Kein einziges Mal wird in „Bright Young Women“ der Name des Serienmörders genannt, der in den USA der siebziger Jahre mindestens dreißig Frauen tötete und dessen Bluttaten Vorlage geworden sind für zahlreiche Filme, Serien und Romane.
Auch Jessica Knolls Roman gäbe es nicht ohne die Morde, die jener Mann beging. Aber die Autorin geht bewusst nicht in die Falle, die in der Faszination für das Böse liegt, und ändert radikal sowohl die Perspektive als auch die Blickrichtung der Erzählung: Nicht der Gewalttäter steht im Zentrum ihres Buches, auch nicht die Gewalt.
Es geht im Gegenteil darum, den jungen Frauen, die jener Mann verletzte und tötete, Stimme und Gesicht zu geben. Knoll stützt sich auf die reale Geschichte einer Überlebenden; wie viel fiktionalisiert ist, bleibt unklar und spielt auch keine Rolle.
Durch die Hauptfigur Pamela und ihre Erfahrungen wird exemplarisch nicht nur die Ausnahmesituation erlebbar, in die Menschen geraten, die Opfer oder Zeugen einer Gewalttat werden, sondern wird auch die sexistische US-amerikanische Gesellschaft der siebziger Jahre vorgeführt.
Jessica Knoll: „Bright Young Women“. Aus dem Englischen von Jasmin Humburg. Eichborn Verlag, Köln 2024, 464 Seiten, 18 Euro
Der Mörder läuft frei herum
Im Sommer 1978 bricht am College von Tallahassee in Florida ein unbekannter Mann in ein Wohnheim für Studentinnen ein und greift die jungen Frauen brutal an. Vier Personen werden schwer verletzt, zwei von ihnen sterben. Zufällig sieht die Ich-Erzählerin Pamela den Täter, als er das Haus verlässt, weiß zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht, was geschehen ist. Später wird sie zu einer Hauptbelastungszeugin.
Vorerst aber läuft der Gewalttäter noch eine Weile frei herum und begeht einen weiteren Mord, bevor die Polizei ihn verhaften kann. Die Studentinnen leben derweil unter großer Anspannung; denn zwar wird ihnen von allen Seiten geraten, extrem vorsichtig zu sein, doch die offizielle Unterstützung bleibt extrem überschaubar. Weder finanzielle Hilfe noch psychologische Betreuung wird ihnen angeboten, und auch die blutbesudelten Zimmer der Opfer müssen die traumatisierten jungen Frauen ganz allein putzen.
Diese hauptsächliche Handlung wird ergänzt durch eine Rahmenhandlung, die im Jahr 2021 spielt, und durch eine weitere Erzählung, die zurückführt ins Jahr 1974 und ebenfalls in Ich-Perspektive gehalten ist, was man formal aus mehreren Gründen fragwürdig finden kann. Generell ist Knoll keine große Stilistin; aber der Spannungsaufbau stimmt, und tatsächlich erweitert und verdichtet sich durch diese Ich-Erzählung eines früheren Opfers desselben Mörders das gesellschaftliche Gesamtbild auf überzeugende Weise.
Für US-amerikanische LeserInnen (oder auch Menschen, die gern Serienmörder-Serien gucken), die mit den realen Details der historischen Fälle besser vertraut sein dürften, wird die Lektüre vermutlich den einen oder anderen Wiedererkennungseffekt bieten – oder die eine oder andere überraschende neue Erkenntnis.
Nicht überdurchschnittlich intelligent
Jedenfalls schreibt Jessica Knoll geradezu wütend gegen eine Mythisierung des Serientäters an, dessen gutes Aussehen und überdurchschnittliche Intelligenz in den Medien stets so hervorgehoben worden seien. Dabei seien seine akademischen Leistungen absolut unterdurchschnittlich gewesen, und auch sonst lasse sich keine besondere Intelligenz aus seinem Verhalten herauslesen.
Dass dieser Punkt im Roman immer wieder betont wird, wirkt fast ein bisschen komisch, weist aber deutlich darauf hin, dass es in der Tat eine Mythisierung gibt oder gegeben haben muss. Man will sich nur sehr ungern vorstellen, dass der Richter, der ihn verurteilte, jenen frauenhassenden Serienmörder „Kumpel“ genannt hat, aber vielleicht ist ja sogar das wirklich passiert.