchenhaft vorgekommen sein wie die Erzählungen von Robin Hood, dem Volkshelden der Region aus dem Mittelalter. Postecoglous Einlassungen erweckten zunehmend den Eindruck, als gehe es ihm bei Forest eher um die eigene Reputation als um die Belange des Vereins. Irritierend oft sprach er über seine vorherige Station in Tottenham.

Obwohl er sein Ansehen dort trotz des schlechten Ligaresultats (Platz 17) mit dem Europacup-Gewinn rettete und eigentlich eine starke Verhandlungsposition für einen Anschlussjob besaß, schien Postecoglou die erstbeste Offerte angenommen zu haben. Dabei passte der Kader Nottinghams, der unter Espírito Santo einen defensiven Konterfußball praktiziert hatte, überhaupt nicht zu seinen offensiven Vorstellungen. Dennoch traute sich Postecoglou zu, den Stil ohne nennenswerte Trainingszeit radikal umzustellen. Damit verunsicherte er das Team noch mehr. Die Folge: 18 Gegentore in acht Spielen. Hinzu kam, dass Postecoglou auch mit seiner scharfen Zunge ein Gegenentwurf zum unscheinbaren Espírito Santo war. Von Letzterem kursiert die Anekdote, er sei zu seiner öffentlichen Vorstellung in Nottingham zu früh erschienen – weil er sie möglichst rasch hinter sich bringen wollte.
Die griechische Tragödie um Marinakis und Postecoglou verdeckt aber das eigentliche Hauptproblem des Klubs: die zahlreichen Zugänge. Verantwortlich hierfür ist der erst kürzlich installierte Sportdirektor Edu – ein Protegé von Marinakis, der ihn von Arsenal abgeworben hatte. Zwar hatte sich der Klub in den vergangenen Jahren durch einige gewiefte Transfers ausgezeichnet, doch unter Edu sollte diese Strategie optimiert werden. So investierte Nottingham im Sommer knapp eine Viertelmilliarde Euro, vornehmlich in junge, vielversprechende Spieler – auch um den Kader für die zusätzlichen Europapokalspiele zu rüsten. Allerdings konnte sich bislang, abgesehen vom Schweizer Nationalstürmer Dan Ndoye (für 42 Millionen Euro vom FC Bologna), keiner der Neuen wirklich durchsetzen. Bezeichnend: Postecoglou verzichtete gegen Chelsea auf die fünf teuersten Zugänge, vier standen nicht einmal im Kader.
Marinakis hat nun angeblich schon Kontakt zu den Trainerroutiniers Roberto Mancini und Sean Dyche aufgenommen. Beide stehen für Autorität – und würden eine Rückkehr zum pragmatischen Fußball unter Espírito Santo markieren. Hypothetisch bleibt die Frage, wie der früh entschwundene Marinakis reagiert hätte, wenn Postecoglou das Spiel gegen Chelsea doch noch gedreht hätte.