Saralisa Volm: Das Haardilemma – ist Intimrasur Verrat am Feminismus? – Kultur

Seit Jahren rasiere ich meine Scham- und Beinhaare nicht mehr. Schuld ist daran ursprünglich der Kommunismus. Mit 16 las ich ein Interview mit Fidel Castro, dem kubanischen Revolutionsführer, in dem er seinen beträchtlichen Wildwuchs im Gesicht mit Mathematik erklärte. Er habe ausgerechnet, so Castro, dass er sich ungefähr zehn Arbeitstage pro Jahr spare, wenn er sich nicht rasiere. Diese Zeit wolle er lieber der Revolution widmen. Seitdem fragte ich mich, ob wir nicht alle etwas mehr Revolution und weniger Rasieren wagen sollten.

Ich selbst brauchte dann noch ungefähr zwei Jahrzehnte, um mich vom Rasieren zu verabschieden. Was auch daran lag, dass ich wirklich gerne rasiert bin. Ich mag die weiche Haut, die sich unter meinen Vulvahaaren verbirgt. Ich fasse sie gerne an. Und ich finde, dass mein Venushügel, meine Vulvalippen und meine Klitoris erstaunlich hübsch sind. Ich sehe sie gerne an, was ich nicht von vielen meiner Körperteile behaupten kann.

Wachsstreifen und Epiliergeräte trieben mir Tränen in die Augen

Trotzdem sind sie nun seit einigen Jahren unter dickem, dunklem Vulvahaar verborgen. Um Zeit zu sparen, aus politischen Gründen und weil ich keine Lust mehr auf die Qualen hatte: Zwischen zwölf und 32 bekämpfte ich jedes einzelne dieser Haare. Stumpfe Klingen schabten mir die Haut vom Knöchel, ätzende, chemische Cremes sorgten für Pickelchen, Wachsstreifen und Epiliergeräte trieben mir Tränen in die Augen, Pinzetten suchten Haaranfänge in entzündeten Haarwurzeln.

2019 war Schluss. Eingeklemmt zwischen einem Instagram-Kunstprojekt namens „@365_imperfections“ und meinem Buch „Das ewige Ungenügend – Eine Bestandsaufnahme des weiblichen Körpers“, an dem ich damals gerade schrieb, war die Auseinandersetzung mit tief verinnerlichten Schönheitsidealen mein Job geworden. In beiden Fällen ging es um die vermeintliche Fehlerhaftigkeit des weiblichen Körpers und die politische Dimension, die Abweichungen von der in Medien und Öffentlichkeit allgegenwärtigen Norm haben.

Ich musste mich endlich meinem eigenen verqueren Körperbild stellen. Ich wollte begreifen, warum ich mir jahrzehntelang die Haare aus dem Körper gerissen hatte. Ich stellte das Rasieren ein und ließ wachsen. Irgendwann gab es nur noch Haare: Schamhaare genannt. Oder Intimhaare. Oder Vulvahaare. Es ist gar nicht so leicht, diese Haare richtig zu bezeichnen. Der Begriff „Schamhaar“ ist mehr als eine gewohnheitsmäßige Bezeichnung. Obwohl wir es nicht mehr wollen, schämen wir uns doch noch immer: Für unsere Begierde, unsere Lust, unsere Träume – die wir heimlich haben. Für den schlechten Sex und die Übergriffe, die wir erleben. Nichts an diesen Haaren, nichts an unserer Vulva, die sich darunter verbirgt oder durch Rasur freigelegt ist, ist in unserer Gesellschaft normal, sichtbar, entspannt, akzeptiert oder frei.

Die weibliche Sexualität, die nicht durch den männlichen Blick verzerrt ist, bleibt selbst in unseren eigenen Köpfen versteckt – und allzu oft auch unbefriedigt. Eine große Studie eines Forscherteams von der Chapman University in Kalifornien kam vor einigen Jahren zu dem Ergebnis, dass beim heterosexuellen Sex zwar 95 Prozent der Männer zum Orgasmus kommen, aber nur 65 Prozent der Frauen. Dagegen erklärten 86 Prozent der lesbischen Frauen, sie würden beim Sex so gut wie immer zum Höhepunkt kommen.

Was ist hot? Was ist Geschmack? Was ist der lange Schatten des Patriarchats?

Was ist hot? Was ist Geschmack? Was ist der lange Schatten des Patriarchats? Die unbehaarte Vulva ist eine kindliche, präpubertäre Vulva. Sie fügt sich ein in die Reihe anderer gelernter männlicher Begierden. Zum Beispiel die Sehnsucht nach der ewig faltenlosen, nicht alternden Frau, die für immer 25 bleibt, keine grauen Haare bekommt und ewig reproduktionsfähig ist. Wir alle rennen ihr gemeinsam hinterher.

Haare in der Bikinizone? Die Kommentarspalte explodierte, als unsere Autorin ein Bild von sich wie dieses postet.
Haare in der Bikinizone? Die Kommentarspalte explodierte, als unsere Autorin ein Bild von sich wie dieses postet. (Foto: Saralisa Volm)

Warum war ich verwundert, dass viele Männer auf Instagram Sturm liefen, nachdem ich ein Bild gepostet hatte, auf dem mein Schamhaar zu erahnen war? Die Kommentarspalte explodierte, mein Posteingang wurde überflutet. Fremde Männer schickten Nachrichten wie „Behave and shave“ – rasier und benimm dich. Es folgten Diskussionen über Hygiene, Ästhetik und meine grundsätzliche „Fuckability“. Es ist ein bisschen aufregend, so viel Action produzieren zu können. Und ein bisschen lustig. Und ein bisschen traurig – dass ich trotzdem gerne schön gefunden würde.

