
Das Epizentrum des größten texanischen Masernausbruchs der vergangenen Jahrzehnte liegt im ländlichen Nordwesten des Bundesstaats. Seit das Gesundheitsamt der South Plains Ende Januar die ersten Infektionen mit dem hoch ansteckenden Virus meldete, steigt die Zahl der Erkrankungen von Tag zu Tag. Bis Mittwoch registrierten die Behörden in Texas 223 Infizierte, mehr als 150 von ihnen im Bezirk Gaines, der nur rund 20.000 Einwohner hat. Wie auch bekannt wurde, gehören die meisten Erkrankten, von denen etwa 30 in Krankenhäusern behandelt werden, der Glaubensgemeinschaft der Mennoniten an. Mitte der Siebzigerjahre hatten sich in der Region an der Grenze zu New Mexico die ersten mennonitischen Familien niedergelassen, um Baumwolle und Erdnüsse anzubauen. In den Achtzigern und Neunzigern wuchs die Gemeinde der evangelischen Freikirche mit Wurzeln in der Täuferbewegung Europas auf Tausende Mitglieder.
Obwohl die Glaubenssätze der zurückgezogenen, oft traditionellen Familien Impfungen nicht verbieten, verzichten viele Mennoniten darauf, ihre Kinder, wie in den Vereinigten Staaten verlangt und üblich, vor der Einschulung gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR) impfen zu lassen. Laut den texanischen Gesundheitsbehörden wiesen in den Jahren 2023/2024 lediglich 89,7 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Seminole, dem größten Schulbezirk in Gaines County, eine Impfung auf.
Im benachbarten Loop Independent School District waren es nur 56 Prozent, bei den Vorschülern lediglich 46 Prozent. „Wenn der Wert unter 95 Prozent liegt, breitet sich das Virus aus. Ich habe es in der Vergangenheit erlebt und erlebe es in unserer Region gerade wieder“, sagte Richard Lampe, der an der Texas-Tech-Universität in Lubbock zu Infektionskrankheiten bei Kindern forscht, der Zeitung „USA Today“.
„Masern sind lebensbedrohlich“
Als das Gesundheitsamt in Texas vor zwei Wochen den Tod des ersten Kindes nach einer Maserninfektion bekannt gab, warnte es auch vor „untergeimpften Gemeinschaften“. Das gestorbene Kind im Schulalter sei nicht geschützt gewesen. „Masern sind eine hoch ansteckende Atemwegserkrankung, die für jeden, der nicht geimpft ist, lebensbedrohlich ist“, teilte die Sprecherin Lara Anton mit. Einer von fünf Erkrankten müsse im Krankenhaus behandelt werden. Bei jedem zwanzigsten Infizierten führten Masern zu einer Lungenentzündung. Auch die Sechsjährige aus Seminole, die erste Maserntote in den Vereinigten Staaten seit dem Jahr 2015, litt an Pneumonie. Ihre Eltern sollen sie fast drei Wochen lang zu Hause gepflegt haben, bis sie nach einigen Tagen an einem Beatmungsgerät im Krankenhaus starb.

Wie der Vater des Mädchens der Zeitschrift „The Atlantic“ sagte, lehnten viele Mennoniten Impfungen ab. Masern gehörten zum Leben. „Jeder bekommt sie, das ist uns nicht neu“, sagte der Achtundzwanzigjährige und verwies auf Eltern und Großeltern. Die Angst vor dem Impfstoff sei bei vielen Mitgliedern größer als die Angst vor einer Infektion. Wie sich seine Tochter ansteckte, blieb derweil ungeklärt. Masern, die sich durch Fieber und rötliche Hautflecken zeigen, werden durch Tröpfchen beim Husten, Niesen und Sprechen durch Erkrankte übertragen.
Auch frühere Masernwellen in den Vereinigten Staaten hatten sich in den zitierten „untergeimpften Gemeinschaften“ ungewöhnlich schnell ausgebreitet. Im Jahr 2019 registrierten die Gesundheitsbehörden fast 1300 Infektionen, mehr als 900 von ihnen im New Yorker Stadtteil Brooklyn und im Bezirk Rockland im Norden der Stadt, dem Wohnort orthodox-jüdischer Gemeinden. Rockland sprach damals Aufenthaltsverbote an öffentlichen Plätzen für nicht geimpfte Jugendliche aus, um weitere Ansteckungen einzudämmen.
