Revolution im Umgang mit Ämtern

Der gute Wille ist dokumentiert, jetzt geht es an die Umsetzung: Bund und Länder haben sich am Donnerstagabend auf eine „Modernisierungsagenda“ geeinigt, die den Fachleuten für Entbürokratisierung einigen Respekt abverlangt: Ein Reformpaket dieser Größenordnung zur Vereinfachung von Verwaltungshandeln habe es in Deutschland noch nicht gegeben, betont etwa die Initiative für einen handlungsfähigen Staat.

Die Initiative wurde von der Medienmanagerin Julia Jäkel, dem ehemaligen Verfassungsgerichtspräsidenten Andre­as Voßkuhle und den beiden Ex-Ministern Thomas de Maizière (CDU) und Peer Steinbrück (SPD) gegründet. Zusammen mit dem unabhängigen Normenkontrollrat lieferten sie zentrale Vorschläge für die Staatsreform. „Der Beschluss markiert eine Richtungsänderung im Verhältnis des Staates zu seinen Bürgerinnen und Bürgern: Vertrauen statt Kontrolle.“

Wenn Behörden bummeln, geht das nicht mehr zulasten der Bürger

Noch ist das 57 Seiten starke Dokument ein Sammelsurium von Einzelmaßnahmen und Grundsatzentscheidungen. Um sie umzusetzen, müssen Hunderte Gesetze geändert und die Abläufe in Behörden neu organisiert werden. In einem langwierigen Verfahren hatten Bund, Länder und Kommunen in den vergangenen Monaten grundsätzliche Änderungen in der künftigen Zusammenarbeit erarbeitet, darunter auch solche, die Bürgern und Unternehmen bisher viel Zeit und Nerven gekostet haben. Zu den wichtigsten gehört die Maßgabe, dass langsame Behördenverfahren künftig nicht mehr zulasten der Bürger gehen. Konkret bedeutet das: Wenn sich die Behörde drei Monate nach der Einreichung eines Antrags nicht gemeldet hat, gilt der Antrag als genehmigt.

Außerdem soll es viel häufiger als bisher reichen, nur ein Vorhaben anzuzeigen, zum Beispiel bei geringfügigen Baumaßnahmen. Auf Genehmigungen wird dann ganz verzichtet. Bis spätestens Ende 2026 soll das umgesetzt sein. Auch hier ist der Unterschied fundamental: Bei einer Genehmigung prüft der Staat präventiv, ob ein Vorhaben rechtmäßig ist. Bei einem Anzeigeverfahren beginnt der Bürger oder Unternehmer sofort mit seiner Tätigkeit, nachdem er die Behörde informiert hat – ohne auf eine Erlaubnis zu warten.

Informationen von anderen Ämtern sind selbst zu beschaffen

Auf Entlastungen dürfen Bürger zudem hoffen, weil der Staat ihnen künftig keine Aufgaben mehr aufbürden darf, die der Staat selbst erledigen kann. Das gilt zum Beispiel für Führungszeugnisse oder Grundbucheinträge: Pflichten, diese Informationen beizubringen, sollen künftig entfallen, schließlich liegen sie dem Staat schon vor. Insbesondere bei der Neuberechnung der Grundsteuer hatte das Vorgehen der Länder für viel Ärger gesorgt. Eigentümer waren verpflichtet, Informationen über ihre Wohnungen und Häuser zusammenzusuchen, die der Staat längst hatte; oft war das auch mit einem Besuch beim Grundbuchamt verbunden. Künftig soll sich die Behörde diese Informationen automatisch holen.

„Das ist ein Paradigmenwechsel“, betont Fedor Rose, Chef der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz. „Wir kehren zentrale Logiken um, die den Staat über Jahrzehnte geprägt haben.“ Die Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses beschleunige Investitionen massiv, verspricht er. Wo früher Genehmigungen einzuholen waren, reiche künftig zudem in immer mehr Fällen eine einfache Anzeige, ob im Gewerberecht, im Baurecht oder bei Telekommunikationsvorhaben, betont Rose. Die Umsetzung wird über ein Monitoring-System halbjährlich überprüft, ein erster Fortschrittsbericht soll im Juni 2026 vorliegen. Dann treffen sich auch die Ministerpräsidenten zur nächsten Konferenz.

Künftig gibt es viel öfter eine „Genehmigungsfiktion“

Die föderale Agenda greift ein Reformvorhaben des Bundes auf und ergänzt es durch mehr als 200 Maßnahmen, die die Verwaltung auch in den Ländern und Kommunen künftig schneller, effizienter und bürgerfreundlicher machen sollen. Im Oktober hatte der zuständige Bundesminister für Digitales und Staatsmodernisierung, Karsten Wildberger (CDU), bereits 80 Maßnahmen zusammenstellen lassen, die dies auf Bundesebene durchsetzen sollen. In einem föderalen System lässt sich allerdings nur wenig ohne Zutun der Länder und Kommunen ändern. Sie sind für Baugenehmigungen zuständig, stellen Personalausweise aus oder kümmern sich um Gewerbeanmeldungen.

Die deutliche Ausweitung der „Genehmigungsfiktion“ dürfte einer der radikalsten Ansätze bei der Reform sein, denn bisher funktioniert das deutsche Verwaltungsrecht nach folgendem Prinzip: Wer etwas genehmigt haben will – ein Bauvorhaben, eine Gewerbeanmeldung, eine Veranstaltung –, muss warten, bis die Behörde entschieden hat. Das kann Monate oder sogar Jahre dauern.

Mit der Modernisierungsagenda wird diese Logik umgedreht. Nach Ablauf von drei Monaten gilt eine Genehmigung automatisch als erteilt – es sei denn, das jeweilige Fachgesetz ordnet ausdrücklich etwas anderes an. Dieses Instrument existiert schon in einigen Bauordnungen der Länder oder auch bei Anträgen an die Krankenkasse. Nun soll es aber zum Regelfall werden. Ausnahmen müssen künftig besonders begründet werden. Dazu müssen die Verwaltungsverfahrensgesetze von Bund und Ländern geändert werden – bis Ende 2027 haben sie dafür Zeit.

Das soll für Rechtssicherheit und Planbarkeit sorgen. Unternehmen und Bürger sind nicht länger unbegrenzt verzögerten Verfahren ausgeliefert. Sie können nach spätestens drei Monaten mit Gewissheit planen, Investitionen tätigen, Verträge abschließen. Zudem setzt das Instrument die Verwaltung unter Druck, zügig zu arbeiten. Behörden können sich nicht mehr in endlosen Prüfungen verlieren, sondern müssen Prioritäten setzen und Personal effizient einsetzen.

Kritik gibt es allerdings auch: Eine solche fingierte Genehmigung sagt schließlich noch nichts darüber, ob das Vorhaben rechtmäßig ist. Ein Nachbar könnte Jahre später noch gegen eine fingierte Baugenehmigung vorgehen, wenn sich herausstellt, dass das Vorhaben gegen materielles Recht verstößt.