Herr Börsch-Supan, die Regierung von Friedrich Merz verspricht schon für das kommende Jahr eine große Rentenreform, um die gesetzliche Rente zukunftsfähig zu machen. Erwarten Sie, dass aus der Rentenkommission noch etwas entsteht?
Ich halte die Rentenkommission für Augenwischerei. Wenn die SPD wirklich willens wäre, nachzugeben oder umzusteuern, könnte sie das auch jetzt schon tun. Und wenn Herr Merz heute Angst vor einem Koalitionsbruch hat, warum sollte diese Angst später verschwunden sein? Ich denke, das, was jetzt beschlossen wurde, ist erst einmal gesetzt. Und dann wird man sehen, wie die nächste Regierung damit umgeht.
Beschlossen ist jetzt, den Nachhaltigkeitsfaktor auszusetzen und das Rentenniveau bis 2031 bei 48 Prozent zu stabilisieren. Würde sich daran nichts mehr ändern, wäre das der Sargnagel für die Umlagerente?
Nein, das glaube ich nicht. Die Umlagerente wird weiter existieren, sie wird nur teuer. Bis 2031 kostet die Haltelinie 48 Prozent ziemlich wenig. Danach wird es teuer, weil dann der große Schub der Babyboomer in Rente geht. Nach unseren Berechnungen kostet die Haltelinie bis zum Jahr 2045 rund 500 Milliarden Euro. Dann drohen Sozialabgaben von bis zu 50 Prozent. Aber der eigentliche Sargnagel liegt an einer anderen Stelle.

Wir wissen bereits jetzt, dass Deutschland nicht wächst. Das kommende Jahr wird voraussichtlich das vierte Jahr ohne nennenswertes Wachstum. Wir haben einen Rückgang der Zahl der Arbeitnehmer, das kostet uns ungefähr ein halbes Prozent Wachstum im Jahr. Gleichzeitig haben wir praktisch keinen Produktivitätszuwachs. Der dritte Wachstumstreiber ist Kapital, also Investitionen. Aber wir sehen, dass die ältere Generation entspart und dass die jüngere, zahlenmäßig kleinere Generation nicht viel spart. Ich sehe daher nicht, wo in den nächsten 10 bis 15 Jahren Wachstum herkommen soll – es sei denn, wir investieren massiv in Bildung, Innovation, Infrastruktur und Ähnliches. Genau diese Investitionen werden durch höhere Bundeszuschüsse in die Rente verdrängt. Darin sehe ich den eigentlichen Sargnagel, nicht für die Rente, sondern für die deutsche Wirtschaft. Die Rente wird weiterlaufen, aber das Wachstum stagniert, und andere Länder überholen uns.
Als Franz Müntefering 2007 den Übergang zur Rente mit 67 Jahren einführte, ging das in der Bevölkerung relativ schmerzlos durch. Warum gibt es heute so große Widerstände gegen eine Rentenreform?
In der Bevölkerung war die Rente mit 67 vergleichsweise gut akzeptiert. Die Bevölkerung ist nicht dumm. Sie weiß, dass es den demographischen Wandel gibt, der wird ständig in der Zeitung, im Fernsehen und in den sozialen Medien diskutiert. Aber in der SPD gab es einen riesigen Konflikt, der letztlich zur Kehrtwende in der sozialdemokratischen Rentenpolitik beigetragen hat. Das Problem ist im Wesentlichen ein parteiinternes, vor allem, aber nicht ausschließlich in der SPD, wo Linke und Pragmatiker gegeneinanderstehen. Ich halte Herrn Klingbeil da für weniger betonhaft als Frau Bas. Aber auch in der CDU gibt es einen Arbeitnehmer- und einen Wirtschaftsflügel. Die streiten sich im Moment auch. Es ist nicht gut, dass die Parteien so eine größere Rolle spielen als das Wahlvolk. Umgekehrt gesehen, haben die „Rentengeschenke“ der SPD an ihre vermeintliche Wählerschaft der Partei ja nicht im Geringsten geholfen. Nach der Rente mit 63 stagnierte die SPD zuerst und hat dann weiter Stimmen verloren, nicht aber gewonnen.
Welche Reformen wären aus Ihrer Sicht am dringendsten, um die Rente zu stabilisieren?
Ohne eine Art Nachhaltigkeitsfaktor belastet die Rente den Bundeshaushalt und die Wirtschaft so stark, dass sie eben nicht wächst. Es muss also etwas geben, das funktional dem Nachhaltigkeitsfaktor entspricht. Der Begriff selbst ist politisch verbrannt. Man könnte ihn nach seinem Zweck umbenennen, etwa in „Generationengerechtigkeitsfaktor“. Auch kann man das System vereinfachen. Der bisherige Nachhaltigkeitsfaktor ist extrem kompliziert. All das ist nicht neu, aber es wäre der Baustein, um in einer alternden Gesellschaft wieder zu einem echten Kompromiss zwischen der Entwicklung der Beiträge und der Renten zu kommen.
Länger lebende Menschen könnten länger arbeiten.
Es wäre hilfreich, das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung zu koppeln. Im Moment steigt die Lebenserwartung aber nicht mehr so stark, daher ist das gerade nicht der wichtigste Hebel. Wichtiger ist, die Rente mit 63 auf diejenigen zu begrenzen, die wirklich Schwierigkeiten hätten, bis zur Regelaltersgrenze durchzuhalten. Dass wir derzeit ausgerechnet unsere hoch qualifizierten, gut verdienenden Fachkräfte massenhaft die Rente mit 63 nutzen lassen, ist nicht stimmig und teuer. Gar kein Verständnis habe ich für die Aktivrente. Man wirft damit Menschen, die ohnehin im Wesentlichen länger arbeiten würden, noch einmal Steuerfreiheit für 2000 Euro im Monat hinterher. Das ist ein riesiger Mitnahmeeffekt, der wenig zusätzliche Wirkung entfaltet.
Sie denken auch an gestärkte Betriebsrenten.
Wir haben in Deutschland eine relativ gut ausgebaute betriebliche Altersversorgung für fast alle Großbetriebe. Dort sind wir gut aufgestellt, und diese Beschäftigten erreichen ein vernünftiges Rentenniveau. Das ist das Erfolgsgeheimnis unserer nördlichen und westlichen Nachbarn: Niederländer, Dänen, Schweden – sie alle haben deutlich höhere Renten als Deutschland, weil sie sehr starke Betriebsrentensysteme haben. Bei uns fehlt die Betriebsrente vor allem in kleinen und mittleren Unternehmen. Dort bräuchte es eine strukturelle Reform, um das derzeit extrem komplizierte Betriebsrentensystem zu vereinfachen und um einen einfachen, zusätzlichen Weg für den Mittelstand zu ergänzen, ähnlich dem Sozialpartnermodell, aber nicht an Tarifverträge gebunden. Für die Babyboomer-Generation käme das zu spät. Das hat man in den 1990er-Jahren verpasst. Aber es gibt heute keinen Grund, nicht endlich damit anzufangen.
Axel Börsch-Supan ist Direktor des Münchener Forschungsinstituts für die Ökonomik des Alterns.
