Im nun neu übersetzten Roman „Der Held der See“ (veröffentlicht beim Schweizer Verlag Kein & Aber) fließt weniger Blut, doch Mishima geizt nicht mit Grausamkeit. Denn der 13-jährige Noboru ist stolz auf sein hartes Herz.
Er hat feste Vorstellungen von Ruhm und Ehre, der Ästhetik von richtig und falsch, und ist Teil einer Freundesgruppe, die sich „in Gefühllosigkeit übt“. Regelmäßig treffen sie sich, um sich der Sinnlosigkeit des Lebens mittels grausiger Mutproben wie dem Töten eines Kätzchens zu versichern. Ihre Glaubenslehre entstammt einsamen Kinderköpfen, das macht Mishima deutlich.
Doch sie ist denen der Erwachsenen anverwandt. Denn Ryuji, der ernste Seemann, träumt ebenfalls von einem ruhmreichen Tod. Und eigentlich, so glaubt er immer noch, wird sich eines Tages „eine lichtgesäumte Wolke herabsenken, und die volltönende Stimme des Ruhmes wird aus der Ferne laut meinen Namen rufen“. Doch das Leben auf See ist eintönig, und schließlich lernt Ryuji Noborus Mutter kennen. Als er ihr zuliebe fortan an Land lebt, hat er sich in Noborus Augen in tiefe Schande begeben und verdient den Tod.
Einblicke in die männliche Psyche
So weit, so Coming of Age. Doch Ryuji legt die Ideale, die ihn mit Noboru verbinden, nicht gänzlich ab: „Wie berauscht träumte Ryuji von einem erhabenen, heldenhaften und beispiellosen Tod vor aller Augen“. Ob das einen Tod durch sechs jugendliche Messerstecher einschließen würde, bleibt ungewiss.
Was Yukio Mishima in seinen Romanen gewährt, sind Einblicke in die Psyche. Es muss einem nicht gefallen, worauf da der Blick gelenkt wird, auf jenes Zusammenspiel zwischen Ästhetizismus und der Faszination für das Böse, die bei Mishima regelmäßig in einem starken Todeswunsch gipfeln. Doch es sind ehrliche, authentische Einblicke, die zudem durchaus in poetische Sprache gekleidet sind.
Mishimas Biografie weist einige Brüche auf. Dass er auch eine UFO-Phase hatte und eine Erzählung über Aliens schrieb, gehört noch zu den weniger seltsamen Episoden seines Lebens. Mishima, durch die Niederlage Japans im Zweiten Weltkrieg politisiert, war Nationalist. Unzufrieden mit der politischen Lage und der „Verwestlichung“ Japans, unternahm er 1970 mit seiner Privatmiliz „Tatenokai“ einen Putschversuch, um den Kaiser wieder an die Macht zu bringen. Als der kläglich scheiterte, beging Mishima Selbstmord mit dem Schwert.
Mishimas rechtsnationale Gesellschaftskritik findet sich mehr noch als in seinen Romanen in seinen essayistischen Texten. In „Verteidigung einer Kultur“ betont er die Wichtigkeit des Kaisers in seiner gottähnlichen Position, in der Zusammenführung von Volk und Staat. Er warnt vor der Verwässerung der japanischen Kultur durch den Westen und spricht sich für eine Aufrüstung der schändlich schwachen Armee aus.
Mishima-Shirts im rechten Online-Shop
Nationalismus, Globalisierungskritik, Todessehnsucht – alles Themen, die Anklang finden auch bei europäischen Rechtsextremen. Die entdecken denn auch Mishima seit einiger Zeit wieder für sich. Im rechten Online-Shop „Phalanx“ werden T-Shirts mit Mishima-Porträt angeboten und Poster, „die in keinem neurechten Haushalt fehlen dürfen“. „You only die once“ steht darauf, und in der Beschreibung: „Such dir gut aus wofür.“
Auch Martin Sellner, lange Zeit Sprecher der Identitären Bewegung Österreichs, outete sich als Fan. „Mishima und Todessehnsucht am Morgen“, postete er so einmal auf dem damals noch Twitter heißenden Portal X.
Im Nachwort zu „Der Held der See“ wird die wachsende Popularität Mishimas unter Rechtsextremen immerhin angesprochen. Die Strategie bestehe darin, rechtspopulistische Positionen mithilfe einer literarischen Ikone wie Mishima salonfähig zu machen, schreibt die Übersetzerin Ursula Gräfe. Ein Schicksal, das der Japaner mit Friedrich Nietzsche teile, der von einer rechtspopulistischen Szene als „vermeintlicher“ ideologischer Vordenker „instrumentalisiert“ werde.
