Es ist die nächste Etappe dieses kometenhaften Aufstiegs: Erst im Sommer wurde der 19 Jahre alte Flügelstürmer des 1. FC Köln Torschützenkönig bei der U-19-WM. Er hatte da noch keinen einzigen Profieinsatz, und trotzdem lockte Brighton mit einem Angebot schon mit einem Wechsel in die Premier League. Ganz Köln ist inzwischen mit einem außer Kontrolle geratenen El-Mala-Fieber infiziert.
„Er hat noch Schritte zu gehen“
Im Alter von 15 Jahren wurde er nämlich bei der Borussia aus dem Nachwuchsleistungszentrum (NLZ) aussortiert, nun kehrt er als heißester Aufsteiger der Liga zurück. Die Dramaturgie dieser Said-El-Mala-Show ist beinahe so mitreißend wie sein Spiel auf dem Rasen. Dabei war El Mala bisher nur 340 Bundesligaminuten im Einsatz, was nicht einmal vier vollständigen Partien entspricht.
Noch während der Länderspielphase im Oktober hat Nagelsmann auf die Frage nach dem Umgang mit jungen Spielern betont, dass er „wenig von diesem extrem frühen Hypen“ hält, und erklärt: „Wenn ich mal El Mala nehme – der ist ein super Spieler und wird sicherlich auch ein Topspieler“, aber: „Er hat noch Schritte zu gehen.“ Nun hat der Bundestrainer selbst die nächste Stufe des Hypes gezündet.
Fachlich ist das schon nachvollziehbar, denn El Mala ist nicht einfach nur talentiert und gut in Form, sein Spiel verbreitet eine Magie, die sich nicht trainieren lässt. Wenn der gebürtige Krefelder auf dem linken Flügel angespielt wird, erwacht ein geheimnisvoller Glaube im Rhein-Energie-Stadion. Tänzelnd setzt El Mala dann oft zu seinem typischen Move an, am liebsten scheint er sich nicht nur durch einen oder zwei, sondern sogar durch drei Gegenspieler hindurchschlängeln zu wollen. Weil er das kann.
Die 340 Einsatzminuten verteilen sich auf neun Partien, nur zweimal stand er in der Startelf. Das reichte für vier Tore und zwei Torvorbereitungen sowie für einen eigenen Song, den die Fans singen: „Na-na, na-na, na-na, na-na-na-na now-Said-El-Mala-El-Mala-Said-El-Mala-a“ nach der Melodie des Stücks „Give It Up“ von KC & The Sunshine Band.
Vergleiche zu Ikone Lukas Podolski
Zudem laufen bei Spotify bereits drei mitunter witzig getextete und gut klingende Lieder, die El Mala huldigen, während die Transferjournalisten zigtausend Klicks mit allerlei Gerüchten und Halbwahrheiten generieren. Die Maschine läuft unter Vollgas.
Selbstverständlich werden längst Vergleiche zur kölnischen Fußballikone Lukas Podolski gezogen, die nicht allein auf der im Klub seit vielen Jahren bestehenden Sehnsucht nach einem neuen Supertalent beruhen. El Mala ist der erste Kölner seit dem jungen Poldi, der diesen mysteriösen Glauben an das Unwahrscheinliche entstehen lassen kann. Wie haltbar dieser Zustand ist, muss sich noch zeigen, aber es gibt Hinweise darauf, dass es sich um eine Fähigkeit handelt, die von Bestand sein könnte.

Denn El Mala kann sich gegen Widrigkeiten behaupten, erzählt Dennis Granata, der El Mala in einer schweren Phase kennenlernte. Der Rauswurf in Gladbach sei „zunächst hart für ihn“ gewesen, so ein NLZ sei schließlich ein Ort, „wo sich viele Jungs einen Lebenstraum erfüllen“.