Wie es sich für eine in den Neunzigern in Sachen Gleichberechtigung mit Kate Moss, Pamela Anderson und den Spice Girls sozialisierte Frau gehört, will ich alle Hotness dieser Welt in mir vereinen und nebenher noch ein ganzer Kerl sein, mit Geldverdienen und Intellekt und lange aufbleiben. Vor allem aber will ich auch meinem eigenen Mann gefallen. Doch auch der hasst meine Vulvahaare, während er sich selbst den Intimbereich rasiert.

Das Patriarchat und der „Male Gaze“ belasten so ziemlich jede Beziehung, die ich kenne. Meistens geht es um Windeln, Rentenpunkte und darum, wer länger alleine ausgehen darf. Ich weiß, wie glücklich ich mich schätzen kann, dass ich mit meinem Mann nicht über meine Arbeitszeiten oder die Spülmaschine diskutieren muss. Dafür führen wir einen Schamhaarehekrieg.

Wie politisch darf das Private werden, bis ich es nicht mehr aushalte?

Ich könnte mich einfach wieder rasieren. Es war doch nur ein Experiment. Wenn mir allerdings bloß wegen dieser Haare die Zuneigung entzogen wird, dann werde ich trotzig. Ich will gemocht werden, weil ich ich bin. Nicht, weil ich mich der Konvention gebeugt habe. Mein Mann gibt sich auch wirklich Mühe damit. Weil da auch Gefühle füreinander sind. Aber die reichen nicht aus, um meine krausen Haare unter seiner Handfläche wirklich liebzugewinnen. Dabei versucht er es so sehr. Gleichzeitig kann ich mich nicht rasieren, solange wir beide unsere konventionellen Denkmuster nicht neu eingestellt haben. Wozu wäre der jahrelange Verzicht auf eine Rasur, die ich mir so wünsche, sonst gut gewesen?

Neben den Nachrichten von ein paar Männern, die mir schreiben, dass sie mich auch mit Schamhaar nehmen würden, gibt es übrigens auch ernst zu nehmende Haar-Fans und allerlei Ermutigungen. Die kommen hauptsächlich von Frauen, Feministinnen und Feministen. Ich habe junge Frauen an meiner Seite. Girls, die im Berliner Prinzenbad oben ohne rumlaufen. Mit Pixie-Frisuren, tätowiert bis unter die behaarten Achselhöhlen. So weit das Klischee. Aber auch langhaarige Elfen mit teuren Shellac-Nägeln und 300-Euro-Slippern lassen wachsen. Doch was, wenn der Trend endet? Wenn die „Tradwifes“ von Tiktok die Rasiermesser zücken und die Feministinnen der 2010er dann so alt aussehen wie die Emanzen in den Neunzigern?

Feminismus sollte auch Spaß machen. Gerade dann, wenn er so unter Druck steht wie im Moment. Wir durchleben gerade eine Backlash-Phase, in der Reproduktionsrechte zurückgenommen werden und unter dem Deckmantel des „Das wird man doch wohl noch sagen dürfen“ mit sexistischen Aussagen um sich geworfen wird, während sogar europäische Konzerne ihre Diversitätsprogramme aussetzen, um Trump zu gefallen. Diskriminierungen aller Art sind wieder auf dem Vormarsch und wie immer sind weiblich gelesene Personen besonders betroffen. Ich verstehe, dass wir Vorbilder brauchen, zum Demonstrieren auf die Straße müssen und in den Kommentarspalten auf Instagram kämpfen.

Mit anderen Worten: Mich zu rasieren, fühlt sich wie ein Verrat an all denen an, die gerade jetzt besonders Rückhalt brauchen. Ich merke das besonders stark bei öffentlichen Auftritten und Lesungen. Da kommen Menschen, die sich angenommen und gesehen fühlen wollen, auch wenn sie nicht der Norm entsprechen. Weiblich gelesene Personen, die Schutzräume suchen, in denen wir über Schwangerschaftsabbrüche, Körperbildstörungen und schlechten Sex sprechen können. Es sind Momente, in denen sie nicht performen und gefallen müssen und in denen Verletzungen und Gewalterfahrung nicht als Schwäche interpretiert werden.

Aber rettet es die Welt, wenn ich mich gegen etwas stemme, das uns schon längst überrollt hat? Gegen Schönheitsideale, die allgegenwärtig sind? Genauso wie auf die Rasur, verzichte ich bis heute auf eine Brust-Op, auf die Kosmetikerin, das Facial, Friseurtermine, Botox, ein Augenlifting. Nur, weil ich weiß, dass die Leute in diesem ganzen Plastikrotz, den sie jeden Tag sehen, eine brauchen, die noch nicht ihr gesamtes Geld für Beauty ausgibt. Diese Welt erfordert, dass unsere Kunst, unsere Arbeit und das Private politisch sind. Doch wie politisch darf mein Privatleben werden, bis ich es nicht mehr aushalte?

Muss ich meinen Traum von einer glatten Vulva wirklich dem Feminismus und der Erziehung meines Mannes opfern? Ich finde, ich sollte mich einen Sommer lang rasieren dürfen, ohne jemandem die Hoffnung zu rauben. Es wäre nicht das Ende der Revolution.