Er ist in Alt-Sachsenhausen bekannter als – sagen wir – die Frankfurter Wirtschaftsdezernentin. Gut, der Vergleich ist aus der Luft gegriffen, aber andererseits passt er gar nicht so schlecht. Denn auch Wolfgang Holzer hat sein Berufsleben der Wirtschaft gewidmet, genauer: den Sachsenhäuser Apfelweinwirtschaften.
Fast 30 Jahre zog er als Brezelbub „Wölfi“ seine Runden durch die Lokale und versorgte die Schoppepetzer mit Brezeln, Käse- und Schinkenstangen, Kokosmakronen und natürlich „Haddekuche“, jener hessischen Lebkuchenvariante, die wie die Ebbelweigläser mit einem Rautenmuster verziert ist.
Seine Ware bezog „Wölfi“ von der Sachsenhäuser Traditionsbäckerei Hanss. Mit vollem Weidenkorb machte er sich dienstags bis samstags auf die abendliche Tour durch die Wirtschaften an der Klappergasse, der Kleinen und der Großen Rittergasse. Die Brezelverkäufer hatten Sachsenhausen unter sich aufgeteilt, jeder hatte seine Revier. Inzwischen wird das nicht mehr so eng gesehen, denn es gibt immer weniger Brezelbuben. Vor zwanzig Jahren seien es zehn gewesen, jetzt nur noch zwei, erzählt Holzer in weichem Frankfurter Dialekt.
Hauptgrund dafür sind die Veränderungen in der Gastronomie und bei den Ausgehgewohnheiten. Ursprünglich gab es in den Ebbelweilokalen vor allem, wonach sie benannt sind: Apfelwein. Mehr wollten die meisten Gäste auch nicht, denn nach Sachsenhausen ging man nicht zum Dinieren, sondern zum Trinken, Babbeln, Kartenspielen und vielleicht für einen Handkäs. Gegen den Hunger kam der Brezelbub – unübersehbar durch den weißen Kittel und unüberhörbar durch die Fahrradklingel am Henkel des Korbs.
Gegen den Hunger kam der Brezelbub
Längst haben auch Apfelweinlokale ausführliche Speisekarten, in den vergangenen zehn, zwanzig Jahren sind außerdem die Ansprüche gestiegen. Die Gäste trinken weniger, erwarten aber, dass ihnen kulinarisch etwas geboten wird, und sind bereit, dafür entsprechend zu zahlen. Aber nach einem Drei-Gang-Menü mit anschließendem Espresso passt eben keine Brezel mehr hinein.
Natürlich hätte „Wölfi“ trotzdem weitermachen können. Er hat eine treue Kundschaft, wird mit einem herzlichen „Gude“ begrüßt, und nicht nur die Damenstammtische freuen sich, wenn er ab und zu „einen Witz aus der untersten Schublade“ zieht, wie er mit schelmischem Lächen erzählt.
Mit den Wirten ist er befreundet, sie wissen, dass er einer der Originale ist, die den Charakter des Apfelweinquartiers ausmachen und behandeln ihn dementsprechend. Als er vor einem Jahr seinen Achtzigsten feierte, da spürte er dennoch, dass die Zeit für den Ruhestand gekommen ist.
Zeichnungen vom Frankfurter Original
Geboren wurde Holzer 1943 in Oberrad. Er war noch ein Kleinkind, als die Familie ausgebombt wurde und aufs Land fliehen musste. Heute wohnt der gelernte Kaufmann mit seiner Partnerin in Nauheim im Kreis Groß-Gerau, aber dem Frankfurter Ebbelweiviertel ist er immer verbunden geblieben, seit 1995 als Brezelbub. Die Arbeit sei durchaus anstrengend gewesen, erinnert er sich. „Als Brezelbub hast du immer Druck.“ Die gut 100 Teile im Korb müssen unter die Leute gebracht werden, denn am nächsten Tag will sie keiner mehr.
Eine Zeit lang hatte Holzer auch einen Laden: In der „Sachsenhäuser Bembelstubb“ verkaufte er unter anderem Holzbrandkunst – mit heißer Nadel in Holz gravierte Werke, die er zusammen mit seinem verstorbenen Freund Willi Rinkart fertigte. Auf das Zeichnen ist er jetzt, da er Kittel und Weidenkorb an den Nagel gehängt hat, wieder zurückgekommen.
In Sachsenhäuser Lokalen und auf dem Markt im Hof an der Wallstraße verkauft er seine Bilder. Die kleinformatigen Aquarelle und Collagen zeigen, was er und viele andere an Sachsenhausen lieben: Bembel und gerippte Gläser, Gemütlichkeit unter dem Fichtenkranz. Und natürlich auch einen Brezelbuben mit weißem Kittel und Weidenkorb.