Dort sei Said „herausgerissen worden“, sagt Granata, unter dem El Mala später in der U 17 beim TSV Meerbusch trainierte. Der große Traum war geplatzt, mit 15 hatte El Mala die Freude am Fußball verloren. „Ich wusste nicht, was ich tun sollte“, hat El Mala dfb.de erzählt.
„Geiler Versuch, weiter geht’s!“
Geteilt hat er seine Trauer mit seinem 14 Monate älteren Bruder Malek, der 2021 ebenfalls nicht mehr erwünscht war im Gladbacher Fohlen-Stall. Said wollte aufhören, wurde aber von seinem Bruder zu einem gemeinsamen Wechsel nach Meerbusch überredet. „Ohne Malek hätte ich vermutlich irgendeine Ausbildung angefangen“, sagt Said, der nun langsam seine Spezialkraft wiederfand.
Der El-Mala-Move funktioniere nämlich nur, „wenn Said sich im Team wohl fühlt, wenn er weiß, dass die anderen Jungs ihn auffangen, und wenn er einen Fehler macht, sagen: geiler Versuch, weiter geht’s!“ Dieser Zustand ist fragil, wenn nach zwei Ballverlusten 30 NLZ-Eltern brüllen: „Spiel doch ab!“ In Meerbusch kam die Leichtigkeit zurück.
„Wir haben dort versucht, den Leistungsgedanken mit der Idee zu verbinden, dass die Jungs in den Teams menschlich gut zusammenpassen“, erzählt Granata, der immer noch einen engen Kontakt zu Said pflegt. „Es sind dort viele Freundschaften entstanden. Die Jungs haben auch außerhalb des Fußballs viel Zeit miteinander verbracht.“
So eine Erfahrung, sich auf einem schwierigen Umweg durchgesetzt zu haben, fehlt vielen anderen Profis, die immer zu den Stärksten in den besten Teams gehörten und während ihrer gesamten Teenagerzeit von Beratern und Nachwuchschefs großer Klubs getätschelt worden sind.
„Da konnten wir uns ausprobieren“
Aber nicht nur dieser Umweg durch die dunkleren Bereiche des Jugendfußballs macht El Mala besonders. Der in Krefeld geborene Sohn einer Deutschen und eines Libanesen hat sich diese Bolzplatz-Attitüde bewahrt, die im modernen Ausbildungsbetrieb schnell verkümmert und die gerade mühsam mit der „Trainingsphilosophie Deutschland“ des DFB ganz offiziell eine Renaissance erfahren soll.
„Als wir nicht mehr im NLZ gespielt haben, waren wir häufiger mit Freunden nach der Schule noch zusätzlich zum Vereinstraining auf dem Bolzplatz“, hat Malek vor einiger Zeit dem Kölner Vereinsmagazin „Geißbock-Echo“ erzählt. „Da konnten wir uns ausprobieren, viel dribbeln und in Eins-gegen-eins-Situationen gehen.“
Möglich war das durch den nicht mit fünf Übungseinheiten pro Woche geprägten Alltag beim TSV Meerbusch, der sich als recht spezieller Klub unterhalb der NLZ-Welt etabliert hat. Die Jugendabteilung dort wird von dem früheren Bundesligatrainer Norbert Meier geleitet, die Söhne des ehemaligen Nationalspielers Gerald Asamoah und der prominenten Trainer Xabi Alonso (ehemals Leverkusen), Christian Titz (Hannover 96) und Armin Reutershahn (unter anderem Ko-Trainer in Dortmund und Frankfurt) spielen oder spielten für den TSV.
Hier konnten sich Malek und Said El Mala von dem in Gladbach erlittenen Karriereschock erholen und zusammen kicken. „Die beiden haben eine wahnsinnig enge Verbindung“, sagt Granata. „Sie machen wirklich alles zusammen, wohnen zusammen, unterstützen sich gegenseitig, sind ein großer Rückhalt für den anderen. Familie steht ganz oben, ist ganz, ganz wichtig.“
„Da musst du ja verrückt sein“
Auch in Meerbusch war das Bruderpaar recht prominent, die Jungs aus Gladbach eben. Aber eine Profizukunft zeichnete sich lange nicht ab. Granata berichtet von einem „Gespräch auf der Anlage des SC St. Tönis in Krefeld“ mit Said, in dem es um die Zukunft ging. Das erste Jahr in Meerbusch war okay, „aber noch nicht das, was er sich vorgestellt hat“, erinnert sich der Trainer, der heute die U 19 im Nachwuchszentrum des FC Ingolstadt 04 betreut.
