Tipps vom HNO-Arzt
Schlecht hören und nichts dagegen tun – das kann schwere Folgen haben
Seit einigen Tagen kann man die Airpods Pro 2 wie ein Hörgerät verwenden. Hier verrät ein führender HNO-Arzt, was er davon hält. Und wann es höchste Zeit für einen Hörtest ist.
Unser Autor hat den Selbsttest der Hörhilfe-Airpods von Apple gemacht. Nun suchte er den HNO-Arzt Bernhard Junge-Hülsing auf, um das Ergebnis gegenzuchecken – und mehr über das wichtige Thema Schwerhörigkeit zu erfahren. An ihr leiden in Deutschland je nach Studie 14 bis 33 Millionen Menschen, manche nur auf einem Ohr, viele merken nichts davon.
Herr Junge-Hülsing, außer in lauten Bars, wo es für mich schon immer schwer war, habe ich keine Einschränkungen im Alltag. Erhebungen zufolge kommen die Menschen erst spät zu Ihnen. Warum?
Weil das Hörgerät anders als eine Brille eben als unsexy empfunden wird und mit dem Begriff des Alters und der Begriffsstutzigkeit vergesellschaftet ist. Das ist in der deutschen Sprache tief verankert. Das Wort „dumm“ ist eng verwandt mit „tumb“, was im Althochdeutschen so viel bedeutet wie ’stumm, taub, töricht, einfältig‘. Wittgenstein sagte einmal: Worüber man nicht reden kann, das kann man nicht denken. Also unsere Intelligenz ist eine verbale Intelligenz.
Zur Person
Bernhard Junge-Hülsing führt gemeinsam mit zwei Kolleginnen eine große Fachpraxis für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Phoniatrie und Pädaudiologie in Starnberg. Daneben ist er Landesvorsitzender des Bayerischen Berufsverbandes der HNO-Ärzte.
Kommen Ihre Patienten freiwillig, oder werden sie von verzweifelten Angehörigen und Ehepartnern geschickt?
Fifty fifty. Da gibt es die, die im Theater, Fernsehen oder in der Kirche nicht mehr gut verstehen. Aber eben auch die, die von ihrer Frau oder den Kindern gedrängt werden und überzeugt sind: Ich höre eigentlich noch gut, ich brauche noch keine Hörgeräte, ich höre alles, was ich hören muss.
Wie weit fortgeschritten ist die Hörstörung dann im Durchschnitt so?
Gegenüber normal hörenden jungen Menschen, die für unsere Hörtests als Referenz dienen, haben sie dann im Sprachverständnis meistens schon etwa 25 bis 30 Prozent verloren.
Wie gefährlich ist das, wenn man nicht rechtzeitig eingreift?
Eine besonders große Gefahr ist die Demenz. Laut Fachliteratur könnte die bei unbehandelten Schwerhörigen etwa vier Jahre früher eintreten. Man verliert die Orientierung im Raum und stürzt deshalb häufiger. Man hat auch beim Autofahren Probleme, weil man den Rettungswagen oder einen Bagatellunfall nicht hört. Ich hatte mal einen Patienten, der beim Rückwärtssetzen in ein Glashaus gefahren ist und es nicht gehört hat. Das ist ein extremes Beispiel, aber er hat dann eben seinen Führerschein verloren. Ich bin nicht dagegen, dass alte Leute fahren, aber sie müssen ihre Seh- und Hörschwäche ausgleichen, sonst sind können sie eine Gefahr für die Allgemeinheit sein.
Was ist denn das allerfrüheste Anzeichen einer beginnenden Schwerhörigkeit?
Wenn der Partner oder die Partnerin öfter sagt: Verstehst du mich nicht? Das fängt schon sehr früh an! Zu mir kommen deshalb viele Leute im Alter von 30, 40 Jahren, die bei Umgebungsgeräuschen nicht so gut verstehen, die haben dann drei, vier Prozent Hörverlust, also noch nicht wirklich schlimm.
Und wann sollte man den Hörtest definitiv nicht mehr aufschieben?
Wenn man auch in einer ruhigen Umgebung jemanden nicht mehr versteht. Wenn man im Fernsehen nur noch den Nachrichtensprecher versteht, aber nicht mehr die Schauspieler in originär deutschen Serien wie zum Beispiel dem „Tatort“, wo man seine Muttersprache ja zusätzlich auf den Lippen ablesen kann. Wenn so was nicht mehr klappt, dann ist es höchste Zeit.
Muss man dann zwingend zum HNO-Arzt oder genügt ein Hörgerätegeschäft? Die machen ja auch Hörtests….
Die erste Verordnung für Hörgeräte muss vom HNO-Arzt ausgestellt werden. Und das ergibt ja auch Sinn, dass man erstmal guckt, welche Ursache die Hörstörung hat. Also ob zum Beispiel ein Loch im Trommelfellbefund ist, oder ob jemand einfach nur sehr viel Ohrenschmalz hat. Ich hatte tatsächlich schon Patienten, die trugen schon länger Hörgeräte und brauchten keines mehr, nachdem ich den Ohrenschmalz rausgeholt habe.
Gibt es noch andere leicht zu behebende Ursachen einer Schwerhörigkeit?
Es gibt auch Ursachen, auf die man erstmal gar nicht kommt. Zum Beispiel Allergien, die dazu führen, dass die Ohrtrompete kollabiert. Das ist ein Verbindungskanal zwischen Paukenhöhle und Mittelohr. Dann klappt der Druckausgleich nicht mehr, wenn wir zum Beispiel mit der Seilbahn einen Berg hochfahren, die Nase zuhalten und Luft reinpressen. Wenn das nicht geht, ist das ungefähr so, als wenn man das Ohr von innen zuhalten würde. Dann sollte man erstmal diese Ohrtrompeten-Belüftungsstörung behandeln. Das betrifft insbesondere jüngere Menschen.
