Richard David Precht: „Jemanden zu canceln, ist für mich Faschismus“

In seinem neuen Buch Angststillstand – Warum die
Meinungsfreiheit schwindet
 erörtert Richard David Precht seine Diagnose, dass sich
immer weniger Menschen in Deutschland trauten, offen ihre Meinung zu äußern. Auf
der Frankfurter Buchmesse sprach Precht darüber am ZEIT-Stand mit Ijoma
Mangold, Kulturkorrespondent des Feuilletons der ZEIT.

Vor zehn Jahren habe er sich keine Gedanken über seine
Wortwahl gemacht, wenn er in einer Talkshow zu Gast war, sagte Precht. Mittlerweile habe
sich das geändert, das sei beunruhigend. Als Beispiele für Themen, in denen die
Meinungsfreiheit bedroht sei, nannte Precht Kritik am politischen Umgang mit der
Coronapandemie, an der Ukrainepolitik oder am Krieg der israelischen
Regierung in Gaza. „Jeder ist da sensibel, was die Einschränkung der Meinungsfreiheit anbelangt, wo es um die eigene Meinung geht.“ Bei Meinungen, die von der
eigenen abwichen, sei das anders. Precht sagte: „Jemanden zu canceln, ist für mich Faschismus. ‚Shitstorm‘ ist ein modernes Wort für Pogrome.“

Precht erzählte von seinem Aufwachsen in einem linken Elternhaus. Im Nachgang der 68er-Bewegung seien in Deutschland viele Fortschritte gemacht worden, beispielsweise mit Blick auf die Gleichberechtigung von Frauen. Die Schattenseite dieser Entwicklung sei jedoch eine Moralisierung innerhalb der Gesellschaft. „Und je mehr ich moralisiere, desto intoleranter werde ich gegenüber anderen Meinungen“, sagte Precht. Die Antwort auf diese Entwicklung sei für ihn Resilienz, vor allem bei Verantwortungsträgern. 

„Man muss sich überlegen, welche Mittel man einführt, um jetzt das zu schützen, was man eine gut funktionierende Demokratie nennt“, sagte Precht. „Schützen wir die liberale
Demokratie, indem wir sie nicht zu Tode schützen.“

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