Sängerin Rosalía und der Vatikan: Jeden Abend ein „Vater unser“ – Kultur

Rosalía hat sich letztens auf die Couch gelegt, bei keiner Geringeren als der Urenkelin Sigmund Freuds, der britischen Modedesignerin Bella Freud. In deren Podcast „Fashion Neurosis“ erzählte der spanische Popstar nicht nur, dass sie am besten im Liegen ihre Songs schreiben kann, die zu dem Aufregendsten zählen, was Popmusik gerade zu bieten hat. Sondern auch, dass sie Hilfe von ganz oben hat. Sie fühle sich beschützt und geführt durch ihren Glauben, sagt Rosalía, sie bete jeden Abend ein „Vater unser“ zum Einschlafen. Und sieht sie eine Vogelfeder auf der Straße, erzählt Rosalía, ist es ihr ein Zeichen, dass ein Schutzengel gerade ganz nah ist.

Ihr Erfolg gibt ihr recht. Rosalías vor drei Wochen erschienenes Album „Lux“ wird so hoch gelobt wie schon das 2022 erschienene, gänzlich andere „Motomami“.  Das neue ist eine Suche nach dem Spirituellen, und zwar schon konkret nach dem Katholischen. Rosalía ist auf dem Cover in einem nonnenhaften, weißen Schleier zu sehen, die maximalistischen Chöre und Streicher haben etwas Kirchliches, die Texte manchmal auch. „Reliquia“ („Reliquie“), Divinize („Vergöttern“), „Mio Cristo Piange Diamanti“ („Mein Christus weint Diamanten“), „Dios Es Uun Stalker“(„Gott ist ein Stalker“) heißen einige der Songs. Im weniger heilig betitelten „Sexo, Violencia y Llantas“ („Sex, Gewalt und Motorradreifen“) fragt Rosalía: „Wie kann man nur in diesem Zwischenstadium leben, einerseits die Welt lieben, aber zugleich auch Gott?“

Rosalía, 33, hat mit solchen Glaubensfragen neuerdings den Segen des Vatikans. Kardinal José Tolentino de Mendonça,  der im Vatikan die Behörde für Kultur und Bildung leitet, sagt: Rosalía greife „ein tiefes Bedürfnis der zeitgenössischen Kultur nach Spiritualität auf, sie betont die religiöse Erfahrung als fundamentale Erfahrung der Menschlichkeit“.

Auch der Bischof aus Rosalías katalanischer Heimat hat sich mit der religiösen Dimension ihrer Musik beschäftigt. In einem offenen Brief an die Sängerin schrieb Xabier Gómez García durchaus zweifelnd: „Ich schaffe es nicht, dich zu verstehen, aber ich würde es gerne tun.“ Einige der neuen Songs seien „provokativ“, aber der Bischof erkennt an, dass sie „mit absoluter Freiheit und ohne Vorbehalte darüber spricht, was sie unter Gott versteht“. Er erwähnte außerdem, dass Rosalías Großmutter oft zur Messe kommt. Als Beleg vielleicht, dass das mit dem Nonnenschleier nicht, wie bei anderen Stars, nur ein Spiel mit dem katholischen Style ist.

„Das Album des Jahres, vielleicht des Jahrzehnts.“

Das Katholische und seine dramatische Ästhetik aus Weihrauch und Prunk ist kein neues Phänomen im Pop. Madonna ließ in den Achtzigerjahren Kreuze brennen in ihrem Musikvideo zu „Like a Prayer“ und ist heute so großer Fan von Rosalía wie der Musical-Erfinder Andrew Lloyd Webber, für den „Lux“ das „Album des Jahres, vielleicht des Jahrzehnts“ ist. Kourtney Kardashian heiratete 2023 in Italien im katholischen Stil. Die Trauung wurde ohne Pfarrer und Gotteslob vollzogen, stattdessen ließ Domenico Dolce von Dolce & Gabbana auf seinem Anwesen in Portofino eine nachgebaute Kirche errichten.

Solchen sakralen Kitsches ist Rosalía keinesfalls verdächtig, ist sie doch eine, die alles aufs Feinste miteinander vermischt. In 14  Sprachen singt sie in „Lux“, auf Deutsch, Japanisch, Arabisch unter anderem, und teilweise in Opernarien, mit satter orchestraler Unterstützung oder zu Hip-Hop-Beats. Und ja, neuerdings trägt sie einen in ihr Haar geblichenen Heiligenschein am Kopf. Da ihr aber nichts wichtiger ist, als sich nicht zu wiederholen, dieselbe Musik nicht zweimal zu machen, wie sie ebenfalls bei Bella Freud erzählt, kann man mit einiger Sicherheit davon ausgehen, dass Rosalías nächstes Album den Vatikan schon nicht mehr ganz so sehr interessieren wird.