Alles also nur ein Missverständnis? Mishima sprach sich für den Einklang von Kunst und Tat aus, für die Harmonie zwischen Feder und Schwert, die auch für Ernst Jünger so wichtig war.
Mannwerdung durch Sport
In „Sonne und Stahl“, einem kruden, pathosgeladenen Buch, erzählt Mishima von seiner Mannwerdung durch Sport. Dass er vor seinem exzessivem Muskelaufbau selbst eher schmächtig war, vermutet man auch nach der Lektüre seiner literarischen Texte. In den als semiautobiografisch geltenden „Bekenntnissen einer Maske“ träumt der junge Kochan vom Sterben für eine höhere Sache, protestiert jedoch nicht, als er aufgrund einer Krankheit aus dem Militärdienst entlassen wird. Mishima wurde 1945 ebenfalls irrtümlicherweise ausgemustert.
Kochan ist zerfressen von Selbsthass, der vor allem in seiner nicht gelebten Homosexualität begründet liegt. Er entwickelt früh eine Obsession für den Heiligen Sebastian, dessen Bildnis, halbnackt und von Pfeilen durchbohrt, von vielen „Perversen“ verehrt wird, wie Mishima schreibt. Es existieren ziemlich campy aussehende Aufnahmen von Mishima in der gleichen Pose. Andere Fotos, die in Schwulenmagazinen abgedruckt wurden, zeigen den nur mit einem Lendenschurz bekleideten Autor im Schnee.
Dass sich die neue Rechte für einen mehr oder weniger offen homosexuell lebenden (Mishima war Ehemann und Vater) Autor begeistern kann, ist einigermaßen überraschend. Martin Sellner versieht seine Tweets daher auch vorsorglich mit dem Hashtag #nohomo. Doch die Rechte hat wohl auch eingesehen, dass sie, wenn sie Massenbewegung sein will, offen sein muss für brüchige Biografien. Rechtsextremes Gedankengut pulsiert längst nicht mehr nur durch soldatische Körper tumber Neonazis.
Wer sich im Internet radikalisiert, hat womöglich auch die ein oder andere Abzweigung in Richtung der Incels genommen. Incels, das sind unfreiwillig zölibatär lebende Männer. Wie Julia Ebner in ihrem Buch „Massenradikalisierung“ erklärt, verbindet die Incels vor allem eins miteinander: die Selbstqual. Ebner hat sich über Jahre undercover in einschlägigen Foren umgetan und beschreibt die Mechanismen, mit denen sich junge Männer gegenseitig niedermachen und ihren Hass auf Frauen und die Gesellschaft schüren. Nicht selten sind krasse, gewaltvolle Vorstellungen von Sexualität damit verbunden.
Trennung zwischen Autor und Werk?
Sexuell aufgeladene Gewaltfantasien gibt es auch bei Mishima. Im „Held der See“ geraten die recht mystisch: „Ihre bereits dicht und kräftig sprießenden Schamhaare, tief und fest in ihrer weißen Haut verwurzelt, dienten dazu, bei dessen Vergewaltigung den jungfräulichen Sternenhimmel zu kitzeln“. Zumindest weiß das der Anführer der Bande 13-jähriger Jungen.
Es ist ein Widerspruch, der im Kontext Mishimas nicht aufzulösen ist: In seinen Romanen ist es meist klar, dass es die Figuren sind, die nicht in ihre Umwelt, ihr Leben passen. Mishima selbst war wohl eher davon überzeugt, dass es das Leben war, das ihm nicht passte.
Als der Putschversuch scheiterte, beging Mishima rituellen Selbstmord
Man muss trennen zwischen Autor und Werk – aber was, wenn der Autor selbst auf diese Trennung gar keinen großen Wert zu legen scheint? Immerhin hat Mishima nicht nur seine Vergangenheit, sondern auch Aspekte seiner Zukunft literarisch verarbeitet.
Zwar ist es in „Patriotismus“, einer Erzählung von 1961, ein Ehepaar, das gemeinsam rituellen Selbstmord begeht, doch der Grund ist ein ähnlicher: der Putschversuch japanischer Streitkräfte im Jahr 1936. Als 1970 keine rebellischen Militärs in Sicht waren, putschte Mishima eben selbst. Nur das Sterben geriet nicht ganz so leicht wie in der Literatur. Es brauchte mehrere Anläufe, bis es Mishimas Gehilfen endlich schafften, ihm dem Kopf vom Rumpf abzutrennen.