Seit 2021 liegt das frühere Hamburger Schwimmdock 10 bei Lürssen an der Weser. Ob es je in die Hansestadt zurückkommt, ist ungewiss. Anwohner in Bremen klagen gegen die riesige Anlage. Kompliziert ist der Fall auch wegen des besonderen Schiffes, das derzeit im Dock steht.
Plötzlich war sie da, die graue Wand, die 50 Meter über das Wasser der Weser ragt. Sie veränderte die Landschaft von einem Tag zum anderen, wie in einem dystopischen Roman. An seiner Werft in Berne, am Südufer der Weser, machte das Bremer Schiffbauunternehmen Lürssen im Frühjahr 2021 das Schwimmdock 10 fest. Am nördlichen Flussufer sorgt der Koloss seither für Ärger. „Das Dock ist höher als das Dach des Weserstadions“, sagt eine der Anwohnerinnen im Stadtteil Rönnebeck, die nicht namentlich genannt werden möchte. „Das nimmt einem die Sonne.“
Das Schwimmdock 10, gebaut im Jahr 1966, ist eine der größten Anlagen dieser Art in Europa. Das Dock war ein Symbol des Hamburger Hafens und speziell der letzten Hamburger Großwerft Blohm+Voss, die Lürssen 2016 übernommen hatte. Es war Werbe- und Projektionsfläche, Touristenattraktion – und eben ein Ort, an dem Schiffe repariert und saniert wurden und werden. Im Jahr 2021 ließ Lürssen das Dock nach Bremen schleppen. Bereit zuvor war es überdacht worden – auch dafür, um speziell Superyachten vor neugierigen Blicken abzuschotten.
Das rund 288 Meter lange, etwa 54 Meter breite Schwimmdock sollte zunächst nur bis zur Fertigstellung der Superyacht „Sassi 2“ in Berne liegen. Doch längst gehört das gewaltige graue Panorama für die Anwohner auf dem gegenüberliegenden Ufer der Weser zum Alltag. Und das womöglich noch für lange Zeit. Im Jahr 2023 beantragte Lürssen die dauerhafte Positionierung des Docks in Berne. Die Anwohner von gegenüber klagten dagegen beim Verwaltungsgericht Oldenburg. Im Oktober wies das Gericht einen Eilantrag der Kläger allerdings ab. „Im Eilverfahren musste das Gericht nur sehr summarisch prüfen und nicht voll in den Sachverhalt einsteigen“, sagt der Bremer Rechtsanwalt Reinhard Engel von der Kanzlei Engel & Feest. „Wir gehen mit der Klage jetzt in das Hauptsacheverfahren, sicherlich mit einer mehrjährigen Verfahrensdauer.“
Die Yacht „Sassi“ war bei einem Feuer in einem Dock von Lürssen in Bremen im Jahr 2018 schwer beschädigt worden. Anschließend brachte Lürssen das Schiff in einem Schwimmdock nach Hamburg und baute es unter dem Namen „Sassi 2“ wieder auf. Zur Fertigstellung wiederum verlegte Lürssen die „Sassi 2“ erneut nach Bremen, im Schwimmdock 10. Dort wurde sie im September 2022 ausgedockt.
Im Schwimmdock 10 steht heutzutage die Superyacht „Dilbar“, die der Familie des usbekischen Oligarchen Alischer Usmanow zugeschrieben wird. Usmanow war nach dem russischen Überfall auf die Ukraine wegen seiner Nähe zum Regime von Präsident Wladimir Putin auf eine Sanktionsliste der EU gesetzt worden. Die bei Lürssen gebaute, 156 Meter lange „Dilbar“ ist eine der größten Yachten der Welt. Das Unternehmen lieferte sie im Jahr 2016 ab. Dass die Yacht im Schwimmdock geparkt ist, kann mit ungeklärten Eigentumsverhältnissen zu tun haben und auch mit der Frage, wer für die aufwendige Konservierung des Schiffes bezahlen muss – oder mit welchen Sicherheiten dies geschieht. Lürssen wiederum teilt Details zu seinen Aufträgen und Kundenbeziehungen nie extern oder gar öffentlich mit.
„Erst im Februar 2024 hat Lürssen eine Genehmigung für das Schwimmdock 10 mit der eingelagerten Oligarchenyacht an seinem jetzigen Standort erhalten“, sagt Rechtsanwalt Engel. „Die sanktionierte Yacht ist somit von September 2022 bis zum Februar 2024 ohne Genehmigung im Dock 10 bestens eingelagert worden. Aus unserer Sicht wurde das Dock 10 über ein Jahr auf der Weser mit offensichtlicher Duldung der Aufsichtsbehörden illegal betrieben.“ Man hoffe nun darauf, dass auch der Umweltschutz greifen könnte, sagt Engel, denn das Dock liege „im Bereich von zwei FFH-Schutzgebieten“, das sind durch eine EU-Richtlinie geschützte Fauna-Flora-Habitat-Gebiete: „Spätestens das Oberverwaltungsgericht Lüneburg sollte Lürssen hier klare Grenzen aufzeigen.“
Engel sieht allerdings auch eine Chance dafür, dass der Streit zu einem guten Ende kommen könnte. „Wir gehen davon aus, dass sich mit Lürssen eine einvernehmliche Lösung erzielen lässt. Auch Lürssen dürfte kein Interesse haben, das Dock 10 auf Dauer unproduktiv am Standort Berne zur Einlagerung einer sanktionierten Yacht zu belassen“, sagte der Rechtsanwalt nach einem Treffen der Kläger mit Vertretern der Werft. Obendrein sei das Ein- und Ausdocken großer Schiffe am Standort Berne „mangels ausreichenden Tiefgangs nicht möglich. Das Dock müsste immer aufwendig in die Bremer Häfen verholt werden.“
Auch Lürssen scheint an einer Einigung interessiert zu sein: „Im Rahmen vertraulicher Gespräche haben sich Werft und Bürgerinitiative Mitte November über die unterschiedlichen Perspektiven konstruktiv ausgetauscht und ein besseres Verständnis für die jeweiligen Standpunkte entwickelt“, schrieb das Unternehmen WELT AM SONNTAG. „Es wurde erkannt, dass die Herausforderungen auf beiden Seiten nachvollziehbar sind. Dies betrifft vor allem den Umstand, dass der Verbleib von Dock 10 am Standort Berne an externe Faktoren gebunden ist, die seitens der Werft nicht beeinflusst werden können und eine geplante Rückführung nach Hamburg derzeit nicht ermöglichen.“ Es sei vereinbart worden, „im Dialog zu bleiben, die konstruktive Zusammenarbeit und Kompromissbereitschaft beiderseits fortzuführen – mit dem Ziel, die Situation zu einem späteren Zeitpunkt in eine für beide Seiten akzeptable und tragfähige Richtung zu lenken“.
Olaf Preuß ist Wirtschaftsreporter von WELT und WELT AM SONNTAG für Hamburg und Norddeutschland. Die maritime Wirtschaft – Häfen, Werften und Schifffahrt – zählt zu seinen Schwerpunktthemen.