Dort habe El Mala gesagt: „Dennis, ich möchte noch mal richtig angreifen, ich weiß, dass ich noch viel mehr auf die Straße bringen kann.“ Der Trainer und das Talent haben einen Plan geschmiedet: „Wir haben das ganze Jahr sehr leistungsorientiert aufgebaut und sind dann einfach mit der U 17 gemeinsam durchgestartet“, erzählt Granata.

Obwohl Meerbusch an der Grenze zwischen Rheinland und Ruhrgebiet von etlichen großen Klubs umgeben ist, war Viktoria Köln in dieser Zeit „der einzige Verein, der in uns etwas gesehen hat“, sagt Said über sich und seinen Bruder. Es folgte 2023 der gemeinsame Wechsel in die dortige U 19, schon nach einem halben Jahr kam Said erstmals bei den Profis in der dritten Liga zum Einsatz.
Von seinem ersten Tor wird immer noch geschwärmt im rechtsrheinischen Stadtteil Höhenberg: Während seines vierten Einsatzes traf er mit einem Schuss von der Torauslinie. „Da musst du ja verrückt sein, von dort auf die Idee zu kommen, aufs Tor zu schießen“, sagte der damalige Trainer Olaf Janßen.
El Mala? „Absolut kein Interesse“
Berichten zufolge sind die El Malas zuvor auch den Gladbachern noch einmal angeboten worden. Das vom DuMont-Verlag betriebene und auf die Borussia spezialisierte Portal „Gladbach live“ gibt an, „aus dem Umfeld von El Mala erfahren“ zu haben, dass der damalige Nachwuchschef Roland Virkus jedoch erklärt habe: „Absolut kein Interesse – wir haben die beiden nicht umsonst aussortiert.“
Auf Nachfrage wollen die Gladbacher diese Erzählung weder bestätigen noch dementieren. Allerdings schwingt dieser Vorgang mit, wenn der FC am Samstagabend zum Derby nach Mönchengladbach reist. Schließlich kennen die Kölner sich aus mit verpassten Chancen dieser Art. El Mala ist im FC-Universum auch ein riesengroßes Aspirin zur Bekämpfung dieses weiterhin in der Stadt pulsierenden Florian-Wirtz-Schmerzes.
Malek spielt derzeit in der Regionalligamannschaft des FC, wo er schon fünf Tore erzielt hat, und Said wurde von Sportchef Thomas Kessler mit einem bis Mitte 2030 laufenden Vertrag ohne Ausstiegsklausel ausgestattet. „Machen wir uns nichts vor. Wir wissen, dass er wahrscheinlich nicht die nächsten 15 Jahre hier spielen wird“, sagt der Trainer Lukas Kwasniok. „Wir müssen ihn behutsam aufbauen – und irgendwann unfassbar teuer abgeben.“
„Ich traue Said El Mala alles zu“
Fußballerisch sind tatsächlich noch Defensivschwächen sichtbar, und Dribbler, deren Tricks von richtig guten Verteidigern studiert werden, müssen eine große Vielseitigkeit entwickeln, wenn sie sich dauerhaft auf dem höchsten Niveau etablieren wollen.
Dennis Granata zweifelt aber nicht an seinem früheren Spieler: „Said ist emotional, aber nicht zu emotional, bodenständig und überhaupt nicht abgehoben, was auch mit dem Elternhaus zu tun hat. Das sind gute Voraussetzungen für die weitere Entwicklung, deshalb traue ich ihm alles zu.“
