
Rolf Schimpf gehörte zu einer Zeit, als in Deutschland das Fernsehen noch geholfen
hat. Genauer gesagt, er gehörte in die Zeit des Übergangs vom ehrgeizig behäbigen
Bildungsmedium zur Unterhaltungsmaschine für die Daheimbleibenden. Mehr oder
weniger erfunden worden ist er von dem Duo, das wie kaum ein Zweites diesen Übergang
initiierte: vom Autor Herbert Reinecker und vom Produzenten Helmut Ringelmann.
Sie standen für ein neues Produktionskonzept, in dem es nicht mehr allein um
die Besetzung von Rollen ging, sondern um Paketkonstruktionen, bei denen
Schauspieler, Regisseure und Stoffe genau aufeinander abgestimmt waren.
Und sie vermittelten in ihren Serien ein Gefühl der Behaustheit und der
wohligen Normalität, die es über ein paar Konflikte hinwegzuretten galt. Rolf Schimpf, das mussten die beiden gleich erkannt haben, hatte für diese Behaustheit
ein ideales Gesicht. Da ging es nicht wie heute beim Tatort um
Welterklärung oder Befindlichkeitsstudien, es genügte, wenn da einer regelmäßig
erschien, seine Arbeit machte und dabei irgendwie ein netter Kerl blieb. Dann
wusste das Publikum: Man war zu Hause.
Nach
etlichen Nebenrollen, in denen Schimpf immer der Nichtbesondere war, strickten
Reinecker und Ringelmann im Jahr 1984 eine Serie um einen Witwer mit vier Töchtern, der nach
seiner Entlassung versucht, ein eigenes Unternehmen auf die Beine zu stellen.
Das geht so lange daneben, bis von irgendwoher netterweise das größere Geld
kommt. Rolf Schimpf
erwies sich in den sechs Folgen der Serie Mensch Bachmann als derart populär, dass
man die Serie trotz ihres Erfolges einstellte, weil der Hauptdarsteller für größere
Aufgaben auserwählt wurde. Man machte ihn 1986 zum Nachfolger von Siegfried Lowitz
in der seit 1977 laufenden ZDF-Kriminalserie mit dem programmatischen Titel Der Alte. In dieser Serie
wurde schon traditionell viel geredet, wenig geschossen, und Autos wurden eher selten zu Schrott gefahren. Lowitz hatte seiner
Figur einen Hauch von Melancholie und Kantigkeit verpasst. Anders als Lowitz hatte
der neue Alte kaum Kinohintergrund – Rolf Schimpf schien einfach für das kleine
Bildschirmformat geboren. Er füllte den ihm gegebenen Raum aus, ohne je darüber
hinausreichen zu wollen. Als er die Titelrolle im Alten übernahm, war der Schauspieler bereits 61 Jahre alt.
Rolf
Schimpfs Hauptkommissar Kress war eine Mischung aus Kommissar Maigret, ein „Einrenker der Schicksale„, der die Mörder weniger jagte als ihnen den Weg zu Geständnis
und Gnade zu erleichtern; einem gütigen Patriarchen, der seine Mitarbeiter,
mit Charles M. Huber eine Person of Color inbegriffen, mit familiärer Autorität motiviert; und einer
sympathischen Beamtenseele, die sich so gut wie nie nach irgendetwas anderem
sehnt als genau dem, was gerade zu erledigen war. Von kaputtem Privatleben, Burn-out oder Korruption gab es hier kaum eine Spur. Fast 22
Jahre lang, bis 2008, versah Rolf Schimpf seinen Dienst
als Hauptkommissar. Jeder Fall wurde innerhalb genau einer Stunde Fernsehzeit gelöst,
zum Schluss gab es irgendwelche freundlichen Scherze, und den Hintergrund
bildete eine Stadt namens München, die sich in diesen Jahren von einer
heimlichen Hauptstadt in das Modell der Gentrifizierungsödnis verwandelte:
Entschleunigung in der Stadt der Reichen.
Der Alte von
Schimpf sah so aus, als könne er niemandem gefährlich werden. Den Bösewichten
nicht, seinen Mitarbeitern nicht und schon gar nicht sich selbst. Deshalb
konnte er seine Fäden spinnen und seine Fallen nach allen Regeln des
unaufgeregten Whodunit legen. Was Schimpf in der Rolle indes ausstrahlte, war eine gewisse
Verschmitztheit. Da war immer ein bisschen mehr Wissen, als die kleinbürgerliche
Fassade zu erkennen gab. So einer hatte schon einiges gesehen, man musste nicht
immer darüber sprechen. Wenn Rolf Schimpf etwas von einer dunklen Seite seines
eigenen Charakters ausdrücken wollte, dann vielleicht als Synchronsprecher für den ewig
draculösen und morbiden Bela Lugosi. Dort konnten Ruhe und Langsamkeit in der
Tat bedrohlich werden. In München nicht.
Während
Kollegen wie Erik Ode (in und als Der Kommissar) oder Horst Tappert (in und als Derrick), deren Ermittlerfiguren ansonsten durchaus seelenverwandt waren mit dem Alten,
immer mal wieder unter der Schlechtigkeit dieser Welt zu stöhnen hatten in ihren Rollen, blieb
Kress gelassen. Er war einer, der seine Rolle gefunden hatte, vor der Kamera
und im Leben. Schimpfs Privates übrigens war nicht immer leicht, vom mysteriösen Tod
des Vaters in der Nazizeit über die eigenen Kriegserfahrungen und -verletzungen
bis hin zu ausgesprochen mühsamem Berufsalltag, der sich erst mit Übernahme der Figur des Alten verstetigte, beruhigte. Vielleicht
vermittelte Schimpf ein wenig von diesem späten professionellen Glück in seiner Fernsehperformance, die
ihren Höhepunkt in einem Alter erreichte, da andere schon mit dem Blick zurück
beginnen. Irgendetwas in Rolf Schimpfs Augen übertrug das Empfinden von
Zufriedenheit. Ohne dass dies thematisiert werden musste, gehörte er zum
Prozess einer Versöhnung der Generationen, die die Aufarbeitung des Schreckens der
deutschen Vergangenheit entzweiht hatte.
Natürlich
ist so eine Rolle immer Segen und Fluch. Rolf Schimpf konnte nach 1986 machen und spielen, was er wollte, er war mit einem Teil seiner selbst immer der Leo Kress.
Hauptkommissar in München. Sogar noch als Dr. Korbinian Niederbühl in der
Seifenoper Sturm der Liebe, mit der er sich von seinem Publikum
verabschiedete. Korbinian Niederbühl – so kann nur einer heißen, der längst
nicht mehr von dieser Welt ist.
Rolf
Schimpf gehörte zu jenen Fernsehschauspielern, die gar nicht viel spielen mussten.
Es genügte, einfach und ohne Allüren und Tics da zu sein. Als einer, der sich
redlich bemüht, ein paar Scherben zu kitten, anstatt neue Scherbenhaufen
anzurichten. Genau 222-mal hat Rolf Schimpf in seiner Zeit als Der Alte den Glauben daran gerettet, dass
noch alles gut werden kann, mit dieser Gesellschaft, mit dieser Demokratie,
diesem Staat, dieser Wirtschaft, dieser Moral. Nun ist auch Rolf Schimpf gestorben, im gesegneten Alter von 100 Lebensjahren.