Im Frühjahr 2014 hatten zwei nicht geimpfte Amische nach einer Reise auf die von größeren Masernwellen heimgesuchten Philippinen in ihrem Heimatstaat Ohio Dutzende Mitglieder ihrer Glaubensgemeinschaft angesteckt. Mit fast 400 Erkrankten wurde der Ausbruch zum schwersten der Vereinigten Staaten seit fast 20 Jahren.
„Das Ganze ist nicht ungewöhnlich“
Viele Amische ließen sich damals impfen, um die Ausbreitung des Virus zu verhindern, und verzichteten vorübergehend auf die traditionellen Gottesdienste. „Ohne die Zusammenarbeit mit den Amischen hätten wir den Ausbruch lange nicht stoppen können. Er hätte sich auf weitere Bundesstaaten ausgedehnt“, erinnerte sich Dwight McFadden, ein Sprecher der Gesundheitsbehörden des Bezirks Holmes in Ohio, später auf der Website „Infectious Disease News“.

Während Mediziner vor Masern warnen und zu Schutzimpfungen auffordern, spielt Robert F. Kennedy Jr., Gesundheitsminister der Trump-Regierung und Impfskeptiker, den Ausbruch in Texas herunter. „Das Ganze ist nicht ungewöhnlich“, sagte der Politiker und verwies auf frühere Masernwellen. Wie Kennedy Jr. auch andeutete, seien viele der infizierten Kinder lediglich ins Krankenhaus gebracht worden, um weitere Ansteckungen zu vermeiden. „Wir nehmen keine Patienten auf, um sie unter Quarantäne zu stellen“, widersprach Lara Johnson, eine Medizinerin des Covenant Children’s Hospital in Lubbock, in dem auch das verstorbene Kind behandelt worden war.
Vitamine seien die beste Verteidigung
Vielmehr lägen viele der Infizierten an Beatmungsgeräten. Auf der Website des Gesundheitsministeriums ließ Kennedy Jr. auch wissen, die Entscheidung für oder gegen eine MMR-Impfung sei „eine persönliche Angelegenheit“. Vitamine und ausgewogene Ernährung seien „die beste Verteidigung“ gegen die meisten Infektionskrankheiten, so der 71 Jahre alte Jurist. „Vitamine ändern nichts daran, dass Masern eine Krankheit sind, die sich verhindern lässt. Ein Masernausbruch lässt sich am besten durch Masernimpfungen bekämpfen“, hielt der Mediziner Adam Ratner, Mitglied des Komitees für Infektionskrankheiten bei der American Academy of Pediatrics, dagegen.
Die Zentren für Gesundheitskontrolle und Prävention in Washington (CDC) warnen seit Jahren vor dem zunehmend laxen Umgang mit Schutzimpfungen. Obwohl die meisten öffentlichen Schulen in den Vereinigten Staaten einen Impfnachweis verlangen, erlauben Bundesstaaten wie New Jersey, Florida und Alabama Ausnahmen aus religiösen Gründen. Auch Texas sowie New Mexico und Oklahoma, wo auch schon erste Maserninfektionen gemeldet wurden, lassen Befreiungen wegen Religion und Weltanschauung zu. Die Gesundheitsämter beobachten seit der Corona-Pandemie eine fortschreitende Zurückhaltung.
Im Jahr 2023 verzichteten etwa 3,3 Prozent der Eltern auf eine Impfung ihrer Kinder im Vorschulalter, mehr als in jedem früheren Jahr seit Einführung der Impfpflicht. Beobachter machen die Debatte über Notwendigkeit und Nebenwirkungen der Corona-Impfstoffe für das Zögern vieler Amerikaner bei Impfungen gegen Masern, Polio und Windpocken verantwortlich. Die durchschnittliche Impfrate gegen Masern ist laut CDC inzwischen auf 91 Prozent gesunken – einige Prozent zu wenig, um das schon vor 25 Jahren für besiegt erklärte Masernvirus zu stoppen.