Welche ernsteren Ursachen können hinter einem Hörverlust stehen, die unbedingt auch abgeklärt gehören?
Sehr viele. Bei einseitig auftretenden Hör- und Gleichgewichtsstörungen muss man an einen Tumor denken. Es gibt chronische Entzündungen, zum Beispiel Knocheneiterungen als Spätfolge einer Mittelohrentzündung in der Kindheit, die erst im Erwachsenenalter in Erscheinung treten. Es kann zu Verknöcherungen der Gehörknöchelchen, speziell des Steigbügels, kommen. Medikamente, vor allem Zytostatika, können das Gehör schädigen. Und auch Autoimmunkrankheiten wie Multiple Sklerose können mit einer Hörstörung beginnen. Ich könnte noch viel aufzählen….
Am häufigsten aber ist die Altersschwerhörigkeit?
In neun von zehn Fällen ist es das, ja. Wobei es ein falscher Begriff ist, denn die Hauptursache ist nicht das Alter, sondern der Umgebungslärm, dem wir ständig ausgesetzt sind. Durch den Straßenverkehr zum Beispiel oder durch zu laute Musik. Deshalb sprechen wir heute von einer „Umweltschwerhörigkeit“. Und die beginnt heute früher als noch vor 50 Jahren, weshalb auch viele Menschen früher schon Hörgeräte brauchen.
Was kann man selbst tun, um ihr Fortschreiten aufzuhalten? Muss es wirklich immer das Hörgerät sein, oder genügt auch mal ein Hörtraining?
Das ist eine sehr typische Frage, die meine Patienten auch immer stellen. Sie versuchen, mit mir zu verhandeln, fragen, ob eine bestimmte Ernährung helfen kann oder aber eben Hörtrainings. Aber leider kann man selber nicht viel tun. Natürlich sollte man sich nicht weiterhin großem Lärm aussetzen, ansonsten aber sollte man sein Leben weiter führen wie bisher.
Aber was ist denn nun mit Hörtrainings? Da gibt es ja zahlreiche Apps….
Ein Hörtraining für Erwachsene ergibt nur Sinn, wenn man schon Hörgeräte hat, und dann unter fachlicher Anleitung. Daneben gibt es auch Trainings für Jugendliche bis zu einem Alter von etwa 14 Jahren, die eine Hörverarbeitungsstörung haben. Auch die aber sollten nur in Zusammenarbeit mit einem Pädaudiologen und mit einer Logopädin eingesetzt werden.
Die Schwelle zum Hörtest ist ja für viele groß. Ich habe sie mit den Airpods überwunden, und Sie haben nachgetestet. Entsprechen sich die Ergebnisse?
Sie liegen nah beieinander, der kleine Unterschied kann auch Tagesform bedingt sein. Es gibt auch andere Selbsttests im Internet, gute wie schlechte, der AirPods-Hörtest gehört zu den guten. Diese Entwicklung ist wirklich ein großer Fortschritt, denn solche Tests kosten wenig Überwindung.
Aber der Test hat bei mir ja nicht das Sprachverständnis mitgeprüft, so wie ich das jetzt in Ihrer Praxis erlebt habe. Die AirPods spielten mir nur Töne ein, und wenn ich was hörte, sollte ich aufs Display drücken…
Der Test des Sprachverständnisses ist ja nur ein zusätzliches diagnostisches Tool, das wir in Deutschland anwenden. In vielen anderen Ländern genügt die Hörschwellen-Messung, so wie beim Test von Apple.
Was bedeutet ein solches Testergebnis für die vielen Menschen, deren leichte Hörschwäche noch nicht ausreicht, um die Indikation für ein Hörgerät zu stellen? Sollen die mit den AirPods schon mal trainieren für die Zukunft, wenn sie vielleicht mal höhergradig schwerhörig werden?
Für die sind Airpods doch ein guter Einstieg, um in Situationen wie Konferenzen oder Vorträgen besser mitzukommen. Und dann macht man vielleicht ein Jahr später nochmal einen Selbsttest. Falls das Ergebnis schlechter geworden ist, geht man zum Akustiker oder HNO-Arzt.
Verschreiben können Sie Airpods aber noch nicht?
Nein. Zwar handelt es sich um ein zugelassenes Medizinprodukt, doch dafür müssten sie im Hilfsmittelverzeichnis gelistet sein, und das sind sie noch nicht.
Welche Rolle, denken Sie, werden Kopfhörer künftig als Hörhilfe spielen?
Der Markt wird sich komplett wandeln. Die Hersteller von Kopfhörern, nicht nur Apple also, werden Hörgeräte mit Kopfhörern entwickeln, die tief im Gehörgang verschwinden, so wie Produkte von Sennheiser oder den Hörgeräteherstellern. Es werden komfortablere, technisch anspruchsvollere Hörgeräte entwickelt, die man früher tragen kann. Und bei den Fortschritten im Bereich KI wird es vielleicht bald so sein, dass einem der Fernseher sagt: Das ist jetzt aber sehr laut, machen Sie mal einen Hörtest. Diese Umwälzungen werden sich auch nicht auf Hörgeräte beschränken, sondern auf Wearables und Haushaltselektronik im weitesten Sinne, auch Brillen zum Beispiel. Wer weiß, ob wir in ein paar Jahren noch durch Gläser gucken oder ob wir dann alle Nachtsichtgeräte tragen. Das wird spannend. Ich freue mich darauf, es macht unser Leben besser.