Rudi Bommer übt Kritik an DFB und BFV im Nachwuchsfußball: „Wir werden keine Brasilianer“ – Sport

Früher hat Rudi Bommer vor allem seine Füße gebraucht, heute braucht er in erster Linie seine Hände. Die Zeiten, in denen er selbst auf dem Rasen gestanden hat, liegen lange zurück, Bommer spielt schon seit 1997 nicht mehr. Und so, könnte man annehmen, haben seine Hände den Füßen mittlerweile den Rang abgelaufen. Ohne sie kann Bommer nicht über Fußball sprechen.

Rudi Bommer, 67, spreizt die Finger. Er will jetzt erklären, wie dogmatisch der Spielaufbau vieler Mannschaften geworden ist. Es ist zwar nur ein Detail, ein Mikro-Ausschnitt aus einer breit angelegten Lehre. Doch an ihr zeigt sich exemplarisch, warum Bommer ein derart scharfer Kritiker der Jugendarbeit ist, die der Deutsche Fußball-Bund (DFB) und der Bayerische Fußball-Verband (BFV) betreiben. Bommer spreizt also die Finger. Der eine steht für den rechten Innenverteidiger, der andere für den linken. Mit der zweiten Hand stellt Bommer die Ballzirkulation nach.

„Es gibt Vorgaben, dass rausgespielt werden muss, egal, was passiert“, sagt Bommer und schlägt dabei einen derart süffisanten Ton an, dass man meint, Bommer stelle noch die Frage: Warum denn eigentlich? Was soll das?

Bommer weiß, wie es wirkt, wenn er sich über solche Dinge auslässt: dass er wie ein Gestriger daherkommen könnte, dass er, dessen Hoch-Zeiten als Spieler schon lange zurückliegen, einfach nicht mehr Schritt halten kann mit all den neumodischen Anwandlungen. Und dass er offenbar verbittert ist, weil inzwischen Mittdreißiger in den großen Stadien dieses Landes an der Seitenlinie stehen, während langjährige und erfolgreiche Bundesligaspieler wie er kaum noch gefragt sind. Bommer sagt deshalb vorsorglich dazu: „Früher war nicht alles besser, es war aber auch nicht alles schlechter. Und genauso ist heute nicht alles gut.“

Er selbst habe keinerlei Ambitionen mehr auf einen Posten und beobachte den Fußball nur noch. Wenn er aber Fehlentwicklungen erkenne, steche er auch mal ganz bewusst, wie Bommer es formuliert, „ins Wespennest“. Um anzuregen. Um aufzurütteln. Und um anzustoßen.

Es geht ihm nicht nur um seinen eigenen Kosmos, sondern um etwas Grundlegendes

Dabei würde er gerne auch von innen gegensteuern. Bommer ist Jugendtrainer beim Regionalligisten Viktoria Aschaffenburg, weil sein Enkel inzwischen in der U13 spielt. Aber durch die Vorgaben des Verbands sind ihm die Füße gebunden, weil es sich um ein BFV-Nachwuchsleistungszentrum handelt. In den „Richtlinien für die Errichtung eines BFV-Nachwuchsleistungszentrums“ heißt es: „Die Trainings- und Spielmethodik unterliegt dem Ausbildungskonzept des BFV.“ Aber Bommer geht es nicht nur um seinen eigenen Kosmos, sondern um etwas Grundlegendes. Um den generellen Irrweg, den der deutsche Nachwuchsfußball in seinen Augen eingeschlagen hat.

„Schon bei Verteidigern“, sagt Bommer, „wird vor allem darauf geachtet, dass sie technisch versiert sind. Und am Ende landen sie nicht oben.“ Wäre es da – wieder eine solche Frage, die Bommer stellt, ohne sie überhaupt auszusprechen – wäre es da nicht sinnvoller, die Verteidiger in Verteidiger-Tugenden zu schulen, mit denen sie es am Ende dann vielleicht doch in den professionellen Fußball bringen?

Zwischen 1976 und 1997 hat Bommer mehr als 450 Erst- und Zweitligaspiele für Fortuna Düsseldorf, Eintracht Frankfurt, Bayer Uerdingen und Viktoria Aschaffenburg bestritten. Mit der Fortuna gewann er zweimal den DFB-Pokal und brachte es sogar zum Nationalspieler. Bei der EM 1984 lief Bommer für Deutschland auf, später wurde er Trainer und betreute unter anderem den TSV 1860 München, Wacker Burghausen, den MSV Duisburg und Energie Cottbus. Inzwischen steht Bommer nur noch ein paar Mal die Woche bei der Mannschaft seines Enkels auf dem Rasen. Die Arbeit bereite ihm grundsätzlich viel Freude, weil er etwas bewegen könne und die Kinder etwas lernen wollten und sich formen ließen – im großen Ganzen laufe aber etwas schief.

„Wir haben uns erst die Neuner abtrainiert, dann haben wir uns die Sechser abtrainiert, wollen wir uns jetzt auch noch die Torhüter abtrainieren?“

Falsche Schwerpunkte in der Ausbildung, zu wenige Ex-Profis und damit ein erheblicher Wissensverlust – und Trainer im Nachwuchsbereich von Bundesligisten, die eher ihre eigene Karriere im Sinn haben als die Lehre: Die Probleme sind in Bommers Augen derart vielschichtig, dass er sich im Gespräch schon mal verzettelt und von einem ins nächste kommt. Die springenden Punkte sind für ihn aber, dass Trainer oft fehlgeleitet sind – und dass der DFB und der BFV aus den Augen verloren haben, was Deutschland über Jahrzehnte ausgemacht hat: Grundtugenden, Physis, außergewöhnlich gute Torhüter.

Sobald Bommer am Kern seiner Kritik angelangt ist, sagt er also: „Wir springen gerne auf Züge auf.“ Und das sei ein Problem. „Wir haben deutsche Tugenden. Warum übernehmen wir alles von anderen? Wir werden keine Brasilianer. Da können wir noch so viel trainieren, das werden wir nicht schaffen.“ Wie sinnvoll ist also beispielsweise Funino, die Drei-gegen-drei-Spielform im Kinderfußball, bei der auf vier kleine Tore ohne Torhüter gespielt wird?

„Wir haben uns erst die Neuner abtrainiert, dann haben wir uns die Sechser abtrainiert“, sagt Bommer, „wollen wir uns jetzt auch noch die Torhüter abtrainieren?“ Es ist eine Frage, die er tatsächlich ausspricht. Und davon hat Rudi Bommer gerade ziemlich viele.